Vorstellung: 28. 2. 2015
Eine Wiederentdeckung
Im Oktober 2013 lautete der letzte Satz meiner Rezension der konzertanten Aufführung der Oper „Sigurd“ von Ernest Reyer in Genf für den Online-Merker: Es wäre reizvoll, Reyers Oper „Sigurd“ in einer szenischen Aufführung auf einer Bühne erleben zu können. Appetit darauf hatte diese konzertante Vorstellung allemal gemacht.
Nun bereitete das Theater Erfurt den Opernliebhabern diese Freude und brachte Ende Jänner das musikalisch großartige und bühnenwirksame Werk in einer Inszenierung des Generalintendanten Guy Montavon zur Deutschen Erstaufführung. Ideal passend zum Spielzeitmotto „Geliebter Feind“. Uraufgeführt 1884 im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, wurde die Oper danach in London, Lyon, Paris und an der Mailänder Scala gezeigt, ehe sie in Vergessenheit geriet. Die große Tradition der französischen Grand opéra war vorbei.
Die Handlung der Oper, die auf das Nibelungenlied und der Edda fußt, und deren Libretto von Camille du Locle und Alfred Blau verfasst wurde, in Kurzfassung: Der Burgunderkönig Gunther hört von der auf einem Felsen gebannten und durch einen Zauber geschützten Brunehild und beschließt, sie zu befreien. Dasselbe Ziel hat auch Sigurd, der gekommen ist, um Gunther zum Zweikampf aufzufordern. Gunthers Schwester Hilda liebt Sigurd insgeheim und lässt ihm einen Vergessenstrank reichen. Dadurch betäubt, erklärt sich Sigurd bereit, Brunehild für Gunther zu gewinnen. Es gelingt ihm, den Zauber zu brechen und Brunehild zu Gunther zu bringen. Zum Lohn soll er die Hand Hildas erhalten. Obwohl Gunther gegenüber Brunehild beteuert, dass er der Held war, der sie befreite, ahnt sie, dass Sigurd verzaubert worden sein muss. Nachdem der Betrug aufgedeckt worden ist, töten Gunther und Hagen Sigurd. Brunehild steigt mit ihm ins Reich Odins auf, Hilda ruft Attila zur Rache auf.
Der Regisseur baute um das Stück eine Rahmenhandlung und lässt den ersten Akt im zerbombten Worms nach 1945 spielen, wo in einem Spital Hilda ihre Geschichte vom Krankenbett aus erzählt. Auf der Bühne beseitigt der Chor die Bombentrümmer, wobei er Steinklopfarbeiten zu verrichten hat. Ideen, die sich entbehrlich zeigten. Aus der Finsternis erscheint ein Barde, der die Brunehild-Sage verkündet. Die Inszenierung von Guy Montavon besticht trotz einiger Merkwürdigkeiten durch starke Massenszenen und eindrucksvolle Bilder, wie das Flammenmeer vor der Eiswelt Islands (Bühnenbild: Maurizio Balò), sowie die sagenhaft prunkvollen Kostüme (Entwürfe: Frauke Langer).
Das internationale Sängerensemble Erfurts bot wie immer eine hohe Qualität. In der Titelrolle steigerte sich der amerikanische Tenor Marc Heller von Szene zu Szene. Er konnte seine helltönende Stimme schließlich gut zur Geltung bringen. Überragend die griechische Sopranistin Ilea Papandreou als Walküre Brunehild, die das Publikum stimmlich wie darstellerisch überzeugen konnte und verdientermaßen Szenenapplaus erhielt.
Ihre Rivalin um die Liebe Sigurds, Hilda, die Schwester Gunthers, wurde von der niederländischen Sopranistin Marisca Mulder dargestellt, die vom Regisseur wohl mit der undankbarsten Rolle betraut worden war. Sie musste im Krankenbett liegend singen und ihre seelischen Qualen durch Gesten ausdrücken, was ihr zwar recht gut gelang, dennoch blieb der Eindruck zwiespältig, wenn sie – begleitet von ihrer Krankenschwester (von Katja Bildt gespielt) – plötzlich die Bühne betrat und dort weitersang.
Überzeugend der türkische Bariton Kartal Karagedik als Gunther, König der Burgunder, und der Armenier Vazgen Ghazaryan, der mit finsterer Bassstimme die Rolle des hinkenden Hagen gab. Sie waren ein eindrucksvoller Gegenpol zum strahlenden Helden Sigurd.
Die erstklassige Ensembleleistung unterstützten noch der russische Bassbariton Juri Batukov, der seine tragende Stimme dem Priester Odins lieh, und der ungarische Bariton Máté Sólyom-Nagy, der seinen großen Auftritt schon zu Beginn als Barde hatte. Mit besonderer Stimmgewalt agierte der Opernchor des Theaters Erfurt, der noch von Mitgliedern des Philharmonischen Chors Erfurt verstärkt wurde (Einstudierung: Andreas Ketelhut).
Für die exzellente Wiedergabe der farbig schillernden Partitur des Komponisten, die wild-romantische, aber auch lyrisch-zarte Klänge aufweist, sorgten das Philharmonische Orchester Erfurt und die Thüringer Philharmonie Gotha, die von der blutjungen Dirigentin Joana Mallwitz mit Temperament und Feingefühl geleitet wurden.
Im Programmheft wird unter anderem der Frage nachgegangen, ob man Reyer als Wagnerianer bezeichnen könne. „Auch wenn im Nachhinein Reyer als einer der ersten und gar der erste französische Wagnerianer bezeichnet wurde, ist diese Etikettierung mehr als fragwürdig.“ Im weiteren Text des Artikels wird darauf hingewiesen, dass Reyer zwar als Publizist eine positive Tannhäuser-Rezension schrieb, aber Wagners Werke während seiner Arbeit am „Sigurd“ nur bis Lohengrin kennen konnte.
Am Schluss der dreistündigen Vorstellung lang anhaltender, frenetischer Applaus des Publikums im gutbesuchten Haus für alle Mitwirkenden – mit Bravorufen für Brunehild-Darstellerin Ilea Papandreou sowie für die beiden Orchester und dessen Dirigentin Joana Mallwitz.
Udo Pacolt 3.3.15 (Dank an Merker-online)
Foto: Lutz Edelhoff / Theater Erfurt
PS
Die Oper „Sigurd“ von Ernest Reyer wird in Erfurt noch am 7. und 22. März 2015 aufgeführt.