Premiere am 22.10.2016
Marionettenhafter Klamauk
Man muss schon ganz viel falsch machen, damit ein „Barbiere di Siviglia“ langweilig wird. Zwar hat Regisseur Michael Talke vieles „falsch“ gemacht, aber den Unterhaltungswert von Rossinis Meisterwerk hat er weitgehend bewahrt. Er schlug in seiner Inszenierung eher konventionellere Pfade ein, versah die Oper aber auch mit entbehrlichen Zutaten. So tritt denn ein Herr (Guido Gallmann) mit den Worten auf: „Sie kennen mich nicht. Ich bin ein Regieeinfall“. Kein besonders guter, muss man hinzufügen, denn der Fluss der Handlung und der Musik wird dadurch oft unterbrochen. Wenn diese Einlagen wenigstens etwas vom feinsinnigem Humor eines Loriot gehabt hätten! Bei der Gewittermusik muss dieser Moderator, der auch als Ambrogio und Notar fungiert, einen Kampf mit seinem Regenschirm bestehen. Diese wie andere Szenen hatten einen Hauch von Stummfilm-Ästhetik.
Insgesamt setzt Talke in seiner Inszenierung mehr auf Klamauk, denn auf wirklich gewitzten Humor. Dafür gibt es viele Beispiele, etwa beim Ständchen des Grafen, bei dem die von ihm angeheuerten Musiker immer wieder polternd etwas fallen lassen. Auch die Gesangsstunde mit dem falschen Basilio gerät reichlich albern. Wenn Doktor Bartolo über die Bühne stampft, werden am Klavier Akkorde angeschlagen, als wolle man das Nahen eines Dinosauriers untermalen.
Chor und Solisten bewegen sich oft im Rhythmus der Musik wie Marionetten oder Aufziehpuppen. Man muss bewundern, wie exakt diese schwierigen Bewegungsabläufe ausgeführt werden, aber sie tragen keinen ganzen Opernabend. Auch die Bühnenausstattung von Barbara Steiner ist ständig in Bewegung. Schon bei der Ouvertüre schweben kronleuchterartige Ornamente immer wieder hoch und runter, werden Vorhänge auf- und zugezogen und ein Sofa hereingerollt. Das war einfach zuviel des Guten. Die Kostüme von Regine Standfuß beweisen teilweise Mut zur Hässlichkeit, passen in ihrer skurrilen Überzeichnung aber zum Stil der Inszenierung.
Immerhin gelingen Talke auch ein paar komödiantische Einfälle, sodass dieser „Barbiere“ letztendlich doch unterhaltsam ausfällt. Das ist natürlich auch dem komischen Talent der Sänger zu danken. Patrick Zielke etwa gibt den Doktor Bartolo in seinem zeltartigen Kostüm als trotteliges „Urviech“ mit ausgeprägter vis comica, Christoph Heinrich ist als Basilio sein Bruder im Geiste. Gesanglich können beide weitgehend überzeugen, auch wenn „La calunnia“ noch suggestiver hätte ausfallen können. Gute Figur machen auch Hyojong Kim als Graf Almaviva und Birger Radde als Figaro. Kim beeindruckt vor allem in der Arie „Cessa di piu resistere“, die ursprünglich aus Rossinis Oper „Le siège de Corinthe“ stammt, mit geschmeidiger Stimmführung und höhensicherem Tenor. Eine wunschlos überzeugende Leistung! Radde, der als Figaro oft wie ein zaubernder Magier daherkommt, gestaltet seine Partie sympathisch und mit markantem Bariton. Als Rosina wächst Nerita Pokvytyté im Laufe des Abends immer mehr in ihre Partie hinein und gibt der Figur kapriziöse Züge. Auch gesanglich kann sie sich im zweiten Akt steigern. Nathalie Mittelbach macht als Berta nicht nur durch ihr „raumfüllendes“ Kostüm nachdrücklich auf sich aufmerksam. Zoltán Melcovics und Daniel Ratchev sind Fiorello und ein Offizier.
Mit kleinen Extempores begleitet Andreas Lakeberg mit der Gitarre den Grafen bei seinem Ständchen. Der teilweise mit abenteuerlichen Perücken als Frauen verkleidete Herrenchor wurde von Alice Meregaglia gut einstudiert.
Olof Boman erweist sich am Pult der Bremer Philharmoniker als umsichtiger Garant für die musikalische Qualität. Seine Wiedergabe hat Schwung und Witz. Nicht nur das irrwitzige Tempo im Finale des ersten Aktes wird hervorragend umgesetzt. Wie sagte der Moderator? „Sie können auch die Augen zumachen!“. Nein, das wäre denn doch schade gewesen.
Wolfgang Denker, 23.10.2016
Fotos von Jörg Landsberg