Bremen: „Parsifal“

Premiere am 11.09.2016

Häufiger Stellungswechsel des Orchesters

Ein Bühnenbild gibt es nicht. Dafür sitzt das Orchester auf der Bühne, Gurnemanz in Person von Patrick Zielke auf einem Stuhl davor. Dann kommen Loren Lang (Titurel), Nadine Lehner (Kundry), Christian-Andreas Engelhardt (Klingsor) und Claudio Otelli (Amfortas) hinzu. Eigentlich sind sie in ihren Partien noch nicht dran, aber sie übernehmen auch die Rollen der Knappen und Gralsritter. Es sieht nach konzertanter Aufführung aus. Ganz allmählich verdichtet sich aber die Szene. Fast unmerklich verschiebt und überschreitet Regisseur Marco Štorman die Grenze zwischen konzertanter Aufführung und szenischer Darstellung. Das ist ein faszinierender und auch schlüssiger Ansatz, zumal ein großer Teil des 1. Aktes mit den langen Erzählungen des Gurnemanz ohnehin der Vermittlung der Vorgeschichte dient. Bevor Parsifal auftritt, wird ein Schwanenboot auf die Bühne gerollt, mit Kundry als verwundetem Schwan darin.

Ein böses Vorzeichen, wie sich zeigen wird. Parsifal selbst schwebt in kurzen Hosen vom Bühnenhimmel, einen roten, herzförmigen Luftballon und ein Getränk in der Hand. Hier hat Štorman überzogen, auch in der Charakterisierung Parsifals. Er ist zwar ein Tor, aber hier wirkt er, als ob er einer geschlossenen Anstalt entwichen ist. Aber immerhin versucht er zu verstehen, was er gerade sieht, indem er die Bewegungen der anderen nachahmt und sogar mit dem Chor die Lippen bewegt. Überhaupt der Chor (Einstudierung Barbara Kler): Die Herren marschieren gemessenen Schrittes von den Seiten ein, der Damenchor singt aus den Gängen des Foyers und der Knabenchor (Einstudierung Alice Meregaglia) vom Rang. Ein überwältigendes Klangerlebnis ist die Folge. Auch das Orchester ist inzwischen näher an den Zuschauerraum gerückt. Während der Abendmahlszeremonie wird der Zuschauerraum mittels Leuchtbändern komplett erhellt. Wir sind Teil des Ganzen.

Totaler Stellungswechsel im 2. Akt: Das Orchester sitzt im Graben, auf der Bühne ist eine Art Lagerhalle zu sehen, in der Klingsor sein Zauberreich eingerichtet hat. Er selbst wirkt in seinem weißen Showanzug und mit seinem Stöckchen wie ein abgetakelter Unterhaltungskünstler; ähnlich sind die Soloblumen gezeichnet. Parsifal kommt mit Brustpanzer und Lorbeerkranz daher und wirkt bei den Annäherungen von Klingsors Zaubermädchen eher verlegen. Erst der Kuss Kundrys bringt ihm die Erkenntnis über den Sündenfall von Amfortas. Seine Schlussfolgerung ist allerdings tödlich. Damit es zukünftig keine Versuchung mehr gibt, auch für ihn, ersticht er Kundry und damit das mögliche Objekt seiner Begierde. Zwar hat Kundry im 3. Akt noch ganze zwei Worte („Dienen, dienen“) zu sagen, aber eine Gang von vier Jugendlichen erledigt das, was Parsifal nicht ganz vollendet hat. Ihre Matrosenanzüge erinnern an die Hitlerjugend.

Im 3. Akt wieder ein Stellungswechsel: Das Orchester sitzt erneut auf der Bühne, diesmal aber zunächst sehr weit hinten. Das hat deutliche Einbußen im Klang zur Folge, zumal auch die Solisten weit hinten stehen und der Chor „unsichtbar“ hinter dem Orchester singt. Für den Schluss hingegen rollt es wieder ganz nah nach vorne. Parsifal, jetzt im „seriösen“ Abendanzug, steht regungslos mit erhobenem Schwert an der Rampe. Mehr passiert nicht, wir sind wieder im konzertanten Teil angelangt.

Markus Poschner und die Bremer Philharmoniker, die durch Wagner und Bruckner große Erfahrung mit Repertoire dieses Kalibers haben, bescheren ein Klangfest erster Güte. Poschner schlägt mit gut dreieinhalb Stunden Spielzeit ein flottes Tempo an und liegt damit in etwa bei den Zeiten eines Pierre Boulez (Toscanini hat fast fünf Stunden benötigt). Das Vorspiel, die Verwandlungsmusiken, die großen Chorszenen und die Farbigkeit des Kundry-Aktes – Poschner zaubert, trotz der sich immer verändernden Positionen des Orchesters, einen begeisternden „Parsifal“, der in seinen Temporelationen und seiner Dynamik absolut stimmig ist.

Alle Rollen können aus dem hauseigenen Ensemble besetzt werden. Das ist schon bemerkenswert. Patrick Zielke hat für den Gurnemanz die besten Voraussetzungen. Wenn er voll „aufdreht“ und die Stimme strömen lässt, ist alles bestens. Aber wenn er in die Mezzavoce geht und sich fast bis zum Sprechgesang reduziert, werden manche Phrasen doch etwas brüchig. Nadine Lehner hat für die Kundry nicht unbedingt die ideale Stimme, dafür fehlt es etwas an verführerischer Wärme und Rundung. Aber mit ihrem schlanken, oft dramatisch und ausdrucksvoll geführten Sopran gibt sie der Partie eine ganz eigene und im höchsten Maße faszinierende Prägung. Sie ist trotz ihres Ballettkleidchens weit weniger als üblich nur ein „Werkzeug“ Klingsors, sondern auch ihm eine willensstarke, zynische Gegenspielerin. Mit Christian-Andreas Engelhardt ist der Klingsor hier mit einem Tenor besetzt. Dank seiner subtilen Gestaltungskunst glückt dieses Experiment bestens. Claudio Otelli gibt den Qualen und Schmerzen des Amfortas mit wuchtigem Bariton berührenden Ausdruck. Großartig brechen seine „Erbarmen“-Rufe in den Raum. Loren Lang gibt den Titurel nach besten Möglichkeiten. In der Titelpartie bleibt Chris Lysack zunächst über weite Strecken blass, vor allem neben der Kundry von Nadine Lehner. Erst bei „Nur eine Waffe taugt“ findet Lysack zu guter Form und ringt seinem Tenor schönen Glanz ab.

Wolfgang Denker, 12.09.2016

Fotos von Jörg Landsberg