Bonn: „Agrippina“, Georg Friedrich Händel

Bereits im Juni 2021 war Leonardo Muscatos Inszenierung von Georg Friedrich Händels „Agrippina“ als Stream zu erleben, nun kommt die Produktion auf die Bühne des Bonner Opernhauses und entpuppt als großer Wurf. Solch eine unterhaltsame Händel-Inszenierung hat man seit Stefan Herheims „Xerxes“ nicht mehr gesehen.

In dieser Oper spielen zwar gleich drei römische Kaiser mit, aber eigentlich liegen die Fäden der Handlung in den Händen der Frauen: Agrippina ist die Gattin ihres Onkels Kaiser Claudius, will aber als die Nachricht von dessen angeblichen Tod eintrifft, ihren Sohn Nero auf den Thron hieven. Da gibt es aber auch den General Ottone, der dem Kaiser das Leben gerettet hat, und sich deshalb kurzzeitig Hoffnung auf den Thron machen kann. Für die Leser, die sich in römischer Geschichte nicht zu Hause fühlen: Der historische Otho war nach Neros Tod im Dreikaiserjahr 69 tatsächlich für drei Monate Kaiser.

(c) Thilo Beu

Opernfans kennen Ottone aus Monteverdis „Krönung der Poppea“ als betrogenen Ehemann der Titelfigur: In „Agrippina“ ist er aber noch glücklich mit Poppea verheiratet und verzichtet ihretwegen sogar auf den Thron, obwohl auch Kaiser Claudius und dessen Stiefsohn Nero in ihrem Schlafzimmer ein- und ausgehen. Agrippina und Poppea lassen in dieser Oper des 24-jährigen Händel, dessen deftig-frivol-satirisches von Libretto Kardinals Vinzenzo Grimani stammt, die Männer nach ihrer Pfeife tanzen.

Regisseur Leonardo Muscato hat in Bonn schon eine pfiffigen „Xerxes“ und eine sehenswert-kurzweilige „Cenerentola“ inszeniert und übertrifft beide Produktionen noch mit dieser „Agrippina“, die boulevardesk-klamaukig daherkommt, dass es eine Freude ist. Bühnenbildnerin Frederica Parolini hat für die Bonner Drehbühne Räume mit Kaiserpalast und diversen Schlafzimmern entworfen, die in ihrer Buntheit und Genauigkeit das Auge erfreuen. Die Kostüme von Silvia Aymonino zeigen die Römer des Jahres 54 als dekadent-durchgeknallte High-Society unserer Gegenwart.

Agrippina ist ein schrilles Biest wie Alexis aus dem „Denver Clan“, das bei jedem Auftritt mit einer anderen Buntperücke antanzt. Louise Kemény singt die Rolle mit viel Energie und schöner Mittellage, die Schrillheit der Figur überträgt sich in der Höhe aber auch auf einige schrille Töne. Marie Heeschen als Poppea gibt sich im blauen Girliekleid als unschuldiges Mädchen, ist aber das Betthäschen des Kaiserhauses. Händels kecke Koloraturen gehen ihr federleicht durch die Kehle.

In Gestik, Mimik und Optik kommt der Kaiser Claudius wie ein Wiedergänger von Donald Trump daher. Aber auch Altplayboy Rolf Eden schimmert im Spiel Pavel Kudinovs durch. Bei öffentlichen Auftritten trumpft Kudinov stimmlich auf, obwohl der Kaiser meist nur hohle Phrasen drischt, in den Schlafzimmerszenen gibt sich der Kaiser samtig weich. Lada Bocková stattet den Nero mit jugendlich frischer Stimme aus, optisch kommt der zukünftige Kaiser als verzogen pubertärer Teenager daher, der gerne mit dem Feuer spielt.

(c) Thilo Beu

Regisseur Muscato gelingt das Kunststück Händels Arien von der ersten bis zu letzten Sekunde mit Leben und Aktion zu füllen. Wo andere Regisseure die Figuren bloß ihre Arien absingen lassen, folgt hier ein Gag auf den nächsten. Langeweile kommt dadurch nie auf und die drei Stunden der Aufführung vergehen mit viel Gelächter wie im Flug.

Während die Regie die ganze Belegschaft satirisch und überzeichnet, auch die beiden Minister Pallante und Narciso, die von Carl Rumstadt und Charlotte Quadt als kauzige Typen gespielt werden, sowie den Diener Lesbo (Martin Tzonev), so wird lediglich Poppeas Mann Ottone als seriös schmachtende Figur ernst genommen. Benno Schachtner singt die wehleidigen Arien mit klarem Countertenor.

Am Pult des Beethoven Orchesters sorgt Rubén Dubrovsky für einen geschmeidig swingenden Barockklang. Laute und Cembalo sorgen ebenfalls für die Annäherung an barocke Klangideale.

Insgesamt präsentiert die Bonner Oper eine ebenso hochkarätige und wie kurzweile „Agrippina“, die auch den Händelfestspielen in Halle, Göttingen oder Karlsruhe alle Ehre machen würde. – So macht Oper Spaß!

Rudolf Hermes, 1. Februar 2023


Oper Bonn

Georg Friedrich Händel: Agrippina

Premiere: 29. Januar 2023

Inszenierung: Leonardo Muscato

Bühne: Frederica Parolini

Kostüme: Silvia Aymonin

Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky

Beethoven Orchester Bonn