Kiel: „Schachnovelle“

Vorstellung am 23.5.13

Der deutsch-spanische Komponist Cristóbal Halffter ist seit vierzig Jahren dem Kieler Musikleben eng verbunden. Hier sind zwei seiner Opern uraufgeführt worden, und auch andere seiner Werke waren hier zu hören. An diesem Pfingstsonnabend nun die Uraufführung seiner neuesten Schöpfung: „Schachnovelle“ nach Stefan Zweig mit einem Text des früheren Chefdramaturgen des Hauses Wolfgang Haendeler. Gleichermaßen ein gesellschaftliches wie kulturelles Ereignis. Ein Ereignis, dass vom Premierenpublikum im dicht besetzten Opernhaus trotz der ungewohnten Klänge stürmisch gefeiert wird. Das Auftragswerk wurde ermöglicht von der Ernst-von-Siemens-Musik-Stiftung.

Halffters Musik lässt sich schwer einordnen. Teils ist sie eigenständig, dann wieder ekletizistisch. Der Deutsch-Spanier steht in der Tradition etwa eines Nono. Vor allem nach eigenem Bekunden von Schönberg, Webern und Alban Berg. Seinen Zuhörern setzt Halffter hartes Brot vor, und an die Interpreten – Orchester, Solisten und Chor – stellt er hohe Anforderungen. Schrille Dissonanzen, laut und atonal prägen seine Anklage gegen jede Form von Tyrannei.

Der Komponist und sein Librettist folgen Zweig in der Geschichte eines Mannes, der nach dem „Anschluss“ Österreichs als vermeintlicher politische Gegner in einem leeren Hotelzimmer durch Isolationshaft gefoltert wird. In seiner Not spielt er Schachszenen nach und zuletzt gegen sich selbst. Darüber zerbricht er körperlich und geistig. In der Emigration kann er langsam genesen. Auf einer Schiffsreise spielt er gegen den Schach-Weltmeister mit großem Erfolg. Aber das Vergangene drängt wieder auf ihn ein. Noch einmal bricht er zusammen, um endgültig geheilt in das befreite Wien zurück zu kehren – in das Hotelzimmer, das einst seine Isolationszelle war. Nun aber mit der Fülle der Weltliteratur ausgestattet.

In der Inszenierung von Daniel Karasek – dessen Vertrag als Generalintendant gerade bis 2020 verlängert worden ist – und unter der Stabführung von Generalmusikdirektor Georg Fritzsch – mit dem bis Mitte 2019 kontrahiert worden ist – gibt Kammersänger Jörg Sabrowski mit atemberaubender Eindringlichkeit den Dr. Leo Berger. Er hat die Intentionen des Komponisten eindrucksvoll erfasst. Ihm steht in dem sehr realistischen Bühnenbild von Norbert Ziermann und den Kostümen von Claudia Spielmann ein kopfreiches Ensemble zur Seite, in dem Tamahiro Takada den Schachweltmeister Mirko Centovic und Kammersängerin Heike Wittlieb die betreuende Krankenschwester geben. Der Regisseur hat dem von Barbara Kler einstudieren Chor sehr bedrohliche Szenen hinter einem durchsichtigen Vorhand anvertraut, aber auch lustige auf einem Passagierdampfer. Das Philharmonische Orchester hat die ungewöhnlichen Klangfarben auch mit nicht alltäglichen Instrumenten umzusetzen.

Auch wenn das Alles für die Ohren des durchschnittlichen Musikfreundes sehr ungewöhnlich und teilweise auch verschreckend klingt: Das Premierenpublikum ist begeistert und feiert neben allen Mitwirkenden den Komponisten und seinen Librettisten lang und anhaltend.

Horst Schinzel
Bilder: Thorsten Wulf