Premiere: 5.6. 2015
Frau Rhaue und Frau Ruzzifante, Herr Lee und Herr Satter…
Blaulicht liegt auf den Pulten, hinter dem blutroten, gerafften Theatervorhang schimmert lichtvoll das Grün des Waldes. Später wird sich das Licht fast unmerklich verändern. Mehr Deko gibt es nicht. Es gibt auch keine Kostüme – aber es gibt die Sänger, die meist mit zurückhaltenden Gesten, die deutlich genug sind, das Drama andeuten. In Wahrheit sind sie das Drama: die singenden Menschen, Frau Rhaue und Frau Ruzzifante, Herr Lee und Herr Satter, die, in Frack oder theatralisch unheimlich passenden Konzertkleidern den „Ring“ über die Rampe bringen – den „Ring an einem Abend“, eingerichtet in einer Konzertfassung mit verbindenden Texten, ein Werk Richard Wagners und Loriots, der damit einen seiner größten Erfolge feierte.
Natürlich denkt der Rezensent an derart gelungenen Abenden, wie sie das Theater Hof uns schenkt: „Eigentlich brauchen wir doch gar keine Szene. Eigentlich hat Wagner, der Erfinder des Hörspiels (wie ihn Nietzsche nannte), doch mit dem ‚Score‘, also der Musik zum Film vom Herrn der Ringe, das Wesentliche gesagt. Wieso sonst wären wir selbst dann vom ‚Ring‘ bewegt, wenn wir ihn ’nur‘ hören? Hat Wagner nicht selbst vom unsichtbaren Theater geträumt? Und wusste er nicht schon, dass es vollkommene Inszenierungen des unvergleichlichen Großwerks nicht geben kann? Und beweisen nicht immer Regisseure mit traurigem Erfolg, dass der ‚Ring‘ nur unzulänglich auf die Bühnen gebracht werden kann?“
Natürlich ist das alles Unsinn, aber eine rein konzertante Aufführung ausgewählter „Highlights“, die an der Schnur der ironischen und doch respektvollen Texten Loriots gebracht werden, kann leicht von der Szene abstrahieren – gesetzt den Fall, dass sich die Sänger wenigstens ansatzweise zum Drama verhalten, dass, zweitens, ein Sprecher wie Ralf Hocke den Text (natürlich auf dem Sofa…) so bringt, wie wir es lieben: trocken und doch voller Anteilnahme am Geschehen, humoristisch und doch von typisch bülowscher Vornehmheit, und dass schließlich, das ist wirklich nicht das unwichtigste, das Orchester weiß, was es da spielt.
Das exzellente Orchester trägt, natürlich praktischerweise hinter den Solisten sitzend, die Sänger meist, wie Wagner forderte, auf einem Kothurn. Unter der Regie von Annette Mahlendorf (Bühne und Kostüme) und Thomas Schindler (Dramaturgie) bringen sie den „Ring“ in Bewegung; dass Scott MacAllister zwar genauso rund und ausgeglichen singt wie alle seine Kollegen, wie man es nur von guten Ensembles kennt, ist wunderbar, aber dass er zu Angelina Ruzzafante kaum eine räumliche Beziehung aufbaut, fällt an diesem Abend auf. Eine Ausnahme – denn das Ensemble überzeugt insgesamt, vor allem durch einen Schönklang, der das Drama nicht vergessen lässt.
Schon die drei Rheintöcher entzücken: die bekanntlich goldstrahlende Inga Lisa Lehr, die junge Juliane Schenk, die mit einer äußerst klaren Stimme gesegnet (und seltsamerweise „freischaffend“) ist, und die unverzichtbare Stefanie Rhaue, die auch die Fricka und die Waltraute mit größter Deutlichkeit an der (fast!) szenenlosen Rampe szenisch macht: durch den Blick, durch die Haltung, durch die schauspielerisch grundierte Stimme, die Wagners Diktum der „Deutlichkeit“ mit ihrem äußerst gepflegten Alt-Ton realisiert. Wotan ist daneben die schönste Entdeckung: Sangmin Lee singt majestätisch, wunderbar baritonalbassig, genau, mit zurückhaltend intensiven Blicken auf die verstoßene Tochter.
Wieland Satter, der ja auch einen knorzigen Kaspar machen kann, gestaltet einen ungewöhnlich schönklingenden Alberich, der aufs Raunzen verzichtet, aber doch einen ganzen Alberich stimmlich verkörpert. Angelina Ruzzafante fiel kürzlich schon als Sieglinde im Dessauer „Ring“ auf, der in vielen Zuschauern den Wunsch nach dem unsichtbaren Theater provozierte. Sie gehörte in Dessau schon zu jenen Sängern, die die szenisch nervtötende wie unsensible „Walküre“ zumindest akustisch erträglich machten – in Hof kann sie ihre unendlich klar fokussierte, bewegend mädchenhafte wie strahlend starke Stimme unbelastet von manch manischen Regieeinfällen und Hybrid-„Konzepten“ ins Haus schicken. Braucht es da wirklich eine ausgebaute Szene?… Scott MacAllisters Siegmund ist passend, also von erster Güte, auch sein Siegfried: ein Mann mit Strahlestimme. Sabine Paßows Brünnhilde klingt zunächst relativ dunkel, was für die Todverkündigung natürlich passt – aber im Grand Finale kann sie zeigen, zu welchen Höhen sie unschrill fähig ist: bis zum letzten, erlösenden Akkord.
Matthias Frey sang einen eher leichten Loge und ein Mime, Hyung Wook Lee einen sehr anständigen Hagen – falls Hagen anständig sein kann… Auf den Waldvogel musste man verzichten, aber dafür kam Frau Ruzzafante kurz, aber immerhin, als Gutrune zurück. Mit Harfenschlag… Voilá: ein Ensemble, gemischt aus Hausmitgliedern und Gästen. Last but not least sei noch das fabelhafte Dirigat von Arn Goerke herausgestellt.
Hier, wo vor einigen Jahren ein sehr gutes „Rheingold“ möglich war, hatte man’s also erlebt: dass man Wagners Großwerk immerhin in Teilen musikalisch völlig überzeugend zu stemmen vermag, damit diejenigen unter den Zuhörern, die nicht wie wild durch die Welt wandern, um sich einen „Ring“ nach dem anderen anzuhören, wenigstens einmal in authentischem Klang wesentliche „Ring“-Glanzstücke kennenzulernen. Und nach Wotans Abschied und Loges Feuerzauber kommt ja, wenn er so gebracht wird, eh immer das ewig bekannte und ewig neue Gefühl auf: „Er war ein Zauberer…“.
Riesiger, kaum endenwollender Beifall für einen Kurz- „Ring“, der den ganzen nicht ersetzen kann – aber, trotz gewaltsamer Interrupti, die komplette Tetralogie seltsamerweise auch nicht vermissen lässt.
Frank Piontek
Fotos: SFF Fotodesign