Premiere am 9. März 2013
Rienzi for President
Eindrucksvolle entschlackte und überzeugende Produktion zum Wagnerjahr
"Da kann der Wagner doch nichts dafür" votierten 80 % der Antworten auf eine Internet-Umfrage der Westdeutschen Zeitung, ob man Hitlers Lieblingsoper, das monströse Frühwerk des knapp Dreißigjährigen und von ihm selbst später als "Jugendsünde" und "Schreihals" bezeichnet, überhaupt noch spielen solle.
Hitler scheint aber in der zweiten Hälfte der Oper regelmäßig eingenickt zu sein und nur den Aufstieg, nicht aber das fatale Ende des Rienzi und damit auch seinen eigenen drohenden Untergang nicht mitbekommen zu haben. Der nach dem Krieg verständlicherweise nur sehr selten gespielten Oper, die bis heute nicht auf dem Grünen Hügel angekommen ist, klebt natürlich schon der NSDAP-Makel. Die Alten unter uns erinnern sich an die obligate Rienzi-Ouvertüre zum Reichsparteitag. Die Oper Krefeld ist stolz, das einzige deutsche Haus zu sein, welches Rienzi im Wagner-Jahr szenisch neu herausgebracht hat – und wie!
Und vor allem weit weg von der Originalzeit, vom Faschismus und erst recht vom NS-Geruch. Letzteren hatten jüngere Inszenierungen nicht ausräumen können, insbesondere die Berliner Aufführung von Philipp Stölzel sparte nicht mit Parallelen zu Rhetorik und Ritualen der Nazis.
Ganz anders der Regisseur Matthias Oldag in seiner jüngsten Produktion in Krefeld. Sein "Rienzi" spielt in in der Jetzt-Zeit, in einem imaginären politischen Raum mit moderner Kommunikation und kritischer Presse, aber auch in totalitärem Habitus der Protagonisten und mit einer gehörigen Portion süffisanter Anspielungen auf politische Praktiken wie in den USA.
Im ersten Akt sind die Rückwand und der Boden voll von Pressetexten, so über revolutionäre Vorgänge in der Ukraine und in Damaskus. Über Letzteren zieht sich ein grell roter gezackter tiefer Spalt, Trennungs-Symbol vielleicht für Nord- und Südkorea, für Moslems und Christen, für den Adel und das Proletariat aber auch vielleicht Symbol eines Aktienkurses der sich stets rasch wandelnden Welt.
Rienzi, der den Kampf verfeindeter adeliger Familien schlichtet, wird nach einem Wahlkampf amerikanischer Art mit Namensschildern des Kandidaten sowie "Wacht auf" und "Empört Euch"-Postern gewählt. Der weiß gekleidete Chor beim Staatsbankett an großen runden Tischen entspricht ganz dem Klischee religiöser Gruppierungen.
Zum Wahlkampf, aber auch zu den Kampf- und Mordszenen, erscheinen Videos auf einer halb durchlässige Leinwand, sowohl von aktuellen Kriesszenarien mit Flugzeugen und Panzern, aber auch mit Verletzten und Flüchtlingsströmen, wie auch direkt vom Live-Geschehen auf der Bühne; sogar Obama und Putin lassen grüßen – eine nachdrückliche Verstärkung der Konflikte, die in ihrer Länge allerdings etwas nervte.
Matthias Oldag, Thomas Gruber (Bühne) und Henrike Bromber (Kostüme) haben viele packende Bilder auf die Bühne gestellt, etwa wie die Zusammenkunft des Adels in einem Vorstandsbüro mit einer fallenden DAX-Kurve an der Wand, die Erscheinung der Untoten beim Te Deum, den Umsturz der riesigen grell roten Rienzi-Buchstaben und die Szene, wo es der wahnsinnig gewordene Held es nicht mal mehr schafft, seinen Namen aus den herumliegenden Buchstaben zusammenzusetzen.
Besonders eindrucksvoll ist der Schluss: Rienzi singt sein Gebet "Allmächtiger Vater" aller Macht und ihrer Insignien beraubt nur noch im Nachthemd, eine Pappkrone auf dem Kopf. Er sinkt leblos zu Boden, und wird vom Volk, welches aus dem Zuschauerraum strömt, mit den Buchstaben beworfen und mit Benzin angezündet, zusammen mit seiner Schwester, die sich weigert, ihn zu verlassen. Wie beim Popkonzert zünden alle ihre Feuerzeuge, ein riesiges rotes Tuch flattert aus dem Off, und von der Seite schieben sich die entmachteten Adligen wieder in Vordergrund. Schon eine Szene mit vielen Rückenschauern.
Die Oper, ursprünglich auf 6 Stunden konzipiert und einstens sogar als Zweiteiler angedacht, wurde mit kräftigen Strichen versehen, insbesondere in den musikalisch weniger wertvollen Massenszenen, ohne die wesentlichen Elemente zu vernachlässigen. Rienzi war von Wagner in der Tradition der französischen Grand Opera angelegt worden, auch hier hat man in Krefeld in der Ausstattung kräftig reduziert.
Geblieben ist natürlich kein Kammerspiel, was bei der opulenten Musik auch gar nicht möglich wäre, aber schon die entmythologisierte und eindrucksvolle Darstellung eines Menschen, der Verantwortung auf sich nimmt, eine Regierung neu zu ordnen. Ein Mensch, der seine Emotionen hat, der Fehler begeht und daran untergeht. Eine alltägliche Szene leider auch in unserer Zeit, wenn „die Revolution ihre Kinder frisst“.
Auch musikalisch war Allerfeinstes zu vernehmen; vorweg die bestens aufgelegten Niederrheinischen Sinfoniker unter dem GMD Mihkel Kütson. Unter seinem umsichtigen Dirigat blühte die vielschichtige Musik spannungsreich und differenziert, vehement und mit gelegentlichen Anklang an Verdi aus dem Graben auf, ohne jedoch zu lärmen; gelegentlicher Zwischenapplaus wurde rasch überspielt.
Das war Wagner-Feeling vom Feinsten und für ein Haus dieser Größe ein riesiger Erfolg. Emotionen, Lyrik und Pathos hielt Kütson geschickt in der Waage, hatte auch einen wachen Blick auf seine ausgezeichneten und viel beschäftigten Bläser, auf die Sänger und den großen Chor (Einstudierung Maria Benyumova). Dieser klang nicht nur präzise und prachtvoll, sondern stellte mit seinen vielschichtigen Aktionen auf der Bühne einen wesentlichen Teil der Inszenierung dar. Auch die reichlich beschäftigten Statisterie sei hier lobend erwähnt.
Carsten Süss (Rienzi) hatte am Premierenabend wohl nicht seinen besten Tag. Wenn auch auf seinem Weg zum Machtuntergang schauspielerisch absolut überzeugend, liess seine Stimme doch einige Wünsche offen. Im ersten Akt durchaus noch strahlend und mit müheloser Höhe wurde sie zunehmend forcierter und matter, so dass in der Pause Diskussionen aufkamen, ob Süss diese schwierige Partie durchstehen würde. Nun, das klappte dann auch, mit durchaus noch vielen achtbaren Passagen.
Anne Preuß, frisch aus dem Opernstudio Lübeck, absolvierte die Rolle der Irene meisterlich; ihr gebührt ein besonderes Kompliment für die Bewältigung der vertrackten Koloraturen. Die Sängerpalme des Abends gehört Eva Maria Günschmann in der Hosenrolle des Adriano; sie überzeugte mit ihrem blühenden und ausdrucksstarken Mezzo nicht nur stimmlich, sondern vermochte auch ihren Konflikt zwischen der Hingabe zu ihrem Geliebten und den Familienbanden hinreißend darzustellen. Aber auch die Herren standen nicht zurück. Hayk Dèinyan und Andrew Nohlen verkörpern die Oberhäupter der Adelsfamilien stimmlich und darstellerisch ausgezeichnet, ebenso wie Matthias Wippich, Walter Plantè und Thomas Peter in den kleineren Rollen erfreuten.
Dieser „Rienzi“ dürfte zweifellos eine der besten Produktionen der Theaterehe Mönchengladbach/Krefeld sein. So empfand auch das Publikum. Der stehende, jubelnde Applaus im vollbesetzten Haus wollte kein Ende nehmen. Zu Recht!