Hildesheim: „Im weißen Rössl“

Premiere am 19.September 2019

Riesenspaß in der Halle 39

Während der noch bis November dauernden Renovierungsarbeiten des Stadttheaters ist das Ensemble in die Hildesheimer Allzweck-Halle 39 ausgewichen. Das erwies sich für die Revue-Operette als genialer Einfall.

Das 1930 in Berlin uraufgeführte „Singspiel“ basiert auf dem gleichnamigen Lustspiel von Oscar Blumenthal und Gustav Kadelburg, das Hans Müller und Erik Charell mit Musik von Ralph Benatzky sowie musikalischen Einlagen von Bruno Granichstaedten, Robert Gilbert und Robert Stolz mit dem Schwung der 20er Jahre auf die Bühne stellten. Charrell brachte dabei seine Erfahrungen aus amerikanischer Arbeit an Revuen ein, die er als Tänzer auf einer Tournee gemacht hatte. 1936 wurde das sehr erfolgreiche Stück vor allem wegen der jüdischen Autoren als „entartet“ in Deutschland verboten. Nachdem auch noch das Notenmaterial der Uraufführung durch einen Brand vernichtet worden war, entstand ein seit den 50er Jahren aufgeführtes Arrangement, das nicht mehr so fetzig und bissig wie das Original war. Daher begann die Suche nach historischem Orchester-Material, die schließlich Anfang 2009 mit dem Fund in Zagreb belohnt wurde. Die Noten stimmen mit dem Klavierauszug von 1930 überein, die bis dahin gekürzten Tanzszenen sind vollständig enthalten, und sogar Noten für die Bühnenmusik (u.a. Jazzband, Zither und Blaskapelle) waren dabei. Bereits im Juni desselben Jahres hatte eine modernisierte, spielbare Fassung in Dresden „Ur-Aufführung“, die seitdem von mehreren Häusern nachgespielt wurde, nun auch in Hildesheim mit leicht aktualisierten kleinen Seitenhieben wie z.B. zur Deutschen Bahn oder „Fridays for Future“.

Nicolo Soller/andere Josepha/Uwe Tobias Hieronimi

Erik Petersen nutzte die Halle für seine flotte, teilweise geradezu rasante Inszenierung des Spiels zweier Bewerber um eine Frau voll aus. Man hatte Klapp-Tische und -Stühle wie in einem Festzelt mit breiten Gängen aufgestellt, durch die die Chormassen, eine Blaskapelle oder Mitwirkende auf Fahrrädern singend auftraten. Überdimensionale Postkarten vom Wolfgangsee und Umgebung bildeten die herrliche Kulisse der Bühne und die Seitenverkleidung des Saales (Hannes Neumaier). Durch minimale Verschiebungen eines Teils der rückwärtigen Kulisse entstanden plakative neue Szenarien wie ein Kuhstall oder ein Freibad. Knallbunte Kostüme, hauptsächlich im Trachtenlook (Kristopher Kempf), belebten die Bilder, die bei den Finali gefühlt gut 150 bis 200 Personen vereinigten. Da tummelten sich neben Solisten, Chor, stark erweitertem Extrachor, Jugendchor, Kinderchor und Statisterie Artistinnen der ARS SALTANDI Dance & Drama School, Feuerwehrkapellen oder Spielzüge der Stadt und des Landkreises (an diesem Abend das auch in der Pause frisch aufspielende Blasorchester Nordstemmen von 1883 e.V.). Hervorzuheben ist die Mitwirkung jeweils eines Special Guests, eines Lokalpolitikers (diesmal der stellvertretende Bürgermeister des Hildesheimer Bezirks Stadtmitte/Neustadt Nikolaus Schramm), der maßgeblich an der Planung des Empfangs für den Kaiser beteiligt war. Ein Extra-Lob gilt auch der Choreographie von Ludwig Mond, der nicht nur kleine Tanzeinlagen, sondern auch die größeren Szenen ausgesprochen vielgestaltig eingerichtet hatte.

andere Ottilie/Julian Rohde

Die Philharmonie des Theaters für Niedersachsen (TfN) zeigte sich unter der souveränen Leitung von Achim Falkenhausen seinen vielfältigen Aufgaben bestens gewachsen. Die ungewohnten Klänge einschließlich Kuhglocken und Zitherspiel eroberten das Publikum ebenso wie die süffigen Begleitungen der vielen bekannten Melodien und Tänze wie Walzer, Marsch oder Foxtrott. Eine gelungene Zwischenmusik verjazzte Kinderlieder wie „Kommt ein Vogel geflogen“ oder „Kuckuck, Kuckuck ruft’s aus dem Wald“; auch Schuhplattler und Jodler waren den Musikern nicht fremd. Neele Kramer war eine fesche Wirtin Josepha, die mit ihrem kräftigen, runden Mezzosopran die Ensembles überstrahlte. Als ihr Verehrer, der Zahlkellner Leopold, spielte, tanzte und sang sich Gerald Michel sofort in die Herzen des Publikums. Beide träumten einen ähnlichen Traum mit „Es muss was Wunderbares sein“. Leopolds Gegenspieler Dr.Siedler war Julian Rohde, der mit hellem Tenor und auch tänzerisch überzeugte.

Sandra Pangl/Johannes Osenberg/Nicolo Soller

Im Hildesheimer Ensemble ist Uwe Tobias Hieronimi eine sichere Bank; als Urberliner Wilhelm Giesecke machte er beste Figur und zog die Lacher stets auf seine Seite. Als seine Tochter Ottilie blieb Antonia Radneva daneben ein wenig blass, gefiel aber mit ihrem kultivierten Sopran in der lustigen Szene mit Julian Rohde im Kuhstall sowie mit „Die ganze Welt ist himmelblau“. Mit herrlich stolzgeschwellter Brust stellte sich Johannes Osenberg als Sigismund Sülzheimer mit seinem „Was kann der Sigismund dafür..“ in Positur; mit Sandra Pangl als Klärchen gipfelte beider Glück im witzig ausgespielten, frivolen Lied „Und als der Herrgott Mai gemacht“. Ihren sparsamen Vater Prof.Dr.Hinzelmann gab Jens Krause mit gewohnter Bühnenpräsenz; höchst amüsant war auch sein Auftritt im Dirndl als Beisitzerin im Empfangskomitee. Als Kaiser Franz Josef war wieder einmal Piet Bruninx zu erleben, der seine Stimme erstaunlich frisch gehalten hat („‘s ist einmal im Leben so“). Als Kathi/Zenzi (singende Radlerin) ergänzte Elisabeth Köstner das engagierte Ensemble passend. Und dann gab es da noch Nicolo Soller, der als Piccolo alles wusste, alles hörte, frech und ironisch kommentierte und dabei äußerst lebhaft agierte – toll!

Man wurde während des unterhaltsamen, nie langweiligen, knapp 3 ½-stündigen Events am Tisch kulinarisch landesüblich versorgt, u.a. mit Laugen-Backwaren, Wurstsalat und Bratensemmeln. Das Publikum zeigte seine Freude an dem Riesenspaß durch begeistertes, rhythmisches Mitklatschen und lang anhaltenden Schlussapplaus.

Fotos: © T.Behind-Photographics

Marion Eckels 3. Oktober 2019


Weitere Vorstellungen: 4., 5., 6., 17., 18., 19.10.2019