Dortmund: „Nabucco“

Premiere: 10.3.2018

Mustergültige Aufführung

„Nabucco“ in Dortmund ist ein Ereignis, musikalisch wie szenisch, auch wenn die Bühnenfassung des Intendanten Jens-Daniel Herzog auf ziemlich massive Publikumsablehnung stieß. Verdis dritte Oper ließ den Komponisten nach dem Misserfolg des „Un giorno di regno“ von seiner Erklärung, nie mehr für die Bühne schreiben zu wollen, wieder abrücken. Mit dem Gefangenenchor „Va pensiero“ schenkte er der Welt dann sogar ein Stück Musik, welches mit seiner eindringlichen, emotional in die Tiefe des Herzens dringenden Melodik zu einer heimlichen Nationalhymne Italiens wurde. Der verstärkte Dortmunder Opernchor (Einstudierung: Manuel Pujol) singt ihn in höchstem Maße eindringlich und herzbetörend.

Motonori Kobayashi seinerseits setzt im Orchestergraben Verdis Oper gewissermaßen unter Strom, scheut sich nicht vor „Knalleffekten“, welche der noch nicht in jeder Hinsicht ausgereiften Partitur aber nun einmal innewohnen. Unter seiner anfeuernden Hand scheint das „Risorgimento“ aufs Neue Klanggestalt zu gewinnen. Großartig die Dortmunder Philharmoniker.

Verdis Musik würde ihren Weg jederzeit natürlich auch ohne solche Unterstützung machen. Szenisch will „Nabucco“ allerdings für das Heute erobert sein. Was an Orten wie der Arena von Verona häufig an inszenatorischer Äußerlichkeit stattfindet (gilt auch für „Aida“) kann für eine von Regieambitionen geprägte, teilweise sicher auch übergeprägte Theaterlandschaft wie Deutschland kaum Vorbild sein. Ein kluger Kopf hat in Bezug auf „Nabucco“ von „biblischem Boulevardtheater“ gesprochen. Solch abschätziger Bemerkung begegnet Jens-Daniel Herzog, diesen Trend erkennend, mit einer höchst ambitionierten Interpretation. Doch nirgends setzt sich der Regisseur selbstgefällig in Szene.

Dass zur Ouvertüre sogleich der Vorhang aufgeht und die Musik bebildert wird, mag erst einmal zu rezeptionellem Widerstand führen. Aber auf Mathis Neidhardts raumgegliederter Drehbühne wird sinnfällig gezeigt, was sich hinter den Kulissen der Politik so alles abspielt. Zunächst sieht man Abigaille rauchend und sinnierend, dann Nabuccos Arbeitszimmer (Kommandozentrale), weiter eine Fülle von Soldateska sowie das sich einstweilen noch bei einer Tanzfeier vergnügende israelische Volk (hier machen die Kostüme von Sibylle Gädeke besonderen Eindruck). Eine eingefrorene Begrüßungszeremonie zwischen ihrer Führungsspitze und den Repräsentanten der feindlichen Babylonier könnte an die aktuellen Vorgänge in Korea erinnern.

Prinzipiell versucht die Regie aber nicht, auf reale Vorgänge anzuspielen, selbst wenn Herzog mit dem Gefangenenchor an die Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran (1979 bis 1981) erinnert. Das vordergründige Liebeskarussell bei Abigaille, Fenena und Ismaele lässt ohnehin an erotische Episoden so mancher internationaler Politiker denken. Aber sehr viel mehr würde die ziemlich plakative Dramaturgie der Oper nicht aushalten. Bodenständig ist freilich die Schilderung von Machtkämpfen und Intrigen, wie sie sich bei Abigaille und Nabucco abspielen. Und wenn die Israeliten, unter ihnen die für ihren Glaubensübertritt mit Blendung bestrafte Fenena, von Gewehrsalven niedergemäht werden und der Oberpriester des Baal (kleine, aber wichtige Intrigantenrolle, gut ausgefüllt von Morgan Moody) über die Leichen stapft und einen noch Lebenden eigenhändig erschießt, weiß man kaum noch wohin mit seinen Gedanken.

Für das Heute nicht mehr gangbare „lieto fine“ der Oper hat Regisseur Herzog eine überzeugende, regelrecht beklemmende Lösung gefunden. Der wie Shakespeares Lear wahnsinnig gewordene Nabucco, welcher von seinen einstigen Untergebenen mit frivolem Übermut in einem Rollstuhl (als Thronersatz) über die Bühne geschaukelt wird, erlebt eine Vision: die Toten erheben sich, das Fest des Beginns hebt neu an. Abigaille schmiegt sich in den Schoß Nabuccos, seine Tochter wie einst, bevor sie von ihrer niederen Herkunft erfuhr. Der stiere Blick von Sangmin Lee ins Auditorium ist nachhaltig verstörend.

Der koreanische Bariton, vor Ort u.a. als Germont und Mandryka ereignishaft erlebt, ist nicht nur ein superber, belcantoversierter Sänger, sondern auch ein szenebeherrschender Darsteller, als Nabucco changierend zwischen Überheblichkeit und Zusammenbruch. Ihm ebenbürtig die Niederländerin Gabrielle Mouhlen als Abigaille. Sie bewältigt die fast unsingbare Partie mit bestechender Sicherheit, auch wenn die Power von Vokal“furien“ wie Maria Callas, Elena Suliotis, Maria Guleghina oder Ghena Dimitrova nicht ganz erreicht wird. Dennoch beeindruckt ihre vokale Attacke, die zarten Phrasen in heikler Höhe wiederum imaginieren ihre Traviata-Vergangenheit. Als ehrgeizige Karrieristin ist sie äußerst bühnenpräsent.

Stimmlich verwöhnt wird man von Almerija Delic (Fenena) und Thomas Paul (Ismaele); beide auch als Darsteller überaus glaubhaft. Bei Karl-Heinz Lehner (Zaccaria) imponiert nicht zuletzt, wie er die Äußerungen eines entflammten Fundamentalisten und eines religiösen Trostspenders zu einer Figurenganzheit formt. Sein machtvoller Bass deckt das Aufrührerische wie auch das sakral Getönte der Partie gleichermaßen überzeugend ab. Die Qualität des Ensembles erweist sich auch bei kleinen Partien wie Abdallo (Fritz Steinbacher) und Anna (Enny Kim).

Dass das musikalische Niveau des Premierenabends stark akklamiert wurde, ist absolut rechtens, die starke Verweigerung des Publikums gegenüber der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog bleibt freilich bedauerlich und befremdlich. Dies gilt auch – vielleicht eine persönliche Empfindlichkeit – für den ständigen Zwischenbeifall.

Verdis Musik provoziert ihn, natürlich, und die Sänger genießen ihn wohl auch ein wenig. Indem er von der Musik dann aber meist wieder rasch überdeckt wird, darf man auch von Indigniertheit ausgehen. Immerhin: bei der Erschießungsszene wurde nicht applaudiert.

Christoph Zimmermann 11.3.2018

Dank für die aussagekräftigen Bilder an (c) Thomas Jauk / Stage Pictures