Im Frühjahr 1825 fand in der Kathedrale von Reims die prunkvolle Krönung des neuen französischen Königs Karl X statt. Zu diesem Anlass komponierte Gioachino Rossini seine Oper Il viaggio a Reims als Huldigung an den neuen Herrscher. Dabei handelt es sich weniger um eine Handlungsoper, vielmehr komponierte Rossini den besten Sängerinnen und Sängern seiner Zeit hochvirtuose Arien und Ensembles auf den Leib. Die Handlung ist dementsprechend denkbar einfach, denn im Großen und Ganzen geht es darum, dass sich eine illustre Schar höchst eigenwilliger Gäste auf den Weg zu besagter Krönungsfeier macht. Dabei treffen alle mehr oder weniger gleichzeitig im Hotel der Madama Cortese ein, nur um festzustellen, dass im ganzen Ort keine Pferde mehr zu bekommen sind, was eine Weiterreise unmöglich macht. Die Oper handelt nun von den rund 20 Protagonisten, die sich gegenseitig beäugen und zwischen denen sich die eine oder andere kleine Geschichte entwickelt.
In Krefeld hat der Regisseur Jan Eßinger die Geschichte etwas angepasst, denn alles beginnt mit einem Sensationsfund am Niederrhein. Im Intro der Oper erfährt der Besucher, dass bei Ausgrabungen eine Kutsche aus dem 19. Jahrhundert gefunden wurde, in der sich acht noch lebende Personen befanden. Diese sollen auf dem Weg nach Reims gewesen sein, um an den Krönungsfeierlichkeiten des neuen Königs teilzunehmen. Mit Hilfe einer vom Institut Cortese neu entwickelten Zeitmaschine sollen die in der Gegenwart gestrandeten Personen in ihre Zeit zurückversetzt werden. So beginnt die Oper, doch die Zeitmaschine bleibt, wie könnte es anders sein, am Autobahnkreuz Neersen im Stau stecken. Während die acht Gestrandeten zusammen mit verschiedenen Personen aus der Gegenwart auf die Ankunft der Zeitmaschine warten, kann die ursprüngliche Opernhandlung ihren Lauf nehmen. Diese Umsetzung, so viel sei an dieser Stelle schon verraten, ist durchaus gelungen. Das liegt neben einer hervorragenden Personenführung auch an einer guten Portion Humor, der sehr platziert und treffend eingesetzt wird. Die Protagonisten der Oper – in Krefeld sind es insgesamt stolze 20 Solisten – werden übrigens bereits vor der Vorstellung beim Betreten des Theatersaals durch kurze Projektionen auf den geschlossenen Vorhang vorgestellt. So erfährt der Besucher hier zum Beispiel, dass Profondo der Leiter eines niederrheinischen Heimatmuseums ist und nebenbei seine Privatsammlung nicht immer ganz legal erweitert. Corinna ist ein Computergenie, das die Zeitmaschine programmiert hat, und Alvaro ist der leitende Wissenschaftler des Forschungsinstituts. Auch die historischen Figuren werden kurz mit ihren charakteristischen Merkmalen vorgestellt. Wer sich vor dem Opernbesuch noch weiter informieren möchte, für den hat das Theater Krefeld-Mönchengladbach auf seinem YouTube-Kanal zu jeder Person ein kurzes Vorstellungsvideo hochgeladen. Auch diese kurzen persönlichen Vorstellungen der Darsteller sind sehr amüsant, aber für das Verständnis der Aufführung nicht notwendig.
Eigentlich möchte man von diesem vergnüglichen Theaterabend inhaltlich auch gar nicht zu viel erzählen, denn diese Inszenierung wirkt auf den Besucher auch durch eine gewisse Situationskomik, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Verstärkt wird diese Komik durch immer wieder eingestreute humorvolle Übertitel, die das Werk durchaus ernst nehmen, aber dennoch nicht jedes Wort wörtlich übersetzen. Das wäre wohl auch gar nicht möglich, wenn sich im Gran pezzo concerto a 14 voci beispielsweise vierzehn Stimmen miteinander mischen. Stattdessen verweisen die Übertitel charmant darauf, dass dies in der Opernwelt wohl einmalig ist. Textliche Wiederholungen mit weiteren musikalischen Verzierungen werden offen im Übertitel als solche benannt, so dass der Besucher darüber schmunzeln und sich ganz dem Zauber der Musik Rossinis hingeben kann, statt lange Texte zu verfolgen. Unter der musikalischen Leitung von Giovanni Conti spielen die Niederrheinischen Sinfoniker einmal mehr präzise und harmonisch. Alle zwanzig Solisten namentlich aufzuführen, würde hier den Rahmen sprengen. Stellvertretend für das gesamte Ensemble sei daher Sofia Poulopoulou als Corinna genannt, die am Ende die große Schlussnummer mit Bravour meistert. Zum Ensemble ist sicher noch zu sagen, dass es im Verlaufe des Abends permanent etwas zu sehen gibt. Ständig ist eine Vielzahl von Künstlern auf der Bühne, die auch abseits der eigentlichen Haupthandlung ihre Rollen ausleben. Hier gibt es immer wieder einige interessante Details zu entdecken. Die Momente in denen Janet Bartolova als Delia auftritt, werden zum Beispiel sehr lange im Gedächtnis bleiben, auch wenn die Rolle vom reinen Gesangspart her eher klein angelegt ist. Die gesamte Personenführung ist vor allem zu Beginn des Abends so wunderbar, dass man sich irgendwie an Die lustigen Nibelungen aus dem Jahr 2011 erinnert fühlt, eine der bisher wohl besten Inszenierungen des Gemeinschaftstheaters Krefeld-Mönchengladbach.
Ein echter „Hingucker“ ist auch das Bühnenbild von Benita Roth. Mit viel Liebe zum Detail wurde hier eine Ausgrabungsstätte in der niederrheinischen Landschaft geschaffen, auf der die Darsteller auf verschiedenen Erhebungen wunderbar agieren können. Auch die von ihr geschaffenen Kostüme gefallen und sorgen für eine klare Trennung zwischen den historischen und den heutigen Figuren. Am Ende des rund dreistündigen Premierenabends gab es gestern lang anhaltenden Applaus der zahlreichen Zuschauer, die alle Darsteller und das Regieteam lautstark für eine gelungene Erstaufführung am Theater Krefeld-Mönchengladbach feierten.
Markus Lamers, 18. März 2024
Die Reise nach Reims
Komische Oper von Gioachino Rossini
Theater Krefeld
Premiere: 17. März 2024
Inszenierung: Jan Eßinger
Musikalische Leitung: Giovanni Conti
Niederrheinische Sinfoniker
Weiter Aufführungen: 28. März / 3. April / 14. April / 26. April / 30. April / 24. Mai / 20. Juni