Hildesheim: „Adelia“

besuchte Aufführung: 10.04.2018

Hinreißende Belcanto-Rarität im modernen Gewand

Lieber Opernfreund-Freund,

wenn man eine derartige Rarität ausgräbt, wie es das TfN in Hildesheim mit der deutschen Erstaufführung von Donizettis „Adelia“ mehr als 175 nach deren Uraufführung getan hat, ist man in Erkältungszeiten gelegentlich in Bedrängnis. Niemand hat die betreffenden Partien in seinem Repertoire und so ist ein Oliveriero in „Adelia“ im Vergleich zu einem Mario in der „Tosca“ nahezu nicht notzubesetzen. Dass es trotzdem gelingt, ist dem beherzten Einspringen des australisch-irischen Tenors Garrie Davislim zu verdanken, der gestern die genannte Partie von der Seite sang und zusammen mit dem spielenden Haus-Bariton Peter Kubik die Aufführung rettete.

„Adelia? – nie gehört….“ So ging es auch mir, lieber Opernfreund-Freund, als ich im vergangenen Frühjahr die Spielzeitpläne des Theaters in Händen hielt – Grund genug, den Weg nach Hildesheim nicht zu scheuen, um mir diese Ausgrabung für Sie anzusehen. Das 1841 in Rom uraufgeführte Werk konnte erst auf die Bühne gebracht werden – Verdis spätere Ehefrau Giuseppina Strepponi sang dabei die Titelrolle, nachdem sich Gaetano Donizetti und seine Librettisten Felice Romani und Girolamo Maria Marini zu einem Happyend durchgerungen hatten, denn der Stoff war für damalige Verhältnisse heikel. Der so braven wie bürgerlichen Adelia wird nämlich fälschlicherweise ein voreheliches Verhältnis unterstellt zum Edelmann Oliveriero unterstellt, das ihr Vater Arnoldo mit der angeordneten Eheschließung der beiden zu heilen sucht. Die muss der Herzog Carlo widerwillig genehmigen, hatte er doch Arnoldo für dessen Tapferkeit die Erfüllung eines Wunsches versprochen. Doch der Herzog will die Ehe nicht hinnehmen und plant direkt nach deren Schließung die Hinrichtung Olivieros. Als Adelia das erfährt, verweigert sie die Ehe, um das Unheil abzuwenden. Oliviero denkt, sie liebt ihn nicht mehr, und erst, nachdem Arnoldo und damit auch seine Tochter in den Adelsstand erhoben wurden, steht einer gemeinsamen Zukunft nichts mehr im Wege. Die Partitur, die der Meister aus Bergamo dazu ersonnen hat, hat es ebenfalls in sich und weist zahlreiche Parallelen zu seinem Gassenhauer „Lucia di Lammermoor“ auf, beispielsweise ein Sextett zum Ende des ersten Aktes und eine Art Wahnsinnsszene der Titelheldin am Ende. Und doch ist das Werk kein billiger Abklatsch eines Kassenschlagers, sondern voller eigener Charakteristik, beeindruckenden Chorszenen, himmlischer Kantilenen und natürlich halsbrecherischen Koloraturen.

Dass die durchaus früher wieder auf die Opernbühne gehören als in 175 Jahren beweist das flotte Dirigat von Achim Falkenhausen am Pult des Orchesters des TfN, der schon mit atemberaubendem Tempo in den Abend startet und bis zum Ende genügend „Druck auf dem Kessel“ hält, um die wunderbare Partitur in all ihrer Pracht zu Gehör zu bringen. Dass er da und dort die Sänger ein wenig übertüncht, mag an der ungebremsten Begeisterung für das Werk liegen und sei verziehen.

Dass der Abend so wunderbar gelingt liegt gleichermaßen an der durchdachten und einfühlsamen Regie von Guillermo Amaya. Der gebürtige Spanier nähert sich dem Stoff behutsam und holt ihn gekonnt in eine Art zeitloses Jetzt. Auf der modern gestalteten Bühne von Hannes Neumeier dominiert das Weiß, Designermöbel und klare Linien ohne Schnickschnack ersetzen barock anmutenden Prunk und lassen ihn keinen Moment vermissen. Lediglich die schwarz-weißen Kostüme von Franziska Müller, die bedeutungsschwanger mit roten Akzenten spielen, weisen die eine oder andere Historisierung auf. Überhaupt sind Symbole in Amayas Inszenierung klug gesetzt. Der Chor erscheint als Hüter von Zucht, Gesetz und Ordnung und auch Adelia trägt zu Anfang eine so kunstvoll wie streng wirkende Zopffrisur. Im Laufe des Abends, in dem die Figur zusehends die Fassung verliert, löst sich die Haarpracht aber immer mehr, zur Finalszene erscheint Adelia mit offenem Haar. Außerdem beweist die Regie Mut und folgt nicht dem von der Zensur verordneten Happyend, das das Libretto ohnehin in nur wenigen Sätzen recht unglaubwürdig und im Hau-Ruck-Verfahren vollzieht, sondern stellt die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft als Adelias Wahnvorstellung dar. Überhaupt ist das schwache Skript die Achillesferse des Werkes, zu wenig Entwicklung lassen Romani und Marini die Figuren durchlaufen, zu scherenschnittartig bleibt die Zeichnung der Motive, so dass da nur der ewige Opern-Dreiklang aus Macht, Ehre und Liebe bleibt. Das aber tut der gelungenen szenischen Umsetzung und dem klanglichen Genuss keinen Abbruch.

Kim Lillian Strebel ist als Adelia eine echte Entdeckung. Die Britin verfügt über einen ausdrucksstarken, farbenreichen und kräftigen Sopran und spielt einfach hinreißend. Nur da und dort hätte ich mir ein wenig mehr Mut zum Piano gewünscht. Garrie Davislim ersetzt den erkrankten Konstantinos Klironomos nahezu ohne hörbare Schwierigkeiten. Sein feiner Tenor voller Strahl- und Ausdruckskraft macht sogar den Umstand vergessen, dass er den Oliviero nicht selbst spielt, das übernimmt sein Sängerkollege Peter Kubik vorzüglich. Andrei Yvan zeigt als Arnoldo hörbar gerne die Facetten seines Bariton, der über ebenso viel Kraft wie Gefühl verfügt, dafür gestaltet der Bass Uwe Tobias Hieronimi den Herzog Carlo im Dschingis-Khan-Outfit recht eindimensional. Neele Kramer ist mit warmem Mezzo eine gefällige Odetta und Aljoscha Lennert kann als Comino ebenfalls überzeugen. Schier grandios ist die Leistung der Damen und Herren des Opern- und Extrachores des TfN zu nennen. Achim Falkenhausen hat hier die Einstudierung übernommen und die Sängerinnen und Sänger gekonnt zu einer Einheit geformt. Im Graben hält er gestern versiert die Fäden zusammen und garantiert so einen rundum gelungenen Abend.

Mit dieser Ausgrabung ist dem TfN ein echter Coup gelungen und das goutiert auch das zahlreich erschienene Publikum mit lang anhaltendem und begeisterten Applaus für alle Beteiligten. Auch ich habe den Weg nach Hildesheim nicht bereut und kann Ihnen diese Rarität uneingeschränkt ans Herz legen. Den tausendjährigen Rosenstock schaue ich mir dann gerne bei meinem nächsten Besuch an.

Ihr Jochen Rüth 12.4.2018

Bilder siehe unten + Premierenbesprechung