Hildesheim: „Adelia“

Besuchte Premiere und Deutsche Erstaufführung am 10.03.18

…oder die Tochter des Bogenschützen: Unbekannte Belcanto-Perle gehoben

"Adelia oder die Tochter des Bogenschützen" von Gaetano Donizetti, na, wer kennt diesen Titel? Die meisten Leser wohl nicht, selbst bei Freunden des Belkanto-Meisters aus Bergamo findet sich oft ein "weißer Fleck". Dem kann jetzt am Stadttheater Hildesheim, oder vielmehr am Theater für Niedersachsen abgeholfen werden. Dabei ist die Oper die Nummer 64 im Schaffen des Komponisten, glaube ich jedenfalls, und immerhin nach Meisterwerken wie "La Favorite" und "La Fille de Regiment" entstanden, also auf der Höhe seines Könnens. Nach dem Erleben kann ich sagen , böse Umstände müssen den Erfolg verhindert haben. Die Oper klingt einfach prachtvoll, die Melodien sind inspiriert und mitreißend, bestes Sängerfutter. Das Libretto funktioniert besser als manch`andere Belkantohandlung und bietet spannende psychologische Situationen, unter den Librettisten findet sich immerhin Felice Romani !

Die Handlung ist relativ geradlinig: die Bürgerliche Adelia und der Adelige Oliviero haben miteinander ein Liebesverhältnis, daraufhin steht die Todesstrafe. Als Vater Arnoldo, ein kriegerischer Bogenschütze zurückkehrt, erzählt ihm der Chor davon, auch der Herzog Carlo, dessen Günstling Oliviero ist, dringt auf Einhaltung der Gesetze. Während also von den Sängern der Bassbariton immer nur auf die Ehre des Vaters erpicht ist, gilt für den Bass der unsägliche Standesdünkel des Adels. Doch der Vater läßt sich erweichen und erfordert als Gnade, die er für seine stattlichen Dienste hält, die Hochzeit des ungleichen Paares. Es könnte jetzt ein glückliches Ende geben, doch der Fürst läßt für gleich nach der Feier ein Blutgerüst aufbauen. Nachdem Adelia diese Tücke gesteckt wurde, versucht sie ihre eigene Ehe zu verhindern, in kurzer Zeit gibt es ein auf und ab der schrecklichsten psychischen Situationen für die Titelheldin, die sie schier in den Wahnsinn und Suizid treiben, letzteres verhindert allein die römische Zensur von 1841, so daß es ein kurzes etwas aufgepfropftes "lieto fine" gibt.

Guillermo Amaya inszeniert die Erstaufführung ohne große Schnörkel gerade nach dem Libretto und es gelingt ihm ein echtes Psychodrama auf die Bühne zu stellen, die Personen- und Chorführung weist eine wirklich hohe Spannungsdichte auf, das Bühnenbild von Hannes Neumaier wirkt in seiner sehr sachlichen Kühle dabei etwas unspezifisch, dafür sind die historisierenden Kostüme von Franziska Müller gut anzusehen und charakterisieren gut das etwas puritanische Milieu und die frühere Zeit der Handlung. Manchem Musiktheaterenthusiasten mag das vielleicht etwas bieder anmuten, es erfüllt jedoch gut seinen Zweck und läßt einen die unbekannte Oper bestens aufnehmen und beurteilen.

Nachdem man in Hildesheim sorgfältigerweise, bei so einer Rarität, die Hauptpartien, bis auf den Tenor, doppelt besetzten konnte, was passiert nach der Generalprobe natürlich, na, fragen sie Herrn Murphy: richtig ! Der Tenor wird krank. Innerhalb kürzester Zeit hat Garrie Davislim vom Staatstheater Darmstadt versucht vom Bühnenrand möglichst guten musikalischen Ersatz zu bieten, ganz großen Dank und Respekt für diese schwierige Leistung, die er mit seinem sehr angenehmen "tenore di grazia" durchaus schon mit mancher Feinheit des Vortrags zu würzen wußte. Der Regisseur übernahm für die Szene die nötigen Aufgaben und sorgte für einen reibungslosen Ablauf auf der Bühne.

Kim-Lillian Strebel nahm in der Titelrolle der Adelia mit sehr starker Präsenz für sich ein und wußte das Publikum ordentlich anzurühren, wenngleich ihre vokalen Vorzüge nicht in den virtuosen Koloraturen mit einer leicht verhärteten Höhe lagen, sondern in einer warmen fraulichen Tiefe und Mittellage und eben berührender Empathie des Ausdrucks, doch das macht das eigentlich Wesentliche von Belkanto-Gesang aus. Andrei Yvan beeindruckt als Vater Arnoldo, trotz leicht belegter Höhe, durch herrliche Legato-Kultur. Eine Vater-Tochter-Konstellation, wie später bei Verdi so typisch wird. Hildesheimer Bass-Urgestein Uwe Tobias Hieronimi stellt einen stattlichen Fürsten Carlo auf die Bretter. Als Comino lässt Aljoscha Lennert mit wackerem Tenor aufhorchen, Neele Kramer sekundiert die Odetta ohne aus der Nebenrolle eine Nebenrolle zu machen.

Die vierte Hauptrolle der Oper liegt bei der Chorpartie, die wahrlich keine kleine ist; die Opern- und Extrachor unter Achim Falkenhausen meistert seine reichen Aufgaben mit hervorragender vokaler wie szenischer Präsenz. Besonders die wunderbare Introduktion zum ersten Akt, auch in der experimentellen Anlage des Komponisten, hat mich nachhaltig beeindruckt. GMD Florian Ziemen weiß, wie italienische Oper geht und heizt mit Verve und ordentlich Belkanto-Feuer durch die Oper, das es einfach Freude macht. Das Orchester folgt mit einigen Feinheiten und großer Präzision. Die zweieinviertel Stunden vergehen wie im Fluge und das begeisterte Publikum feiert alle Beteiligten und auch die unbekannte Oper mit tosendem Schlussapplaus. Natürlich ist das Theater Hildesheim keine Mailänder Scala, doch so wird tolles Musiktheater gemacht: ein Triumph der "Provinz", die gar nicht provinziell ist. Allen Opern- und Belkantofreunden sein eine Fahrt nach Hildesheim ans Herz gelegt, schon mindestens allein des Werkes wegen, dem man gerne wieder auf den Spielplänen begegnen möchte: das TfN hat einen echten Coup geliefert!

Martin Freitag 15.3.2018

Fotos (c) Falk von Traubenberg