Lübeck: „L’armore dei tre re“, Italo Montemezzi

Wozu braucht man schon Drogen, wenn man während 95 Minuten durch Italo Montemezzis geniale Klangwogen in einen ekstatischen, soghaften Rauschzustand versetzt werden kann? Zugegeben, Montemezzis musikalischer Sprache haftet etwas Eklektisches an, macht er doch aus seiner Verehrung für Wagners Musikdramen keinen Hehl, lässt daneben durchaus Einflüsse von Debussy erkennen und würzt das Ganze mit der feurig lodernden Leidenschaft italienischer Operndramatik und der Orchestrierungskunst eines Richard Strauss. So entsteht ein Best-of-Wagner-and-Verismo-Sound in Dauerschleife.

(c) Olaf Mahlzahn

Wenn dann diese reichhaltigen Klänge noch so blutvoll und farbenprächtig aus dem Orchestergraben aufsteigen wie gestern Abend anlässlich der – leider – letzten Vorstellung, ist das Opernglück vollkommen. Das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der mitreißenden Leitung von Takahiro Nagasaki ließ die Wogen der Musik wunderbar aufblühen und vermochte einen Strudel zu erzeugen, dem man nicht entrinnen konnte.

Auf der Bühne standen Sänger, die den gewaltigen Orchesterwogen mehr als gewachsen waren, Leidenschaft und Verzweiflung mit ausdrucksstarken Stimmen zu evozieren vermochten. Die Oper enthält nur eine weibliche Hauptrolle, Fiora, um die die drei Könige wie Motten um das Licht schwirren – und verbrennen. Virginia Felicitas Ferentschiks Stimme ist geradezu perfekt für die Rolle dieser Femme fatale. Ihr funkelnd-erotisches Timbre, gepaart mit dynamisch eingesetzter Kraft und Leidenschaft, vermochte zu begeistern. Beeindruckend sang auch ihr tenoraler Liebhaber Avito, der von Yoonik Baek mit großer Emphase interpretiert wurde. Einige manierierte tenorale Schluchzer zu Beginn legten sich bald. In den Duetten mit Fiora schwang er sich zu packender Leidenschaft auf. Der Ehemann Fioras, der Königssohn Manfredo, ist eigentlich die traurigste und bemitleidenswerteste Figur des Stücks. Verliebt in seine Gemahlin, die ihn zwar nicht liebt, aber auch nicht verletzen möchte. Zusätzlich kann er auch den hohen Ansprüchen seines Vaters Archibaldo nicht genügen. Anton Keremidtchiev singt diesen armen Manfredo mit kraftvollem, überragend eindrücklich intonierendem Bariton grandios.

Sein Vater, der blinde, alte Archibaldo, ist die zentrale Figur der Oper. Der kernige, sonore Bass von Rúni Brattaberg verleiht der rach- und eifersüchtigen Gestalt eindringliches Profil. Man kann sehr gut nachvollziehen, wie sehr er unter seiner Erblindung leidet, und doch rechtfertigt dies in keiner Weise sein schändliches Handeln. Ihm zur Seite steht mit Flamingo quasi ein „Diener zweier Herren“. Denn er ist sowohl unentbehrlicher Helfer und „Auge“ Archibaldos, als auch Anhänger und Unterstützer des ehemaligen Königs Avito, dessen Affäre mit Fiora er deckt. In dieser Rolle ließ der Noah Schaul mit heller, kraftvoller Tenorstimme aufhorchen und empfahl sich für größere Aufgaben. Ein Sänger, dessen Karriere man gerne im Auge behalten will.

(c) Olaf Mahlzahn

Natalia Bogdanova (Magd/Junge Frau), Thomas Stückemann (Ein junger Mann) und Therese Fauser (alte Frau und Stimme aus dem Off) bereicherten in den kleineren Partien das exzellente Ensemble. Der Chor des Theaters Lübeck untermalte mit düsterer Klangschönheit die Trauerfeier für Fiora.

Inszeniert worden war das düstere, dem Symbolismus nahestehende Stück von Effi Méndez, im an die monumentalistische Architektur des Faschismus erinnernden Bühnenbild von Stefan Heinrichs und mit den Kostümen von Ilona Holdorf-Schimanke. Dieses Inszenierungsteam hat eine schwülstige, dekadente Atmosphäre geschaffen, die sehr gut zur geschmacklosen Welt eines Zeitgenossen Montemezzis und Benellis passt, des Dichters und faschistischen Ideengebers Mussolinis, Gabriele D’Annunzio. Die Engelsfiguren, welche das Liebesnest Fioras und Avitos hüteten und am Ende Wasser spien, waren vielleicht des Guten etwas zuviel.

Hervorragend gelungen erschien mir die Kostümdramturgie der drei Könige: Archibaldo mit blauer und mit vielen Orden geschmückter Gala-Uniform-Jacke, Manfredo im Designeranzug und Avito im lockeren Freizeitlook.

(c) Olaf Mahlzahn

Amerikanische Kritiker hatten nach der Erstaufführung 1914 an der Metropolitan Opera (unter der Leitung Toscaninis) geschrieben, dass dies Werk die beste italienische Oper seit Verdis Otello sei. Das mag etwas enthusiastisch erscheinen, doch diese amerikanische Begeisterung rechtfertigt nicht die Blasiertheit gewisser Europäer, welche einfach alles, was Amerikaner gut finden, als minderwertig abtun. Leider hat Montemezzis dieses Schicksal ereilt In Europa gab es nach 1930 kaum mehr Aufführungen. Löbliche Ausnahmen waren Bregenz und das Opernhaus Zürich. Man kann dem Theater Lübeck nur danken und gratulieren, dass es den mutigen Anlauf genommen hat, um diesem hochinteressanten Werk erneut eine verdiente Chance zu geben.

Kaspar Sannemann, 24. Februar 2023


L’armore dei tre re

Italo Montemezzi

Theater Lübeck

23. Februar 2023

Regie: Effi Méndez

Dirigat: Takahiro Nagasaki

Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck