Lübeck: „L’amore dei tre re“, Italo Montemezzi

Besuchte Vorstellung am 12. Juni 2022

Versteinerte Machtgier

Kolossale graue Steinköpfe umringen mit geschlossenen oder blind wirkenden Augen die Szene; sie muten an wie die zum Monument gewordene stumme Trauer über eine längst verlorene Größe. Vielleicht ist es auch die Beschwörung einer Vergangenheit, die nie so ruhmreich war, wie von den Herrschenden dargestellt.

Mit der selten aufgeführten Oper „L´amore dei tre re“ („Die Liebe der drei Könige“) von Italo Montemezzi in der Inszenierung von Effi Méndez hat das Theater Lübeck ein weiteres Mal bewiesen, wie experimentierfreudig dieses Haus ist. Zudem ist die Produktion dieses Dreiakters aus dem Jahre 1913 in jeder Beziehung von hoher künstlerischer Qualität, was sich schon im Bühnenbild von Stefan Heinrichs zeigt.

Die Assoziation einer gigantischen Gruft kommt nicht von ungefähr, denn die steinernen Gesichter sind stark an die Schicksalsmasken aus der Krypta im Leipziger Völkerschlachtdenkmal angelehnt, die in ihrer düsteren Gigantomanie für die überzogene männliche Selbstdarstellung und kriegerische Entschlossenheit des wilhelminischen Deutschen Reichs stehen. Aber diese monströse Inszenierung hat keine Zukunft, weil sie ihr Selbstbewußtsein auf längst verblichenen Ruhm stützt und neuen, frischen Bewegungen die Luft zum Atmen nimmt. Der muffige Dunst des Dekadentismus durchwabert dieses Grab der eigenen Geschichte und dem entsprechen im Bühnenbild die grünen Algen und Wurzeln, die bald auf und zwischen den grauen Köpfen wuchern. Daß der Herrschersitz in Wirklichkeit ein Mausoleum ist, beweist in einer Szene, wo sich ein Teil der Bühne nach oben hebt, ein gisant, also die steinerne Liegefigur auf einem Grabmal, die eigentlich eine Brücke vom Tod zur Auferstehung schlägt.

Die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist tatsächlich ein zentrales Thema der Oper, wenngleich hier das eigentlich künftig Mögliche von der Übermacht des Vergangenen erstickt wird. Und so stehen die drei Könige stehen für die unterschiedlichen Zeitebenen, was sich in der Geschichte schicksalhaft entgegen dem märchenhaften Titel niederschlägt.

Der alte König ist Archibaldo, Haupt einer Herrscherfamilie aus dem Norden, die in das italienische (Phantasie-)Königreich Altura eingefallen ist – man mag hier an die Normannen denken, die ab dem 11. Jahrhundert auf Sizilien herrschten. Dies greise und blinde Sinnbild der Vergangenheit begehrt die Prinzessin des besiegten Volkes, die schöne Fiora – zu wirklicher Liebe ist Archibaldo nicht in der Lage. Fiora wurde aus politischen Gründen mit Archibaldos Sohn Manfredo zwangsverheiratet. Dieser steht für die Gegenwart; er wird zwar von seinem Vater instrumentalisiert, wirbt aber mit Hingabe um die Gunst der jungen Prinzessin. Daß er ständig unterwegs ist, ist nur ein Grund für die Unmöglichkeit einer echten Beziehung, denn Fiora und den rechtmäßigen Thronanwärter Avito verbindet tatsächlich gegenseitige, leidenschaftliche Liebe.

In dieser emotional und heiratspolitisch angespannten Situation wäre Fiora sogar bereit, mit Manfredo zu leben, aber die Verbindung mit Avito ist zu stark. Der junge Prinz symbolisiert die Zukunft, aber die hat in dieser Geschichte keine Chance, denn der Alte wittert den Verrat. Er erwürgt Fiora und beträufelt ihre Lippen mit Gift, um den ihm unbekannten Liebhaber zu entlarven. Avito tappt in die Falle, küßt die Tote und stirbt. Erschüttert und schicksalsergeben gibt auch Manfredo seiner toten Frau einen letzten Kuß und so bleibt Archibaldo einsam zurück, als Opfer seiner eigenen Gier nach Macht und Kontrolle über alle um ihn herum.

Der Schwere und emotionalen Aufgeladenheit der Handlung entspricht Montemezzis Musik in ihrer spätromantischen, satten Farbigkeit, die zwar von Wagner beeinflußt, aber völlig eigenständig in der Instrumentierung und Wiedergabe von Gefühlen oder Handlungselementen ist. Eine gewisse Leitmotivik läßt sich aber in jedem Falle ausmachen, beispielsweise wenn das Hinken des alten Archibaldo in einem Synkopenmotiv wiedergegeben wird. Wie ein störender Geist tritt er gerade in den Momenten auf, in denen Hoffnung und Leidenschaft wächst; von der musikalischen Form her schafft sein Erscheinen jeweils einen gliedernden Einschnitt.

Und ja, auch diese Musik kann süchtig machen, in all ihrer tiefen Heißblütigkeit und Morbidität. Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung von GMD und Operndirektor Stefan Vladar breitet diese dunkel-symbolistischen Tongemälde mit Hingabe aus, bleibt aber stets exakt und pointiert, zumal bei den jähen Einbrüchen.

Die solistischen Leistungen sind bemerkenswert bis grandios. Rúni Brattaberg als alter König übertrifft seine Darstellung bei der Premiere am 13. Mai und verleiht mit seinem wuchtigen Baß dieser Rolle die Dominanz, die sie fordert. Seinen Diener Flaminio gibt diesmal Gustavo Mordente Eda, der deutlich mehr als nur eine sekundäre Rolle spielt. Der Bariton Anton Keremidtchiev ist der amtierende Herrscher Manfredo, sowohl schauspielerisch als auch sängerisch sehr stark und überzeugend. Yoonki Baeks Tenor hat oft etwas Flehendes, was aber zu seinem Prinzen Avito paßt, denn der unglückliche junge Mann kann ja beides nicht erlangen – Thron und Geliebte. Die singt María Fernanda Castillo mit größtem Einsatz und Entschiedenheit, ihr starker Sopran dringt ins Mark und gibt ihrer Sehnsucht und ihrem tiefen Schmerz innigen Ausdruck. Aber auch in den zarten Passagen ist sie präsent und erlaubt Einblicke in ihre verwundete Seele.

Ilona Holdorf-Schimanke hat sich für moderne Kostüme entschieden, deren Farbigkeit sich im Lauf der Handlung verändert. Dem Preußischblau der Uniform Archibaldos steht leuchtendes Königsblau der drei anderen Protagonisten gegenüber, das aber immer mehr reduziert wird, als schwände mit ihrem Tun und Leiden das Königliche aus ihnen. Fioras Name bedeutet ja „Blume“ und Blumen sind es schließlich nur noch, die als feine blaue Stickerei auf ihrem Morgenrock und am Ende auf ihrem Tuch verbleiben. Hinter den Farben droht das Grau des Grabes. Die frischen Blumen im Gesteck für die Ermordete wirken wie ein Hohn auf das nicht gelebte Glück, der Chor unter der Leitung von Jan-Michael Krüger stimmt dazu eine wunderbare Klage an.

Eine Grabskulptur ist es auch, wozu sich ein zentrales Wandel-Objekt im dritten Akt entwickelt hat; zuvor war das Gebilde aus zwei gegenübergestellten Steinköpfen mit je halbrunder Umfassung ein überdimensioniertes Ehebett, ganz am Ende ist es ein Brunnen, bei dem die Köpfe als Wasserspeier fungieren. Bei aller inneren Statik und Unverrückbarkeit der dominanten Positionen, die keine echte Weiterentwicklung zulassen, bietet das Bühnenbild immer wieder Veränderungen in der Perspektive und zeigt, was möglich gewesen wäre.

Hätte die Liebe zwischen Fiora und Avito leben dürfen, wäre es nicht allein bei dem Glücksmoment des berückend schönen Duetts im zweiten Akt geblieben. So aber erblüht hier das Verschmelzen zweier Liebender zumindest in wenigen Augenblicken, die nicht verweilen dürfen. Zuerst nur auf dem Bühnenhintergrund, dann auf einen Fransenvorhang projiziert, ist Klimts Gemälde „Der Kuß“ sichtbar, dessen Gesichter allmählich ineinander verschwimmen und zusammen mit der berauschenden Musik das vermitteln, was keine Bühnenhandlung auszudrücken vermag.

Umso entsetzlicher ist der grausame Mord an Fiora, die der Alte mit seinen nach wie vor kräftigen Klauen erwürgt. Die naturalistische Härte dieser Tat schockiert, ist aber in der Darstellung auf der Bühne völlig angemessen und wird nur noch durch das Wegschleifen des Körpers an einem Arm übertroffen.

Auch bei der dritten Vorstellung dieser Produktion gab es begeisterten, langanhaltenden Beifall mit vielen Bravo-Rufen – zu Recht!

Die unbedingt sehenswerte Inszenierung dieser großartigen Oper wird in der nächsten Spielzeit wiederaufgenommen und ist auch eine längere Anreise wert.

Dr. Andreas Ströbl, 15. Juni 2022

Photos: Olaf Malzahn