Hildesheim: „Fra Diavolo“

Daniel Francois Esprit Aubers Opéra comique kann man so gut wie überhaupt nicht mehr erleben; in den letzten Jahren gab es sie nur ganz vereinzelt. Dabei entzückt die leichtfüßige, frische Musik Aubers, in der viele Melodien Ohrwurmcharakter haben, wie die zündende Ouvertüre, Zerlines Fra-Diavolo-Romanze „Erblickt auf Felsenhöhen“, ihre Arie in ihrer Schlafkammer (nach Ulrich Schreiber „wohl die erste Striptease-Arie der Operngeschichte“), spritzige, abwechslungsreiche Ensembles oder die Bravour-Arie des Titelhelden, die berühmte Tenöre wie Tito Schipa oder Nicolai Gedda veranlasst hat, sich der doch harmlosen Oper anzunehmen. Das Stück spielt in Italien nahe der Stadt Terracina zwischen Rom und Neapel. Der legendäre Fra Diavolo („Bruder Teufel“) ist historisch verbürgt: Er hieß eigentlich Michele Pezza und war ursprünglich Mönch. Er schloss sich jedoch einer Bande von Straßenräubern an, wurde deren Anführer und sogar ein Freiheitskämpfer gegen die napoleonischen Besatzer. In der beliebtesten Oper von Auber ist davon ein fast schon liebenswerter Ganove übrig geblieben, der kühl kalkulierend, aber auch mit Witz und Charme seine naiven Opfer übertölpelt. Allerdings versetzt er mit seinen Raubüberfällen die ganze Gegend in Angst und Schrecken. Zugleich lässt er alle Frauenherzen höher schlagen, obwohl niemand weiß, wie er eigentlich genau aussieht. Man hat sogar ein Lied auf ihn gedichtet, das die Gastwirtstochter Zerline dem fremden Marquis vorsingt, niemand anderer als Fra Diavolo selbst. Weitere Übernachtungsgäste sind Lord und Lady Kookburn, die gerade erst von der Bande des Fra Diavolo ausgeraubt wurden. Zerline liebt den Offizier Lorenzo, der den Auftrag hat, den Räuberhauptmann gefangen zu nehmen. Die Handlung kulminiert in Zerlinas Kammer, wo sie von den Räubern beim Zubettgehen heimlich beobachtet wird. Für den Schluss gibt es unterschiedliche Lösungen: Sicher ist, dass Fra Diavolo festgesetzt wird; Scribes Libretto lässt keine Zweifel daran, dass der Räuberhauptmann auf der Flucht erschossen wird. Zwei Jahre nach der Pariser Uraufführung 1830 haben Auber und Scribe ihn entfliehen lassen.

Rivera, Hieronimi, Kramer, Nawrath, Kubik, Schliep, Klironomos

In Hildesheim hat man sich in der munteren Inszenierung von Guillermo Amaya für das ursprüngliche blutige Ende entschieden, was zu der auch durch die neuen Dialogtexte des Regisseurs teilweise ins Groteske gesteigerten Produktion nicht passen will. Nach der vom gut disponierten Orchester unter dem sicheren, stets vorwärts drängenden Dirigat von Achim Falkenhausen flott servierten Ouvertüre sah man auf eine Ansammlung von Bretterverschlägen (Ausstattung: Jörg Zysik) – ein bisschen mehr Atmosphäre hätte das italienische Berggasthaus schon verdient. In diesem billigen Ambiente spielte und sang das Hildesheimer Ensemble ausgesprochen munter und setzte die Pointen so punktgenau, dass es eine Freude war.

Jan Christof Schliep, Antonio Rivera, Peter Kubik

Begleitet von seinen übertrieben dümmlich gezeichneten Kumpanen Giacomo (Peter Kubik) und Beppo (Jan Kristof Schliep) erlebte man als einzigen Gast den mexikanischen Tenor Antonio Rivera als selbstverliebten Titelheld, der aus purer Berechnung die Damen heftig irritierte. Er ließ eine wandlungsfähige, flexible Stimme hören, mit der er auch die gefürchteten Höhen der Partie gut bewältigte. Damit hatte in dem Wettstreit mit hohen C‘s sein tenoraler Widerpart Konstantinos Klironomos, der den eifersüchtigen Lorenzo gab, mit seiner charakteristischen Stimme ebenfalls keine Probleme.

Eine quirlige, liebeshungrige Zerline war Martina Nawrath, die einmal mehr durch die höhensichere, blitzsaubere Führung ihres klaren Soprans begeisterte. Neele Kramer gefiel mit ausdrucksstarkem Mezzo; sie war eine ansehnliche Pamela, die ebenfalls erotischen Abenteuern mit dem als charmanter Marquis auftretenden Räuberhauptmann nicht abgeneigt war. Uwe Tobias Hieronimi lieferte als urkomischer Lord Kookburn ein gestalterisches Kabinettstück ab, wozu sein prägnanter Bariton bestens passte. Ohne Fehl ergänzte bassgrundig Levente György als Gastwirt Matteo. Opernchor und Mitglieder des Extrachors, wobei die Herren nicht als schmucke Carabinieri, sondern eher als heruntergekommene Landwehr daher kamen, entwickelten in der Einstudierung des Dirigenten prächtigen Chorklang.

Gerhard Eckels 15.2.2016

Bilder: Falk von Traubenberg

Weitere Vorstellungen: 24.2.+11.,19.3.+11.4.2016 u.a.