„Schaffen Sie sich niemals Eltern an! Gerade Mütter können höchst anstrengend sein!“ Diese Warnung ruft man vielen seiner geplagten Zeitgenossen zu, aber da ist es eigentlich immer schon zu spät.
Wenn so eine Mutter sich mal was in den Kopf gesetzt hat, ist sie meist schwer zu bremsen. Das beweist auch der großartige Zweiakter von Gaetano Donizetti, der eigentlich „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“, also „Sitten und Unsitten der Theaterleute“ heißt. Das trifft zwar den Inhalt der Opera buffa, aber der auch für die Lübecker Inszenierung gewählte, mitunter gebräuchliche Titel „Viva la Mamma!“ trifft viel besser die spritzige Italianità und den satirischen Humor dieses witzigen Werks.
So eine Produktion paßt ganz wunderbar in die Zeit des Aufbruchs mit Licht am Ende des Corona-Tunnels und folglich herrschte Partystimmung am Premierenabend im Lübecker Theater.
Dabei ist die Stimmung im Stück eher gereizt, weil die Aufführung der Oper „Romulus und Ersilia“ in der Katastrophe zu versinken droht. Eifersüchteleien und Allüren der Protagonisten führen zu handfesten Streitereien, zwei Hauptdarsteller schmeißen hin und dem Impresario geht das Geld aus. Die Mutter der zweiten Sopranistin bietet sich an, das Stück zu retten und zwar durch die Übernahme einer Rolle und die Verpfändung ihres Schmucks. Das ist die Ultrakurzfassung der Handlung und man ahnt zu Recht Schlimmes für den Ausgang…
Es ist unter Theaterleuten eine bekannte Tatsache, daß es viel schwerer ist, überzeugend lustig zu sein als dramatische oder ernste Rollen zu spielen. Eine vollständige Oper mit rasantem Tempo und großer Besetzung durchweg komisch rüberzubringen, ist in der Tat nicht leicht, aber in der Inszenierung von Effi Méndez wundervoll gelungen. Mit Donizettis herrlich dynamischer Musik voll schmissiger 4/4–Takte und parodistischen Anleihen aus der Opernliteratur des frühen 19. Jahrhunderts kann man eigentlich nichts falsch machen.
Takahiro Nagasaki und das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck feiern diese musikalische festa furiosa nicht nur mit hörbarem Spaß an der Sache, sie arbeiten auch die differenzierten Klangfarben fein und klar heraus. Farbig, ja knallbunt ist ebenfalls das Bühnenbild von Stefan Heinrichs, von Joan Mirós Bildern inspiriert. Dazu passen die Kostüme von Ilona Holdorf-Schimanke – alles ist natürlich parodistisch übertrieben, aber nicht albern überzogen. Das trifft insgesamt für die Produktion zu; es ist kein Klamauk-Theater, sondern ein Riesenspaß mit bezaubernden Ideen. Lediglich die Verzerrung Ersilias als Klofrau, die eine vergoldete Toilette schrubbt, wirkt etwas überzogen. Aber es ist ein Gesamtkunstwerk zum Tränenlachen mit großartigen Leistungen der Solisten.
Andrea Stadel als Primadonna Corilla spielt und singt die Rampensau so brillant, daß sie mehrfach verdienten Szenenapplaus dafür geschenkt bekommt. Von dem gab es ohnehin reichlich an diesem Abend. Ihr Ehemann Stefano definiert sich vor allem durch den Dienst an der Diva, Erwin Belakowitsch ist unglaublich komisch, wenn er seine Gattin anpreist.
Einer der witzigsten Inszenierungs-Einfälle ist seine Powerpoint-Präsentation mit Bildern der Sängerin in Begleitung vieler Prominenter. Nicht minder lustig ist er in der Rolle des Romulus, die er anstelle des ersten Tenors übernimmt. Für die war eigentlich der Russe Antolstoinolonoff vorgesehen, der die Produktion aus Protest verlassen hatte. Yoonki Baek gibt einen herrlich schmierigen Goldkettchenhelden, der in seiner Überzeugung von seiner Begabung ziemlich alleine dasteht. Zu den Deserteuren gehört ebenfalls die Mezzosopranistin Dorotea. Auch wenn dies eine Nebenrolle ist, so ist sie doch mit der großartigen Wioletta Hebrowska besetzt.
Das macht auch die Qualität der Inszenierung aus, in der nicht am falschen Ende gespart wird. Ob Johan Hyunbong Choi als Komponist, Beomseok Choi als Librettist oder Gerard Quinn als Impresario – alle Rollen sind hochkarätig besetzt.
Das gilt ebenso für Luigia, die zweite Sopranistin spielt eine kleinere Rolle, aber die singt immerhin Evmorfia Metaxaki, bewährt hinreißend charmant. Absoluter Abräumer ist aber Steffen Kubach als deren Mutter, Mamma Agata. Zu den herausragenden Leistungen des fast zwei Meter großen Baritons gehört schon das zweistündige Laufen und Tanzen auf Stöckelstiefeln. Sprachlich, spielerisch und sängerisch ist der Mamma-Mann eine Wucht; man muß diese übergriffige, überkandidelte, überschminkte und mit viel zuviel Glitzer behängte Übermutter einfach lieben!
Kubach und auch die anderen Solisten variieren als singende Schauspieler oder spielende Sänger durch Mimik, Gestik und Bewegung kurzweilig die – der Oper dieser Zeit gemäßen – Wiederholungen von Textstellen. Der gesprochene Text nach der Fassung von Karlheinz Gutheim und Horst Goerges wurde hier noch einmal bearbeitet, was dem Ganzen eine frische Spontaneität verleiht. Da scheint auch in der Probenarbeit eine belebende Freiheit geherrscht zu haben, was allerdings dem exakten und synchronen Spiel bzw. Gesang aller Mitwirkenden keinen Abbruch tut. Das Textverständnis ist so gut, daß die Übertitel eigentlich nicht nötig wären, aber es lohnt, sich diese anzusehen, denn darin verbirgt sich mancher Gag, etwa, wenn einige Textstellen des russischen Tenors in kyrillischen Buchstaben wiedergegeben sind. Seine mangelnde Textkenntnis führt zu absurden Auswüchsen wie der Beschwörung des „klaren Brokkoli“; diese Albernheiten hatte tatsächlich auch schon Donizetti vorgesehen, indem er Rossini-Arien parodierte.
Nicht von Donizetti stammen in jedem Falle das „Tristan“-Zitat, als es um die verrückten „Neutöner“ geht, das „Esultate“ aus Verdis „Otelleo“ oder das Lied „Mein Gorilla hat ´ne Villa im Zoo“ von 1933, das die Mamma ansingt, um die Primadonna Corilla zu verspotten.
Die Detailverliebtheit mit viel Humor zieht sich bis ins Programmheft mit, unter anderem, zahlreichen lustigen Texten aus dem 18. und 19. Jahrhundert und wunderbaren Photos von Kubach, wie er als Mutti den Prosecco gleich aus der Flasche trinkt oder beim Ladendiebstahl erwischt wird.
Wer diese großartige, mit begeistertem Applaus gefeierte Produktion versäumt, ist selber schuld – und riskiert, daß la Mamma ihm eins mit der Handtasche überzieht!
Dr. Andreas Ströbl, 9. Oktober 2021
Photos: Olaf Malzahn