Bremen: Juan Diego Flórez

Konzert am 05.11.2019

Neue Farben in der Stimme

Einen weiteren Glanzpunkt (nach Elina Garanča) bescherte Juan Diego Flórez in der diesjährigen Reihe „Glocke Vokal“. Flórez, der schon bei seinem Bremen-Debüt vor fünf Jahren im Rahmen des Musikfestes mit einem Liederabend begeisterte, kam diesmal in großer Besetzung mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und mit etwas anderem Repertoire. Rossini, Bellini oder Donizetti tauchten nicht im Programm auf. Im Mittelpunkt standen statt dessen Werke von Giuseppe Verdi – klugerweise die leichteren Partien wie der Duca im „Rigoletto“, der Alfredo in „La Traviata“ oder der Oronte in „I Lombardi“. Das sind Partien, die zu seiner stimmlichen Entwicklung, nämlich zu einer substanzreicheren Mittellage, perfekt passen. Die Leichtigkeit seiner Höhe und die geschmeidige Agilität seines Tenors hat Flórez sich bewahrt.

Gleich die Ballade des Herzogs „Questa o quella“ singt Flórez mit siegesgewissem Charme und großer Eleganz. „Ella mi fu rapita…Parmi veder le lagrime“ (auch aus „Rigoletto“) verlangt emotionale Tiefe und viel Legato. Beides erfüllt Flórez glanzvoll. Die Schlussphrase versieht er sogar mit einem Triller. In Duktus und Aufbau ähnlich ist die Arie „Lunge da lei“ aus „La Traviata“. Auch hier überzeugt Flórez mit feinster Phrasierung und der Wärme seines Tenors. Bei der Cabaletta lässt er es mit fulminanten Spitzentönen virtuos „krachen“. Mit Ausschnitten aus „Attila“, „I Lombardi“ und „I due Foscari“ kommt auch der frühe und mittlere Verdi zu Wort. Die schmerzvolle Romanze des Foresto (aus „Attila“) gestaltet Flórez mit effektvollen, lang ausgehaltenen Spitzentönen. Bei der Arie „Brezza del suol natio“ und der anschließenden Cabaletta aus „I due Foscari“ zeigt er expressive Dramatik.

Das von Jader Bignamini kompetent und spannungsvoll geleitete Orchester steuert in diesem ersten Teil neben der Ouvertüre zu „Nabucco“ und dem Vorspiel zu „La Traviata“ als Rarität die noch an Donizetti erinnernde Ouvertüre zu „Un giorno di regno“ bei – ein schwungvolles, hier sehr spritzig musiziertes Stück.. Im zweiten Teil gibt es dann noch den Ungarischen Marsch aus „La damnation de Faust“ und das Intermezzo aus „Cavalleria rusticana“.

Dieser zweite Teil wird mit den bekanntesten Lehár-Schlagern eröffnet: „Dein ist mein ganzes Herz“, „Gern hab’ ich die Frau’n geküsst“ und „Freunde, das Leben ist lebenswert“. Aber hier ist Flórez nicht wirklich zu Hause. Er zieht sich zwar achtbar aus der Affäre, aber die Kraft in der Mittellage reicht nicht ganz. Dafür ist er bei „Pourquoi me réveiller“ aus „Werther“ wieder ganz in seinem Element, da stimmt einfach alles. Auch die „Blumenarie“ aus „Carmen“ serviert Flórez mit viel Gefühl, mit viel Ausdruck und einem wunderschönen Piano am Schluss. Glanzstück ist aber „Che gelida manina“ aus „La Boheme“, das so leicht und schwärmerisch erklingt, wie man es selten hört.

Ohne Zugaben lässt das Publikum Flórez natürlich nicht gehen. Insgesamt sechs Zugaben werden es! Und die sind überraschend und sorgen für eine ganz intime Stimmung. Flórez setzt sich nämlich auf einen Stuhl und begleitet sich selbst auf der Gitarre. Der Tango „El dia que me quieras“ (von Carlos Gardel) ist ebenso dabei wie „Cielito lindo“ (von Cortés) oder „Cucurrucucú paloma“ (von Tomás Mendéz). Das sind wahrhaft beglückende und bezaubernde Momente. Zum Ende (dann wieder mit Orchester) zwei Nummern, die wohl jeder gern singt: „Granada“ (von Agustin Lara) und „Nessun dorma“ (aus „Turandot“). Tenor bleibt eben Tenor.

Wolfgang Denker, 06.11.2019

Fotos von Kay Michalak