Bonn: „Alcina“, Georg Friedrich Händel

© Bettina Stöß

Mit einer Händel-Oper hat sich Jens-Daniel Herzog schon einmal in Bonn vorgestellt. 2014 wurde seine Züricher Inszenierung von Rinaldo nach Bonn übernommen. Nun steht Alcina auf dem Spielplan und wieder ist es eine Koproduktion, denn die Inszenierung wird in dieser Saison auch noch am Staatstheater Nürnberg gezeigt, wo Herzog Intendant ist.

Eigentlich spielt Alcina in märchenhaften Zeiten auf einer einsamen Zauberinsel, die von der Titelfigur beherrscht wird. Jens-Daniel Herzog und sein Bühnenbildner Mathis Neidhardt verlegen das Stück in ein Hotel der 20er Jahre, das vielleicht in Berlin angesiedelt ist. Dort versuchen die Figuren ihre Weltkriegs-Traumata zu verdrängen. Die Zauberin wird zum Glamour-Girl, das von den Männern umworben wird.

Auf dem Papier liest sich dieser Ansatz vielleicht etwas zu konstruiert, aber Herzog gelingt eine glaubhafte Inszenierung. Mathis Neidhardt hat ihm dafür eine großräumige Empfangshalle gebaut. Eine halbrunde und drehbare Wand auf der linken Seite lässt Verwandlungen dieses Bereiches in Treppenhaus, Dusche oder sogar Wald zu. Sibylle Gädeke stattet die Frauen mit eleganten und glitzernden Kleidern aus, die Herren tragen Frack. Auch Hotel Boy und Buttler dürfen nicht fehlen.

In der Personenführung lässt Herzog die menschlichen Leidenschaften handgreiflich und körperlich ausleben. Viele Szenen reichert er mit sechs Tänzern an, die von Ramses Sigl choreografiert werden. Da wird mal nur die Stimmung einer Arie tänzerisch umgesetzt, während andere Szenen inhaltlich illustriert werden. So wird Alcina einmal von den Herren umgarnt wie Madonna im Video zu „Material Girl“. Marie Heeschen singt die Titelpartie erst als überlegene Verführerin, macht dann aber im Verlauf der Handlung immer stärker die Verletzlichkeit der Figur deutlich.

© Bettina Stöß

Am Pult des Beethoven Orchesters steht mit Dorothee Oberlinger eine echte Barockspezialistin. Sie nähert sich eindrucksvoll einem historischen Klangbild, lässt im Tutti voluminös spielen und die Oberstimmen munter wirbeln, akzentuiert Händels Rhythmen zudem kraftvoll. Die Musiker des Orchesters können in den obligaten Arien auch ihr solistisches Können unter Beweis stellen. Oberlinger achtet auch sehr gut auf die Balance zwischen Graben und Bühne, stellt die Akteure auf der Bühne ins Zentrum des musikalischen Geschehens.  Im Finale greift die Musikerin, die eigentlich als Blockflötistin berühmt geworden ist, auch selbst zu ihrem Instrument.

Für die größte Aufregung des Abends sorgt Mezzosopranistin Charlotte Quadt, die als Alcinas Liebhaber Ruggiero besetzt ist. Vor der Aufführung verkündet Intendant Bernhard Helmich, dass sich Quadt am Morgen krankgemeldet habe. Deshalb habe man den Countertenor Ray Chenez aus Wien einfliegen lassen, der die Partie aus dem Graben singen, während Regisseur Herzog die Rolle spielen soll. Weil der Countertenor zum Beginn der Vorstellung aber noch im ICE von Frankfurt nach Siegburg sitzt, übernimmt die Sängerin wenigstens den Beginn der Aufführung.

Charlotte Quadt präsentiert sich stimmlich und darstellerisch bestens aufgelegt, spielt im Frack einen verliebten Dandy und gestaltet ihre Rolle mit klangvoller Stimme. Die Sängerin steigert sich so in die Rolle, dass sie gar nicht mehr aufhören kann und singt die Rolle bis zum letzten Ton triumphal zu Ende. Als ihre verlassene Geliebte glänzt Anna Alàs I Jovè mit dunkleren Mezzo-Klängen und energiegeladenen Koloraturen.

Gloria Rehm ist eine muntere Morgana. Ihr Verehrer Melisso, hier der Butler des Hauses, wird von Stefan Sbonnik mit gut sitzendem und beweglichem Tenor gesungen. Während in anderen Inszenierungen auch schon mal Nebenfiguren wegfallen, um die Handlung zu straffen und die Aufführungsdauer zu kürzen, gehören diese in Bonn weiterhin zur Geschichte: Mit warmen und wendigen Bass singt Pavel Kudinov den alten Soldaten Melisso, welcher Bradamantes Begleiter in Alcina Welt ist. Die Rolle des Oberto, der nach seinem verschwundenen Vater Astolfo sucht, ist eigentlich entbehrlich, wird von Nicole Wacker aber stark aufgewertet. Mit kraftvollem Sopran trumpft sie selbstbewusst auf, so dass man sich diese Sängerin auch in wesentlich größeren Partien vorstellen kann.

© Bettina Stöß

Dem Theater Bonn gelingt mit dieser Aufführung trotz etwas mehr als drei Stunden Spieldauer ein szenisch kurzweiliger und musikalisch packender Abend, den man erlebt haben sollte. Die Nürnberger Opernfans können sich jetzt schon auf diese Produktion freuen, die dort ab dem 27. April 2025 gezeigt werden soll.

Rudolf Hermes, 14. November 2024


Alcina
Dramma per musica von Georg Friedrich Händel

Theater Bonn

Premiere: 10. November 2024

Musikalische Leitung: Dorothee Oberlinger
Inszenierung: Jens-Daniel Herzog
Beethoven Orchester Bonn