Um Webers „Freischütz“ machen viele deutsche Intendanten einen großen Bogen. Ähnlich wie Wagners „Meistersinger“ gilt dieses Stück als teutonische Nationaloper. Entweder wird diese Oper gar nicht gespielt oder sie wird in werkkritischen Inszenierungen dekonstruiert, so dass ein Besuch keinen Spaß macht. Hagens Intendant Francis Hüsers geht einen interessanten Mittelweg. Er lässt sich von dem Kinderbuch „Die Häschenschule“ von Fritz Koch-Gotha aus dem Jahr 1924 inspirieren.
Das Ergebnis ist auf der einen Seite eine ironische Brechung der Geschichte in einer Ausstattung, die diesmal tatsächlich wie aus dem Bilderbuch ist. Sogar alle Akteure sind als Hasen kostümiert, und besonders dem Chor sieht man den Spaß an, wenn er in der Eröffnungsszene über die Bühne tollen kann. Da der Chor des Hagener Theaters um den Extrachor erweitert ist, klingt dieser nun voller, gleichzeitig aber auch inhomogener.
Ausstatter Mathis Neidhardt bietet einen klassischen Kulissenzauber mit malerischem Waldidyll auf, wie man es auf deutschen Bühnen lange nicht zu sehen bekam. Erbförster Kuno unterrichtet die Häschen im ersten Akt als Lehrer über die Geschichte des Probeschusses. Das Hasenszenario wäre logischer umgesetzt, wenn der bösen Jägerbursche Kaspar als Fuchs kostümiert wäre.
In der ironischen Buntheit erinnert die Aufführung an Herbert Fritschs Züricher Produktion, in anderen Elementen an Peter Konwitschnys Hamburger Inszenierung. Der ließ eine Geigerin als Teufel „Ännchens Arie“ begleiten, in Hagen steht Aleksandar Jordanovski als geigender Hase mit auf der Bühne.
Auch die Idee den Eremiten aus dem Publikum eingreifen zu lassen, ist von Konwitschny übernommen. Francis Hüsers bündelt aber Samiel und Eremiten zu einer Person, welche de übernatürliche Macht verkörpert, welche die Geschichte lenkt. Da fragt man sich, ob der Eremit auch seine bösen Seiten hat, oder ob der Eremit von vornherein die Geschichte zum guten Ende lenkt?
Etwas spektakulärer würde man sich die Wolfschlucht wünschen. In Hagen stürzen die Kulissen zusammen und aus dem Hintergrund nahet sich drohend der Männerchor. Da hat man schon infernalischer Versionen erlebt.
Am Pult des Philharmonisches Orchesters Hagen steht Rodrigo Tomillo der sowohl die dramatischen wie die singspielhaften Elemente schön zur Geltung bringt. Allerdings hört man aufgrund des kleinen Hagener Orchestergrabens eine deutliche Dominanz der Bläser gegenüber den Streichern.
Wegen Krankheit im Ensemble wird die Vorstellung von zwei Gästen gerettet. Dorothea Herbert, die zuletzt als Gerhilde in der Dresdener „Walküre“ unter Christian Thielemann auf der Bühne stand, singt eine warme und verinnerlichte Agathe. Stephan Bootz , der zum Ensemble des Mainzer Staatstheaters gehört, ist in Passau auch schon als Wotan unterwegs und singt in Hagen den Kaspar. Seine Stimme klingt kantig und imponierend. Die Spitzentöne muss er allerdings stemmen. Sehr klug gestaltet er die Dialogszenen.
Für den Max hat man Alexander Geller als Gast engagiert. Mit hellem und kräftigem Tenor, der lyrisch fundiert ist, singt er einen jugendlichen Max. Manchmal wünscht man sich von ihm farbenreichere und heldische Töne. Dorothea Brandt ist eine kecker und schön singende Ännchen. Sehr sonor und warm singt Dong-Won Seo den Eremiten. Seine Sprechszenen als Samiel könnten etwas bedrohlicher angelegt sein.
Insgesamt bietet das Theater Hagen eine originelle und vor allem sehenswerte Produktion, bei der man sich wünscht, dass sie von einem Repertoiretheater übernommen und noch mehrere Jahre gezeigt werden kann. Das kleine Hagener Theater selbst hat diese Möglichkeiten nicht, dort wird die Produktion bis Anfang Juni nur noch fünfmal gezeigt.
Rudolf Hermes, 16. März 2023
Carl Maria von Weber
„Der Freischütz“
Theater Hagen
Premiere: 4. Februar 2023
Besuchte Vorstellung: 9. März 2023
Regie: Francis Hüsers
Musikalische Leitung: Rodrigo Tomillo
Bühne und Kostüme: Mathis Neidhardt
Philharmonisches Orchester Hagen