Hildesheim: „Wenn ich König wär“, Adolphe Adam

Immer wieder gelingt es der Leitung des Theaters für Niedersachsen (TfN), in ihrem kleinen Haus in Hildesheim gut spielbare, aber inzwischen fast vergessene Opern wieder zu entdecken und mit Erfolg aufzuführen. So geschieht es in dieser Spielzeit auch mit der märchenhaften Spieloper „Wenn ich König wär“ von Adolphe Adam (1803-1856). Der französische Komponist studierte bei seinem Vater, einem Klaviervirtuosen und Professor am Pariser Konservatorium, und dort weiter bei dem Komponisten François-Adrien Boieldieu („Die weiße Dame“), der sein kompositorisches Talent entdeckte und förderte. Nach dem Studium war Adam zeitweise Leiter einer Operntruppe und feierte als Klaviervirtuose einige Erfolge. Mit 26 Jahren schrieb er seinen ersten Opern-Einakter und innerhalb von knapp zwei Jahren fünf weitere Opern im Stil der „opera buffa“. 1849 wurde er anstelle seines Vaters zum Kompositionslehrer am Konservatorium ernannt, wo er bis zu seinem Tod tätig war. Insgesamt komponierte Adam über 50 Opern und Ballette, von denen nur noch „Giselle“ und „Le Corsaire“ ab und zu in den Spielplänen auftauchen. Seine Opern sind inzwischen alle so gut wie vergessen, auch wenn man gelegentlich noch die Tenor-Bravour-Arie „Mes amis, écoutez l’histoire“ aus „Der Postillon von Lonjumeau“ hören kann.

© Jochen Quast

Die Geschichte vom armen Fischer Zephoris, dessen Traum, König zu sein, sich mit Hilfe des echten Königs für einen Tag tatsächlich erfüllt, und der trotz der Intrigen des Prinzen Kadoor schließlich die geliebte Prinzessin Nemea zur Frau erhält, geht auf ein Märchen aus „Tausendundeiner Nacht“ zurück. Adam hat diesen märchenhaften Stoff mit einer gefühlvollen, eingängigen Musik vertont, mit der er nach seinen eigenen Worten „nichts anderes erstrebt“ hat, „als das Publikum auf angenehme Weise zu unterhalten“.

In Hildesheim hatte Regisseur Christian von Götz, der auch für das raffiniert einfache Bühnenbild verantwortlich war, aus der harmlosen Märchenoper eine völlig überdrehte, teilweise geradezu schrille Satire gemacht. Der jeweilige Spielort wurde mit knallbunten Zwischenvorhängen treffend gekennzeichnet, mit denen die überbordenden, fantasievollen Kostüme von Amelie Müller bestens korrespondierten. Alles begann damit, dass der Hildesheimer Allround-Darsteller Uwe Tobias Hieronimi als ein Soziologie-Professor von der Pariser Sorbonne dem Publikum wortreich mit französischem Akzent erläuterte, dass der Mensch von Natur aus schlecht sei, was sich besonders dann zeige, wenn er Macht ausübe; er werde jetzt anhand eines Experiments seine Behauptung beweisen. Aus seinen etwas weitschweifigen Erklärungen wurde nicht recht deutlich, warum das aus der Zeit des französischen „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe stammende Schlagwort „Enrichissez-vous“ (Bereichert euch) das auf den ersten Zwischenvorhang gedruckte Motto der Aufführung sein sollte.

© Jochen Quast

Die Geschichte lief dann in durchgehend turbulenter Manier ab, wobei das Ergebnis klar war, wenn man den Inhalt des Märchens kannte, in dem der arme Fischer als Zephoris als König seine Macht ja gerade nicht missbraucht. Ein weiterer Kunstgriff und Anlass zu viel Gelächter waren die Dialoge der handelnden Personen, die allein von Hieronimi in verschiedenen Dialekten und speziellen Redeweisen gesprochen wurden, zu denen die Protagonisten nur die Mundbewegungen machten. Das ermüdete auf Dauer und hätte früher beendet werden können. Als sich nämlich etwa zur Hälfte der Oper herausstellte, dass Zephoris an die armen Fischer und andere nicht so begüterte Menschen Gelder verteilte, also das „Experiment“ offensichtlich misslang, hätte man „normal“ weiterspielen und –sprechen können, was allerdings erst fast ganz am Schluss geschah. Dem gesamten Ensemble und dem Chor merkte man an, dass sie alle an der wirbeligen Spielweise, die der Regisseur offensichtlich bevorzugt, ihre Freude hatten. In der Personenführung war man auffällig darauf bedacht, ja keine überkommenen opernhaften Gesten auszuführen. Was da beim Singen alles zu bewegen war, war schon erstaunlich; das ging von übertriebenen Armbewegungen über akrobatisches Herumhüpfen oder Tanzen bis zu dem Gag, dass die Prinzessin Nemea eine ihrer Bravour-Arien auf Inline-Skatern zu singen hatte. Und wie sie diese und alles andere sang, das war eine Klasse für sich: Die noch sehr junge Sonja Isabel Reuter, in Hildesheim in ihrem ersten Engagement, erfreute durch blitzsauberes, höhensicheres Singen, gestochene Koloraturen und erstaunlich sichere Gestaltung der selbstbewussten Prinzessin. Mit seiner markanten, durchschlagskräftigen Stimme gefiel als Zephoris Yohan Kim, der den über die Erfüllung seines in den Sand geschriebenen Wunsches überraschten Fischer glaubwürdig darstellte, indem stets klar war, dass er in die Herrscherklasse nicht hineingehörte.

© Jochen Quast

Der König war mit groteskem Bewegungsablauf der junge Bariton Felix Mischitz, der seine weiche, in den Höhen etwas blasse, verhauchte Stimme im Ganzen sicher zu führen wusste.  Natürlich gibt es in der Oper mit Zephoris Schwester und dem weiteren Fischer Pifear auch ein Buffopaar, das bei der österreichischen Sängerin Martha Matscheko und dem Ensemblemitglied Julian Rohde gut aufgehoben war. Sie gefielen durch ausgesprochen munteres Spiel und jeweils auffällig klare, saubere Stimmführung. Mit markigem Bass trumpfte Maciej Gorczyczynski als der intrigante Prinz Kadoor auf. Von dem sympathisch timbrierten Bariton des Südafrikaners Eddie Mofokeng in den kleinen Rollendes königlichen Leibarztes und des Kanzlers hätte man gern mehr gehört. Neben der hinzugefügten, immer wieder das Publikum zum Lachen bringenden Figur des Soziologie-Professors gab Uwe Tobias Hieronimi mit routiniertem Bassbariton auch den korrupten Strandvogt Zizell. Daniel Chopov (Alter Fischer), Chun Ding (Höfling) und Jesper Mikkelsen (Sekretär des Königs) rundeten das Ensemble sicher ab.  Warum Natascha Flindt als Ballerina Giselle zwischendurch über die Bühne tanzen musste, hat sich mir nicht erschlossen; offenbar sollte kein Moment der Ruhe einkehren. Der von Achim Falkenhausen einstudierte Opernchor des TfN sang kräftig und sehr schön klangausgewogen. Die musikalische Gesamtleitung hatte Hildesheims GMD  Florian Ziemen, der den ganzen Apparat sicher im Griff hatte und mit dem gut disponierten Orchester des TfN die Partitur voller Schwung und Spritzigkeit erfolgreich zum Klingen brachte. Das Publikum war hell begeistert und zeigte dies durch starken, lang anhaltenden Beifall für alle Mitwirkende.

Gerhard Eckels 5. Oktober 2023


Wenn ich König wär
Oper von Adolphe Adam

Theater für Niedersachsen (tfn)

Premiere am 24. September 2023
Besuchte Vorstellung am 3. Oktober

Inszenierung: Christian von Götz
Musikalische Leitung: Florian Ziemen
Orchester des tfn