„Wer Geld hat, hat Macht.“ Aktueller denn je ist die Aussage der „Dreigroschenoper“. Bertolt Brechts Erfolgsstück, am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin aus der Taufe gehoben und 1933 nicht nur wegen der „entarteten Musik“ von den Nationalsozialisten verboten, wurde einer der größten Erfolge der Theatergeschichte, nicht nur in der DDR. Die kurzweilige Premiere in der Bonner Oper 6. April 2025 als Produktion des Bonner Schauspiels in der Regie von Hausregisseur Simon Solberg wurde vom Premierenpublikum bejubelt. Stilsicher vom Beethovenorchester in kleiner Besetzung unter der Leitung des Kapellmeisters Daniel Johannes Mayr begleitet, entfaltete sich der Konflikt um den Gangster Mackie Messer, unter anderem als Streit zwischen zwei Frauen um einen Mann.

Die „Beggar´s Opera“ von John Gay (Text) und Johann Christoph Pepusch (Musik) aus dem Jahr 1728, die damals Georg Friedrich Händels italienischen Barockopern den Rang ablief, weil sie in der Landessprache gesprochen und gesungen war, wurde 1926 in London wieder mit großem Erfolg aufgeführt. Dieser Erfolg inspirierte Bertolt Brecht zu der Idee, eine deutsche „Dreigroschenoper“ zu verfassen. Er beauftrage seine Mitarbeiterin und mutmaßliche Geliebte Elisabeth Hauptmann mit der deutschen Übersetzung des Textes von John Gay und ergänzte Bänkelsänge von Francois Villon. Viele Songtexte wurden von Hauptmann und Brecht gemeinsam verfasst, und Kurt Weill komponierte die Musik so, dass sie von Schauspielern gesungen werden konnte. Etliche Songs haben Karriere als Chansons und Welthits gemacht, viele Zitate wurden zu geflügelten Worten, wie „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ An die moderne Musiksprache Weills hat man sich inzwischen gewöhnt, und die Aufführungsrechte sichern Brechts Erben ein komfortables Leben. Er hat 62,5% der Tantiemen beansprucht, Hauptmann 12,5% zugestanden und Kurt Weill 25%. Die Songs haben hohen Wiedererkennungswert, vor allem der „Haifischsong“, der „Kanonensong“ und das „Lied der Spelunken-Jenny“ mit dem „Schiff mit acht Segeln.“
In einem stilisierten Bühnenbild von Harald Thor, bei dem ein beweglicher zweistöckiger Aufbau mit Treppen alles sein konnte, und eine ungewöhnliche Anordnung von Scheinwerfern auf dem Boden und als Kreis im Hintergrund ein Blickfang war, nahm das Theater im Theater (eine Gruppe von Gauklern und Bettlern spielt die „Dreigroschenoper“) seinen Lauf. Der Unternehmer Peachum, der das Betteln professionalisiert hat und die Bettelnden als Chef ausbeutet, wird mit dem Habitus eines Dickens´schen Kapitalisten mit Frack und Zylinder als Mensch des 19. Jahrhunderts dargestellt, seine Tochter Polly und Lucy Brown, die Tochter des korrupten Polizeichefs, dagegen in Miniröcken im Stil der 70-er Jahre. Mit den Kostümen drückt Christina Schmitt eher soziale Zugehörigkeit als eine bestimmte Epoche aus.
Solange der Gangster Macheath, genannt Mackie Messer, mit dem korrupten Polizeichef Tiger Brown befreundet ist, kann er ungehindert seinen kriminellen Geschäften als Bordellbetreiber und Straßenräuber nachgehen. Nachdem Macheath aber Peachums Tochter geheiratet hat und Lucy Brown, Tiger Browns Tochter, seine Geliebte, abserviert, wird er verfolgt und fällt in die Fänge der Justiz, nachdem er von den Huren verraten wurde. Er kann sich nicht freikaufen und soll gehängt werden. Nach einem fulminanten Showdown am Galgen als Parodie einer großen Opernszene einer Befreiungsoper wird Macheath durch den reitenden Boten als deus ex machina „wegen der Krönungsfeierlichkeiten“ amnestiert und in den erblichen Adelsstand erhoben.
Obwohl das Stück im Opernhaus aufgeführt wird und Dreigroschenoper heißt, ist es doch eine Produktion des Bonner Schauspielhauses mit singenden Schauspielern und Schauspielerinnen, die den schrägen Klang der Songs viel authentischer treffen als geschulte Opernstimmen. Es ist eine äußerst gelungene Satire auf die Kunstform der Oper, und Kapellmeister Daniel Johannes Mayr schaffte es nicht nur, die kleine Besetzung des Beethovenorchesters, sondern auch die von den Darstellenden aufgebotene „Band“ zu koordinieren. Die Textverständlichkeit war dank dezenter Headsets auch in den hinteren Reihen hervorragend, und es gab deutsche und englische Übertitel.
Daniel Stock war ein fast zu sympathischer Gangster Mackie Messer mit Ehrenkodex und einem Hang zu Frauen, den die Intrige der betrogenen Frauen um ein Haar den Kopf gekostet hätte. Özgür Karadeniz als Jonathan J. Peachum hatte fast schon die Attitüde eines Konzernchefs, Julia Kathinka Philippi als seine Tochter Polly glänzte mit einer angenehmen Musical-Stimme und zarten Nuancen im Lied der verliebten Braut. Die Opernsängerin Marie Heeschen als Ihre Rivalin Lucy Brown steuerte echte Koloraturen bei, und das Eifersuchtsduett der beiden war die perfekte Opernparodie.

Überraschende Qualitäten als Chansonniere zeigte Charakterdarstellerin Marion Kracht als dem Trunk ergebene Celia Peecham, Pollys Mutter, im Leoparden-Look, und Imke Siebert schaffte es, mit einem sensibel präsentierten Song der Seeräuberjenny die Sehnsucht arbeitender Frauen nach einem besseren Leben greifbar zu machen. Die übrigen Rollen waren aus dem Schauspielensemble typgerecht besetzt. Es wirkte wie ein schräges Musical, und die Ungeheuerlichkeit mancher Texte wie dem „Zuhältersong“ wurde einfach so hingenommen. Für eine echte Aktualisierung hätte man wohl zu sehr in das Stück eingreifen müssen, und schon Bertolt Brecht selbst hat sich darüber aufgeregt, dass das Publikum sich so gar nicht auf die politische Dimension und den pädagogischen Anspruch seines Stücks einlassen wollte. Vermutlich hängt es damit zusammen, dass heute existenzielle Armut in Europa dank der Sozialgesetzgebung weitgehend Geschichte ist, und dass niemand mehr betteln muss.
Ich muss zugeben, dass ich die „Dreigroschenoper“ als Parodie des Bürgertums und Verspottung des Kapitalismus in der hier dargebotenen Form sehr genossen habe. Ich habe sogar für den zum Tode verurteilten Mackie Messer Mitleid empfunden, was beim „epischen Theater“ eigentlich nicht vorgesehen ist. Es ist ein pralles Stück Musiktheater, bei dem die Songs die Spielszenen reflektieren, die Personen charakterisieren und in den Texten Tabus brechen. „Nur wer in Wohlstand lebt, lebt angenehm,“ ist wohl das Fazit, das wir als Zuschauer mitnehmen und die bizarren Konflikte der Bettler, Huren, Zuhälter und Kleinkriminellen, die auf der Bühne gezeigt werden, als Unterhaltung konsumieren. Die zwei Stunden 45 Minuten Aufführungsdauer vergehen wie im Fluge. Die Nachfrage nach Karten übertrifft das Angebot, man muss sich also bald bemühen, wenn man in den Genuss der „Dreigroschenoper“ kommen möchte.
Ursula Hartlapp-Lindemeyer, 17. April 2025
Besonderer Dank an unsere Freunde vom OPERNMAGAZIN
Die Dreigroschenoper
Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik)
Oper Bonn
Premiere am 6. April 2025
Inszenierung: Simon Solberg
Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr
Beethovenorchester Bonn