Premiere am 12. September 2020
Düsteres Drama in der Pandemie
Der Opernkomponist Saverio Mercadante (1795-1870) ist wohl nur eingefleischten Opernkennern bekannt; denn seine zwischen den Jahren 1819 und 1856 entstandenen 57 Werke für das Musiktheater haben ihn alle nicht überlebt, wenn man von Wiederbelebungsversuchen von „Il Giuramento“, „I due Figaro“ oder „La Vestale“ ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts absieht. Umso mehr überrascht das „Räuber-Projekt“, das sich das Theater für Niedersachsen (TfN) zur Eröffnung der Spielzeit nach dem Corona-Lockdown vorgenommen hat. Die Trilogie beginnt mit Mercadantes Fassung des Schiller-Dramas, am folgenden Tag gibt es das „Original“, und nach einer Woche hat die Interpretation des Donlon Dance Collective Premiere, alles übrigens mit demselben recht düsteren Bühnenbild von Belén Montoliú.
Mercadante ist ein Vertreter der italienischen Reformbewegung, die die Oper von überkommenen Gebräuchen entschlacken wollte; so führte er 1838 in einem Brief an seinen und Bellinis Freund Francesco Florino aus, dass er dem Opernbetrieb „triviale Kabaletten“, die übertriebenen „Crescendi“ und die vielen Wiederholungen austreiben wolle. Außerdem wolle er, ohne die Belcanto-Oper abzuschaffen, u.a. „ein reiches Orchester ohne Überdeckung des Gesangs“ und die „Kürzung der solistischen Passagen in Ensemblestücken, während deren die anderen Darsteller gezwungen sind, auf Kosten der Handlung steif herumzustehen.“ Die Entstehung der „Briganti“ geht immerhin auf Gioachino Rossini zurück, der als Theaterdirektor in Paris Mercadante mit einer neuen Oper beauftragte, der sich seinerseits das italienische Libretto von Jacopo Crescini schreiben ließ. Die Uraufführung im März 1836 im Pariser Théâtre Italien hatte nur mäßigen Erfolg, so dass die Sängerbesetzung kurz danach abreiste und das Stück bereits Anfang Juli desselben Jahres im Londoner King’s Theatre aufführte. Es folgten weitere Vorstellungen in Venedig sowie in den folgenden Jahren in Mailand, Cagliari, Lissabon, Neapel, Madrid, auf Malta und in Korfu, bis sie wie Mercadantes anderen Opern in Vergessenheit geriet. In Deutschland wurde „I briganti“ erst 2012 beim Rossini-Festival in Bad Wildbad wieder aufgeführt, sodass die Oper auch aus Anlass des 150. Todestags des Komponisten nun am TfN zum zweiten Mal hierzulande zu erleben ist.
Zachary Bruce Wilson/Robyn Allegra Parton
Die Handlung der Oper in drei Akten mit vier Bildern setzt erst im vierten Akt des Schiller-Dramas mit dem Wiedereintreffen Ermanos (Karl Moor) im heimatlichen Schloss ein. Nach dem Schein-Begräbnis des alten Grafen Massimiliano (der alte Moor) wirbt Corrado (Franz) vergeblich um Amelia, die den tot geglaubten Ermano liebt. Das zweite Bild schildert die Rückkehr Ermanos und das Zusammentreffen mit Amelia. Weiter geht es im Lager der Räuber: Nach einem Trinkgelage wird der vermeintlich tote alte Graf befreit, und es kommt zum Wiedersehen mit dem Sohn. Der dritte Akt spielt wieder im Schloss: Corrado erhält seine Schlussarie, bevor er sich in den tödlichen Kampf stürzt. Anschließend sehen sich der alte Graf und Amelia wieder; Ermano kommt dazu, den die Räuber auffordern, zu ihnen zurückzukehren. Ermano, der ihnen Treue geschworen hat, folgt ihnen und verlässt den Vater und seine große Liebe Amelia.
Das Bühnenbild besteht aus einem großen ineinander verschachtelten „Klettergerüst“, das in vier Teile auseinander und variabel aufgestellt werden kann, was meist auf offener Bühne durch in medizinische Schutzanzüge gekleidete Bühnentechniker geschieht (Aha, Corona-Gefahr!). Die abstrakten Bilder (also kein Schloss, kein Wald usw.) ermöglichen, die Beziehungen der handelnden Personen näher herauszuarbeiten, was dem Regisseur Manuel Schmitt auch gelingt. Dabei gibt es entgegen dem Text Corona-bedingt keine Umarmungen, kein Anfassen, sondern unnatürlich distanzierte Begegnungen, bei denen „spannende neue Ästhetiken“ entstehen, wie der Regisseur im Programmheft meint. Dazu soll wohl auch gehören, dass die Protagonisten oft sozusagen aus der Handlung heraustreten und sich nebeneinander an die Rampe stellen. Fast alle Handlungsträger tragen zeitlose, schwarze Kleidung, auch von Belén Montoliú entworfen; Ausnahme ist der in blau-gelb gekleidete, junge Schiller (Torben Kirchner), den der Regisseur durch fast alle Szenen wuseln lässt, indem er Texte (der „Räuber“?) schreibt oder das Geschehen staunend betrachtet. Die Räuberbande ist nicht zu sehen (nur aus dem Off zu hören), für sie treten in historischen Kostümen Figuren aus Schillers Dramen auf, wie beispielsweise die Jungfrau von Orleans, Maria Stuart, Luise aus „Kabale und Liebe“ oder Wilhelm Tell. Außerdem ist befremdlich, dass Ermano am Schluss weder sich noch Amelia, dafür aber Schiller ersticht. Man muss nicht alles verstehen!
Neele Kramer/Robyn Allegra Parton/Zachary Bruce Wilson/Julian Rohde/Yohan Kim
Nun zur musikalischen Verwirklichung der Belcanto-Oper: Wegen der Abstandsvorschriften auch im Graben war es nötig, die Zahl der Orchestermitglieder von rund 45 auf etwa die Hälfte zu reduzieren. GMD Florian Ziemen hat selbst eine Fassung für ein kleineres Ensemble von 21 Musikern geschaffen; dadurch ist ein dem musikalischen Original erstaunlich nahe gekommenes Klangbild entstanden. Am Premierenabend sorgte die präzise, stets vorwärts drängende Leitung des GMD für einen trotz der kleineren Besetzung kompakten und zugleich differenzierten Klang, zu dem die zahlreichen, ausgezeichneten Instrumenten-Soli gekonnt beitrugen. Die Sängerbesetzung ist bei den hohen Anforderungen, die Mercadante an das stimmtechnische Vermögen der Protagonisten stellt, alles andere als leicht. Er hatte für dieselben vier Sänger geschrieben, die 1835 Bellinis „Puritani“ aus der Taufe gehoben hatten, dabei der damals berühmte Tenor Giovanni Rubini, mit dem Mercadante befreundet war. Wie es der Mercadante-Spezialist Michael Wittmann ausgedrückt hat, „kannte Mercadante deren stimmliche Möglichkeiten ganz genau, und die Partitur erweckt den Anschein, als ob er seinen besonderen Ehrgeiz daran gesetzt hätte, den Sängern best- und schwerstmöglich in die Kehlen zu schreiben.“
Neele Kramer/Robyn Allegra Parton
Daran die Leistungen am Premierenabend zu messen, wäre ungerecht, aber das Ensemble hatte beachtlich hohes Niveau. Da ist zunächst die britische Sopranistin Robyn Allegra Parton als Amelia zu nennen. Sie stellte glaubhaft die unter den widrigen Umständen leidende Frau dar; dass sie zu Corrados Arien im Gerüst herum klettern musste, ist ihr nicht anzulasten. Sie führte ihren tragfähigen Sopran gut abgerundet durch alle Lagen und gefiel durch klare Koloraturgeläufigkeit sowie sichere Höhen; besonders gelungen waren die schön ausgesungenen Lyrismen im 3.Akt. Ihr „Gegenspieler“ Corrado war bei dem US-Amerikaner Zachary Bruce Wilson gut aufgehoben; in seiner Darstellung war Corrado weniger schurkischer Bösewicht als heftig unter Amelias Ablehnung leidender Mann. Der Sänger verfügt über einen markanten Bariton, den er schön auf Linie führte, der in den nicht wenigen Koloraturen sicher war und der durchgehend mit starkem Ausdruck imponierte. Für den jungen Koreaner Yohan Kim war es nun alles andere als leicht, mit der technisch schwierigsten Partie der Oper fertig zu werden; er sang zu eindimensional, indem er bei durchgehender Lautstärke kaum differenzierte. Da die extremen Höhen meist gelangen, teilweise aber nur mit merkwürdiger Kopfstimme, muss man leider feststellen, dass er sich hörbar angestrengt durch seine Partie kämpfte.
Uwe Tobias Hieronimi/Yohan Kim
Der in Hildesheim in vielen unterschiedlichen Bariton- und Bass-Partien bewährte Uwe Tobias Hieronimi gab den „alten Moor“, hier Massimiliano. Inzwischen weist seine Stimme so starkes Tremolo auf, dass sie einfach nicht belkantistisch klingt, wobei die Stimmführung sonst über jeden Zweifel erhaben ist. In den kleineren Partien ergänzten ohne Fehl Neele Kramer als Amelias Vertraute Teresa, der Südafrikaner Eddie Mofokeng als treuer, für Massimiliano sorgender Bertrando und Julian Rohde als Ermanos Freund Rollero.
Der Chor, meist aus dem Off singend, wenn man von einer Szene absieht, in der einige Choristinnen ebenfalls in medizinischer Schutzkleidung auftraten, entwickelte unter dem im Bühnenhintergrund wirkenden Chordirektor Achim Falkenhausen die in Hildesheim gewohnte ausgewogene Klangpracht.
Insgesamt hat das TfN in diesen schwierigen Zeiten eine tolle Leistung vollbracht, was Intendant Oliver Graf nach dem begeisterten Schlussapplaus dankend hervorhob.
Bilder: © Marie Liebig
Gerhard Eckels 13. September 2020
Weitere Vorstellungen: 26.9.,9.+17.10.2020