Erfurt: „Otello“

Premiere am 24. Mai 2014

Schach dem schwarzen Läufer

Die Premiere beginnt furios. Auf einer sich hebenden und senkenden Bühne stehen die Protagonisten erregt und erwartungsvoll. Doch der Schiffsboden ist schwankend. Dieses Auftaktbild, getragen von Verdis musikalischer Wucht, weckt beim Publikum große Erwartungen. Eingekleidet sind alle in Uniformen, die wohl an italienische Uniformen des 2. Weltkrieges erinnern. Entwickelt wird ein grandioses Gesangs- und Sinfonisches Bild von einem Sturm, der zur Katastrophe führt.

Tyrone Paterson (Musikalische Leitung) dirigiert das Erfurter Orchester zu dieser anfänglich atemberaubenden Intensität. Eindrucksvoll präsent wirken auch die Sänger. Marc Heller (Otello) ist ein ausgezeichneter Sänger und ein sehr guter Schauspieler, der intensiv in seine Rolle hineinschlüpft. Trotzdem fehlt ihm vom Typ her und stimmlich ein Element wilder Substanz, das bei Otello nicht ganz fehlen darf. Unter Guy Montavons (Inszenierung) bleibt er bis zum kompletten Ausbruch rasender Wut mehr der langsam Gärende mit grüblerischen Akzenten.

Ihm gegenüber steht Ilia Papandreou (Desdemona), die gesanglich und schauspielerisch die Aufführung wirklich überstrahlt. Sie wirkt am stärksten in den weichen, stimmungsvollen Augenblicken, im Elegischen.

Ilija Papandreou, Marc Heller.

Marc Hellers (Otello) Temperamentsausbrüche muten dagegen manchmal zu äußerlich an. Dieser Feldherr ist energisch nur nach außen, aber in Wirklichkeit ein komplexbeladenes Nervenbündel. Man kann den Otello so auffassen, wie Guy Montavon seine Personenführung strickt. Eine Frage, die sich dramaturgisch stellt ist, ob Montavons Regie die Figuren aus ihrem Charakteragieren zeigt oder ob er sie jeweils ihrer Typologie vorführt. Hier eine Linie zu finden fällt schwer, da eine anhaltende Düsterkeit der verschiedenen Bühnenbilder und die gleich wirkenden Uniform die Kenntlichkeit der Bühnengestalten mehr verdunkelt als erhellt. Ganz schwierig wird es, wenn grelles Scheinwerferlicht auf das Publikum gerichtet ist und noch Silhouetten wahrnehmbar sind.

Überhaupt sind es diese ortlosen Räume, mit denen Bühnenbildner Francesco Calcagnini (Ausstattung) und Torsten Bante (Licht) den Bühneneindruck so stark reduzieren, dass viele Szenenbilder sich als Plakativeffekte zu deutlich aufdrängen. Zu sehr gleitet die Inszenierung dadurch in Schwarz-Weiß-Eindrücke ab, der Pastelltöne ganz fehlen, abgesehen vielleicht vom grün bemoosten Schachbrett mit Riesenspiegel darüber.

Juri Batukov (Jago) imaginiert den Listigen sehr wirkungsvoll mit dem Trinklied, er spickt seine Arie mit ätzenden Sarkasmus und mutet hier sehr überzeugend an, doch so durchtrieben glaubwürdig ist er nicht durchgängig. Das Listig-Kaltblütige könnte mehr mitschwingen. Den neidzerfressenen Strategen will man ihm nicht immer abnehmen. Den sich als gescheitert Erkennenden spielt und singt er allerdings ganz beeindruckend. Schade nur, dass Montavons Regie sich über den originalen Plot hinwegsetzt und Vazgen Ghazaryan (Ludovico) ihn erschießt. Dieser Pyrroeffekt mit Doppelknall vermag zwar viele Zuschauer zu erschrecken, fügt aber der Inszenierung keine essentielle Wertschöpfung hinzu. Denn gerade die Eigenerkenntnis der furchtbaren Schuld führt zur Selbstvernichtung Otellos, darin besteht ja gerade die Tragik. Otello begreift, dass seine persönlichen Eigenschaften ihn zum Spielball der Intrigen gemacht haben. Jago konnte nur provozieren, was schon bei ihm angelegt war. Marc Heller (Otello) singt diesen innerlich Zerstörten eindringlich und in seinem Schmerz nachvollziehbar. Die Erschießung wirkt da eher als dramaturgischer Missgriff. Manchmal ist weniger eben mehr.

Sängerisch ist das Otello und Desdemona Duett sehr eindrucksvoll und gelungen. Vor allem Ilia Papandreou (Desdemona) zeigt ihr Können mit einer brillanten Farbigkeit von glockenhell bis dunkel verzweifelt. Nicht immer trifft Marc Heller (Otello) so alle Töne. Leider werden gerade die innigen Szenen von der Bühnendramaturgie nicht bildlich unterstützt, zu weit steht das Paar auseinander. Spielerisch entsteht so Diskrepanz zwischen Gesungenem und Gespielten. Gerade das Liebespaar wirkt dadurch deklamiert und zu wenig lebensvoll. Die Zärtlichkeit geschieht im Gesang, aber nicht im gespielten Geschehen. Schade ist dies auch hier, weil ein spielerisch-warmer Kontrast zur kalt-neutralen düsteren Bühne entstanden wäre, so bleibt eine grob-holzschnittartige Wirkung in der Bildwirkung. Die Chance zur Empathie des Publikums mit dem liebenden Paar wird gerade an diesen Stellen von der Personenregie vergeben. Das Otello und Desdemona Duett: „Die dunkle Nacht ist gekommen“, wird vom Orchester unterstützt mit einem gefühlvollen Solo–Cello-Sound.

Tyrone Paterson versteht es, das Orchester in schönen dynamischen Bögen zu führen. Nur manchmal, bei den lauteren Stellen, scheint sein Temperament mit durchzugehen und er treibt das Orchester zu einer Lautstärke, der die Sänger nicht immer gewachsen sind. Ein kleines Problem, das sicher noch in kommenden Vorstellungen gelöst wird. Insgesamt gelingt es Tyrone Paterson das Erfurter Orchester mit diesem Furor zu beseelen, die diese späte Verdi-Oper braucht, er gestaltet ohne Zweifel eine bemerkenswerte Leistung.

Marwan Shamiyeh (Cassio) entspricht gut seiner Rolle als trottelig Dreinstolpernder, der garantiert alle Fettnäpfchen mitnimmt. Vazgen Ghazaryan (Ludovico) wirkt gesanglich diesmal nicht ganz überragend wie sonst, vielleicht ist die Partie nicht komplett seiner Stimmlage entsprechend. Henriette Gödde (Emilia) verkörpert Jagos Ehefrau als zweifellos Naive, die geplagt von ihrem Gewissen den teuflischen Plan verrät. Stimmlich auch sehr überzeugend. Souverän, wie gewohnt, singt mit sattem Bass Gregor Loebel (Montano). Der Philharmonische Chor, geleitet von Andreas Ketelhut, setzt seine musikalischen Aufgaben präzis um und sorgt für Bewegung auf der Bühne.

Der Vorhang fällt und das Erfurter Publikum applaudiert verhalten für die Inszenierung. Den Sängern, allen voran Ilia Papandreou (Desdemona), zollt man für Gesangsleistung frenetischen Respekt. Vielleicht löst Guy Montavons Inszenierung mehr Verwirrung als Verständnis für das Stück aus. Selbst sehen ist natürlich die beste Möglichkeit für eine eigene Urteilsbildung. Bleibt noch anzumerken, dass die geplante Kooperation mit Genua ausfallen muss, weil das Opernhaus dort sogar zeitweilig schließen muss, aus Geldmangel.

Thomas Janda 27.5.14

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