Hildesheim: „Elternabend“

Premiere am 11. Mai 2019

Bitterböse Satire

Bereits am 21.November 2003 hatte das Musical des erfolgreichen Teams Peter Lund (Text) und Thomas Zaufke (Musik) seine Uraufführung in der Neuköllner Oper Berlin. Jetzt gab es eine umjubelte Premiere des „Elternabends“ am TfN (Theater für Niedersachsen) in Hildesheim. Hier geht es um den Abend eines von Eltern betriebenen Schülerladens mit Kindern etwa im Alter von sechs bis zehn Jahren in gut bürgerlicher Gegend (Berlin-Friedenau), wo sich Eltern mit sehr unterschiedlichem Hintergrund treffen, um sich mit dem neuen Erzieher Dennis über ihre Kinder auszutauschen. Der Leiter der Musical-Abteilung des TfN Craig Simmons hat selbst die Regie übernommen und einen quirligen Abend mit viel Tiefgang auf die Bühne gezaubert. Dazu hatte Hannes Neumaier ein herrliches Lego-Bühnenbild gebaut, auf dem sich im Hintergrund die fünfköpfige Band verbarg, die unter der engagierten Leitung von Andreas Unsicker flotte und besinnliche Rhythmen und Songs beisteuerte, leider manchmal zu laut, so dass einige Textstellen im musikalischen Rausch untergingen. Hervorragend war die Choreografie von Dominik Büttner, der mit den sieben Protagonisten köstliche, lebendige Szenen bescherte.

Gerald Michel/Johannes Osenberg/Lisa Maria Hörl/Sandra Pangl/Elisabeth Köstner

Zum Inhalt: Zunächst bereiteten der junge Erzieher Dennis und Irene (Meret-Claudelles Mutter) den Raum mit Sitzkissen und Getränken vor, wobei gleich klar wurde: Irene hat das Sagen. Nach und nach trafen Vera und Gerd (die Eltern von Sarah und Phillip), die Mütter Anouschka (Maria) und Gabi (Emma) sowie der Vater Kurt (Kevin) ein. Und dann begann eine typische, teilweise bitterböse Hick-Hack-Konversation mit scharfer, spitzer Zunge, die jeder, der Kinder hat, sicher schon einmal live erlebt hat. Hier wurde das Ganze natürlich überspitzt dargestellt, alle Klischees und Vorurteile wurden bedient, was beim Streit des Ehepaares eskalierte und deutlich Grenzen überschritt. Diese Momente wurden entspannt durch lockere Sprüche oder eindringliche Songs, die den Druck wieder ein wenig herausnahmen. Insgesamt ging es um Rauchen in Räumen mit Kindern, Lügen, Mobbing, einen kleinen Erpresser-Ring im Hort, Diebstahl, ADHS und Ritalin sowie – ganz aktuell – Homosexualität und Missbrauch. Hier blieb einem doch das Lachen im Hals stecken. Dennis‘ theoretischen pädagogischen Ansätze gingen meist im Anklage-Feuer der Eltern unter, und er selbst drohte, zum Spiel- und Punching-Ball der Eltern zu werden. Es war – wie meist in der Realität auch –, man ging auseinander mit dem Ergebnis, die entdeckten Mängel nicht weiter zu verfolgen, sondern unter den Teppich zu kehren nach dem Motto: „Morgen wird alles besser“.

Sandra Pangl/Lisa Maria Hörl/Marysol Ximénez-Carrillo

Johannes Osenberg gelang eine prägnante Darstellung des soften Erziehers Dennis, der sich als schwul outet im Laufe des Abends und am liebsten mit den Kindern singt; seine pädagogischen Ansätze weichen sehr von den Erwartungen der Eltern ab.

Die verschiedenen Elternteile waren typgerecht besetzt: Die Vorsitzende des Schülerladens Irene, eine wohlhabende Hausfrau, die sich viel mit Fundraising und Hilfsorganisationen beschäftigt, war Lisa Maria Hörl. Mit satter Stimme überzeugt sie besonders mit dem Song „Kinder beschützen“ und ist immer um Ausgleichen der Gemüter bemüht; umso mehr traf es einen, als sie im Zorn gesteht: „Meret war schon immer ein unsympathisches Kind“. Dennoch geht ihr späterer Bodenkampf mit Vera fast über Satire hinaus. Als ihre angeblich beste Freundin und starke Gegenspielerin Vera verteidigte Marysol Ximénez-Carrillo energisch ihre Sprösslinge wie eine Löwin, überzeugt davon, dass ADHS keine Krankheit und Ritalin quasi als Nahrungsergänzungsmittel zu betrachten sei; zu liebevolleren Tönen fand sie erst in „Du riechst so gut“, nachdem sie ihren Mann zuvor heftig gemaßregelt hatte. Gerald Michel als erfolgreicher Geschäftsmann Gerd machte seinem Unmut darüber mit dem ungestümen „Rauchen verboten“ trefflich Luft. Zugleich witzig und nachdenklich waren Szene und Gespräch über Homosexualität in der Jungen-Toilette von Dennis und Gerd mit „Wie sag ich‘s meinem Kinde“.

Die allein erziehende Mutter Anouschka, die Schweres mitgemacht hatte („Wie lange hält ein Mensch das aus…“), hielt sich Elisabeth Köstner sehr im Hintergrund, trat aber entschieden auf, wenn es um Ehrlichkeit ging. Ihre Tochter Maria als Neue in der Kindergruppe wurde nicht akzeptiert und damit in die Außenseiterrolle gedrängt, die zuvor Kevin, Kurts Sohn, innehatte. Der von seiner Frau verlassene, zurückhaltende Kurt, war bei dem ungemein beweglichen Alexander Prosek bestens aufgehoben. Als Maria und Kevin rührten die beiden mit „Willst Du mit mir spielen?“ direkt an.

Mit Sandra Pangl war die Naive, Gabi mit langem Blondhaar, ideal besetzt, die mit ihren schlichten Fragen und Bemerkungen die Lacher immer auf ihrer Seite hatte. Glanzpunkt der satirischen Revue war „Der Homosexuelle an sich“, als die Männer zum Gesang der Damen drei unterschiedliche Schwulen-Typen präsentierten.

Das Premierenpublikum war begeistert und dankte allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus.

Fotos: © Falk von Traubenberg

Marion Eckels 12.05.2019

Weitere Vorstellungen: 13., 18., 26.05. und 07.06. in Hildesheim, 29.05. in Langenhagen