Freiburg: „Il Tabarro“ / „Herzog Blaubarts Burg“

Premiere am 26.04.2014

Zwei Stücke passend gemacht?

Während der Instandsetzungsarbeiten der Bühnentechnik im Freiburger Theater bis zum Ende der Spielzeit dient die Theaterhalle auf dem Gelände der Brauerei Ganter am Rande der Innenstadt an der Dreisam als Ausweichquartier. Hierfür wurde eine Leichtbauhalle mit einer gerade aufsteigenden Tribüne und Platz für knapp 600 Besucher errichtet. Bühne und Orchester befinden sich ebenerdig; Bühnentechnik über Beleuchtungseinrichtungen hinaus ist nicht vorhanden. Der Hinterbühnen- und Künstlerbereich ist in Containern untergebracht. Die Spielfläche stößt vorne gleich an den Zuschauerbereich an; die Akteure können über drei Monitore am Rand der sehr breiten Spielfläche dem Dirigenten folgen, der das im hinteren Bereich sitzende Orchester leitet. Die akustische Abstimmung zwischen Solisten und Orchester war gut; in der Halle herrscht eine sehr präsente, transparente Akustik. Sehr präsent, aber weniger transparent war an diesem Abend das Geräusch eines niedergehenden kräftigen Gewitterschauers und der damit verbundene Donner; man freute sich wohl über den lang ersehnten Regen; aber während etwa fünf Minuten in Herzogs Blaubarts Burg übertönten die Naturgewalten zwanglos das musikalische Geschehen des Opernabends.

IL TRITTICO (Das Triptychon) von Giacomo Puccini erfreut sich in den letzten Jahren wachsender Beliebtheit; aber nicht nur bestimmungsgemäß als Dreifachopernabend, sondern auch als „Steinbruch“ zur Gewinnung von Doppelpartnern für andere Kurzopern. Vor allem Il tabarro und Gianni Schicchi bieten sich an. Von Bartók gibt es den Solitär „Herzog Blaubarts Burg“; den hat man schon mit allem Möglichen kombiniert; als denkwürdigste Zusammenspannung muss wohl immer noch der Frankfurter Doppelabend mit Purcells „Dido and Aeneas“ gelten (Insz. Barrie Kosky). Bei dieser Frankfurter Zusammenschaltung steht im Programmheft wahrheitsgemäß, dass diese beiden Opern nur eins gemeinsam haben: sie brauchen eine weitere Kurzoper zur Gestaltung eines abendfüllenden Programms. Nun kam im Theater Freiburg die sicher neuartige Kopplung des Blaubart mit dem Tabarro aus dem Trittico heraus. Stilistische Gemeinsamkeiten sind auch bei dieser Kopplung Fehlanzeige; aber immerhin bringt man vor, was die beiden Kurzopern gemein haben. Am auffälligsten ist das gemeinsame Uraufführungsjahr 1918 der jeweils einige Jahre zuvor entstandenen Stücke. Dann handelt es sich bei beiden Opern um düstere Nachtstücke; Il tabarro spielt wirklich am Abend und in der Nacht; in Herzog Blaubarts Burg wird die dunkle, blutbedeckte Burg thematisiert als Abbild seiner finsteren unzugänglichen Psyche, in die seine letzte Frau Judith durch Öffnen von sieben Türen Licht zu bringen bemüht ist, d.h. Heiterkeit und Liebe.

Der Mantel: Juan Orozco, Christina Vasileva

Bei diesem Doppelabend (Il tabarro wird zuerst gezeigt) bemüht sich der Regisseur Jörg Behr allerdings, auch durch szenische Elemente die beiden Opern zu verklammern, was zum einen kaum störend ist, zum anderen aber eine rein äußerliche Übung bleibt und glatt an der vertiefenden Psychologiestudie des zweiten Teils vorbeiführt. Die Verklammerung erfolgt auch über das Einheitsbühnenbild über die riesig breite Spielfläche für beide Stücke von Tilo Steffens. Dieser hat ein halbes Dutzend Flachdachkabinen mit Türen aufgestellt. Aha, sagt sich der Zuschauer, da stehen sie schon, die Türen von Blaubarts Burg; aber warum sind es nur sechs und warum sind sie alle schon offen? Für den „Mantel“ hätte es hingegen nur einer einzigen Kajüte bedurft. Aber das Bühnenbild ist hier den räumlichen Gegebenheiten der Halle mit seiner enormen Breite angepasst, und mehr Hütten schaffen mehr Bewegungsmöglichkeiten, für die auch die ganze Breite vom Regisseur ausgenutzt wird. Dagegen bleiben die Seine und das Flussschiff der Fantasie der wissenden Zuschauer vorbehalten.

Der Mantel: Christina Vasileva, Adriano Graziani

Da Herzog Blaubarts Burg über einen gesprochenen Prolog verfügt, wird auch Il tabarro mit gesprochenen Versen eingeleitet. Danach bevölkert die Tabarro-Mannschaft die Bühne und stellt Requisiten auf: einige auf einem Hubwagen herangefahrene Paletten mit Weinkartons, ein paar Kisten und sonstiger Plunder. Dann erfährt man während der Ouvertüre etwas von der Vorgeschichte der Oper. Das Kind Giorgettas und Micheles fährt mit einem Dreirad über die Bühne, wird hinter einer der Hütten von einem Auto erfasst und getötet. Diese Szene wird von Darstellern gespielt, die später die beiden Hauptfiguren doppeln (merkwürdiger Weise im Programm jeweils „alter ego“ genannt, was unzutreffend ist, denn die beiden stummen Rollen gelten Giorgetta und Michele in jüngeren, glücklicheren Jahren; ihr Erscheinen auf der Bühne während der Oper drückt jeweils Gedanken an die Person oder Erinnerung an früher aus. Standardhandwerkzeug der Regisseure.) Sehr gut gelingt die Milieu-Schilderung im ersten Teil dieser veristischen Oper und die Charakterisierung der Akteure. Aber bei der Umsetzung des Geschehens (viel geschieht eigentlich gar nicht, weil vieles nur Schilderung ist), bleibt die Regie von szenischem Realismus zeitweise etwas entfernt; sehr naturalistisch hingegen der Zweikampf zwischen Michele und Luigi, der zum Tod des letzteren führt, dessen Leiche unter einem noblen weißen Mantel verborgen wird. Die naturalistisch-funktionellen Kostüme sind von Marc Weeger.

Der Mantel: Juan Orozco, Adriano Graziani (liegend), Christina Vasileva

Zu Beginn von HERZOGS BLAUBARTS BURG befindet sich noch die Belegschaft des Tabarro auf der Bühne, ebenso wie die Requisiten des vorhergehenden Stücks (Verklammerung!) Als die Bühne von Personen und Gegenständen freigeräumt ist und der Prolog (auf Deutsch) gesprochen ist, kommen Judith und der Herzog in einem schicken Sportwagen auf die Bühne gerollt. Sie im Hochzeitskleid, er wie eine Erscheinung aus der Halbwelt im Dreiteiler, offenen Hemd und Hut (Kostüme wiederum: Marc Weeger). Frisch verheiratet! Die Türen der sechs Kabinen auf der Bühne sind nun doch nicht die Türen zu Blaubarts geheimen Räumen; das wäre zu vordergründig gewesen; vielmehr bleiben diese Türen teilweise imaginär, es kommt ja auch mehr auf das an, was sich dahinter verbirgt. So steigen die beiden über eine Leiter auf eine der Hütten, von wo aus die weiten Ländereien Blaubarts besichtigt werden können; seine unermesslichen Schätze kommen aus dem Polsterkissen eines hereingefahrenen Sofas; die Tränensee wird durch wabernde Dämpfe im Inneren der Sportkarosse dargestellt; die diesbezügliche Tür ist der Kofferdeckel des Wagens. Das alles ist durchaus spannend. Inzwischen haben sich auch schon die drei „verstorbenen Frauen“ Blaubarts ins Bild geschoben – alle ähnlich mit platinblondem Haar und langen weißen Gewändern. An den Auspuff des Sportwagens schließen sie einen Schlauch an, dessen anderes Ende ins Innere des Wagens gelegt wird. Nachdem Blaubart seine vierte Frau als Nachtgemahlin schwarz eingekleidet und dann erstochen hat, will er mit seinem Sportwagen davonfahren; aber er erstickt im Auto… Der Blumenstrauß, den Michele im Tabarro seiner Frau zur Wiederannäherung mitgebracht hat, spielt ebenso wieder im Blaubart mit wie der große weiße Mantel und sogar die doppelnde Frauenrolle der Giorgetta. Die Absicht des Regisseurs, die Stücke zu verbinden, gipfelt aber in der Szene des Tränensees. Wieder kommt das Kleinkind auf seinem Dreirad angeradelt und stößt – diesmal sichtbar auf der Bühne – gegen den stehenden Sportwagen; die doppelnden Figuren aus dem Tabarro tragen es tot fort. Regisseur Jörg Behr zieht hier dem verinnerlichten Spiel zu Zweit (Judith will durch das Öffnen der Türen Licht in die Burg und die Seele des finsteren Herzogs bringen.) die Ablenkung durch eine unmotivierte Äußerlichkeit vor.

Herzog Blaubarts Burg

Das Ringen zwischen Judith und dem Herzog ist auch in der Musik abgebildet. Dass das unter die Haut ging und nachhaltig beeindruckte, ist das Verdienst von GMD Fabrice Bollon und des Philharmonischen Orchesters Freiburg, das an diesem Abend in Bestform aufspielte. Immer wieder fällt das Orchester in Blaubarts Burg in fast einlullende Ostinati der tiefen Streicher zurück, und nach den immer wieder harten „Judit!“ des Herzogs brechen die großartigen Farben der Partitur lautmalerisch oder programmatisch zur Entwicklung des Bühnengeschehens in immer stärkeren Emotionen aus. Härter und expressionistisch – wie der Duktus der ungarischen Sprache, in der der Blaubart gesungen wird – erklingt Bartóks Musik im Vergleich zum Italienischen des vorangegangenen Puccini, dessen harmonische Rückungen impressionistisch wirken. Dabei sind Puccinis komponierte Befindlichkeiten weitaus leichter zugänglich, weil ganz konkret mit dem Bühnengeschehen verbunden: vom beruhigenden Fließen der Seine und den heiteren folkloristischen Milieu-Passagen bis zu den hochdramatisch emotionalen Passagen reizte das Orchester in Dynamik und Ausdruckskraft die Partitur aus. Es war der Abend des Freiburger Orchesters und seines Leiters, der zudem immer sängerfreundlich abstufte, wozu noch die Tatsache beitrug, dass die Sänger im Schnitt über fünf Meter näher zum Publikum agierten als die Instrumentalisten.

In DER MANTEL stimmlich und darstellerisch sehr präsent war die bulgarische Sopranistin Christina Vasileva in der Rolle der Giorgetta. Zwar klang ihre Stimme in der glasklaren Akustik der Halle in der Höhe etwas hart, aber sowohl in Klarheit und Linienführung als auch in der Kraftentfaltung bestach ihr heller Sopran. Mit Adriano Graziani als Luigi war ein Gasttenor mit großer Strahlkraft und der Geschmeidigkeit eines Puccini-Helden engagiert, die er mit recht mühelos erscheinender Kraftentfaltung ohne Schärfe zu verbinden wusste. Sein schauspielerischer Einsatz als Aufmüpfer gefiel gut. Die dritte Hauptrolle, die des Michele, sang Juan Orozco vom Freiburger Ensemble. Er machte aus dem Schiffseigner mit sozialer Verantwortung einen Sympathieträger, zu welchem auch sein geschliffen-eleganter Bariton wie auch seine Kostümierung elegant im Dreiteiler beitrug. Den mörderischen Eifersuchtsausbruch und Zweikampf mit dem jüngeren Luigi mochte man ihm indes nicht so abnehmen. Auch die Regie war hier nicht glaubwürdig; denn Luigi hatte von seinem Standpunkt auf dem Dach einer der Kabinen Michele beim Anzünden der Zigarette gar nicht sehen können. In den Nebenrollen gefiel die Frugola der Qiu Ying Du mit erfrischend humoristischem Spiel und leichtem, schlankem Mezzo. Evert Sooster, Dauergast in Freiburg, gestaltete mit kernig-kraftvollem, aber ziemlich eindimensionalem Bass die Rolle des Talpa; und Shinsuke Nishioka bewährte sich mit geschmeidig-feinem Tenor als Tinca. Die Textverständlichkeit aller Sänger war sehr ordentlich.

Herzog Blaubarts Burg

Die beiden Rollen in HERZOG BLAUBARTS BURG konnte das Theater Freiburg mit Muttersprachlern besetzen. Der harte Klang dieser Sprache gab den Dialogen das entscheidende Stück Authentizität. Viktoria Mester ist international auf die Rolle der Judith abonniert; sie sang diese Rolle in Freiburg nuanciert und expressiv bis emotional, gefiel stimmlich mit ihrem warm grundierten Mezzo und viel Leuchtkraft in der Höhe und wirkte glaubwürdig in der Rolle der Frau, die den verstockten Blaubart für sich gewinnen will. Für letzteren war Levente Molnár besetzt, der über den für diese Rolle erforderlichen kraftvoll-dunklen und tiefgründigem Bassbariton verfügt, mit dessen Substanz er restlos überzeugen konnte.

Das Premierenpublikum nahm den gelungenen Doppelabend sehr gut an. Er kommt vom 30.04. bis zum 11.07.2014 noch insgesamt zwölf Mal in der Thaterhalle auf dem Ganter-Gelände.

Manfred Langer, 28.04.2014


Fotos: Maurice Korbel