Uraufführung am 14. Mai 2022 – besuchte Dernière am 24. Juni 2022
Nicht als Fiktion in Krimi-Filmen sondern als traurige Realität wurde kürzlich bekannt, daß in der Nachkriegszeit amtierende Bischöfe von Münster in Westfalen mitgewirkt haben bei der Vertuschung sexueller Verbrechen durch untergebene Priestern.
Umso mehr bewundert wird demgegenüber bis heute das Wirken ihres Vorgängers, Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster 1933 bis 1946, also in der gesamten Herrschaftszeit des Nationalsozialismus. Gegen diesen bezog er als einziger katholischer Würdenträger in Predigten und Schriften öffentlich Stellung, was ihm etwa den Beinamen „Löwe von Münster“ eintrug, während ein Nazi-treuer Bischofskollege ihn als „Elefant im Porzellanladen“ bezeichnete. Als Bischof verurteilte er scharf die Vertreibung der Ordensleute aus den Klöstern, empörte sich in Deutschland-weit verbreiteten Predigten aber vor allem über die Euthanasiemaßnahmen, im Nazi-Jargon die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ Dies folgte für ihn aus der christlichen Lehre vom gleichen Wert aller Menschen vor Gott und ganz im Gegensatz zur durch ihn immer bekämpften Ideologie in Rosenberg´s „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“ Tatsächlich wurden diese von Galen als „Mord“ bezeichneten Maßnahmen dann beendet. Einen Prozess gegen ihn, der mit der Todesstrafe geendet hätte, verschob das NS-Regime auf die Zeit nach dem „Endsieg“, da es Unruhen in der traditionell katholischen Bevölkerung Münsters befürchtete.
Kritisiert wird er wegen seiner zum alten westfälisch-katholischen Adel, dem er entstammte, passenden erzkatholischen, patriotischen Gesinnung, dies vor allem von Leuten, die die Zeit nicht selbst erlebt haben. Dazu gehört etwa, dass er über die Judenverfolgungen schwieg oder den Krieg gegen die kirchenfeindlichen „Bolschewiken“ befürwortete – letzteres durchaus im Einklang mit der Mehrheitsmeinung der Münsteraner, wie der Verfasser aus Gesprächen mit Eltern und Verwandten weiß.
Musikdramatisch überzeugend und theaterwirksam wurde diese herausragende historische Gestalt in ihrem historischen Umfeld jetzt dargestellt in einer Oper in 20 Szenen komponiert von Thorsten Schmid-Kapfenburg auf ein Libretto von Stefan Moster unter dem Titel „Galen (Der Kardinal)“ – einem Auftragswerk des Theaters Münster.
Die Uraufführung fand am 14. Mai dieses Jahres statt unter der musikalischen Leitung von GMD Golo Berg in der Inszenierung von Holger Potocki.
Gespielt wurde in einem Einheitsbühnenbild von Andreas Becker, das einen die ganze Bühne einnehmenden bunkerartigen Raum mit für kirchliche Szenen goldenen Wänden als Symbol der Macht der katholischen Kirche darstellte. Dieser wurde auf der Rückseite durchbrochen durch ein riesiges Hakenkreuz als Einbruch von aussen in diese abgeschlossene Welt. In ihm konnten dann verschiedene Handlungsorte wie Bischöfliches Arbeitszimmer oder Galen auf der Kanzel in der Kirche dargestellt werden. Die Kostüme ebenfalls von Andreas Becker entsprachen detailgenau der Zeit der Handlung. Eingespielt in die Handlung, teils in der Partitur vorgeschrieben, wurden u.a. Reden Rosenbergs aus einem „Volksempfänger“ , Glocken des Paulus-Doms, Vertreibung von Mönchen aus dem Kloster oder Luftangriffe. (Sven Stratmann) . Überflüssig waren Videos nach der Oper über einen Spaziergang durch das heutige Münster.
Wie ein „Kontrapunkt“ wurde der historischen Handlung hinzugefügt etwa als heutige „öffentliche Meinung“ eine junge Frau namens Jasmin, die in imaginären Gesprächen ihre kritischen Fragen an Galen richtete, dadurch seinen Weg begleitete und zum Schluß trotz seiner menschlichen Schwächen „als Kind seiner Zeit“ Verständnis und Bewunderung für ihn aufbrachte. Dies spielte Kathrin Filip glaubwürdig und keck und konnte sich stimmlich in der Anfangs- und der parallelen Schlußszene mit kräftigem Sopran textverständlich gegen das grosse Orchester und den Chor behaupten. Gleichzeitig gelangen ihr lyrische Momente teils auch ganz ohne Orchesterbegleitung. Größte Bewunderung verdiente Gregor Dalal in der Titelpartie des Galen. Glaubwürdig spielte er die Entwicklung vom die Obrigkeit akzeptierenden Bischof über die Angst zu Beginn des Widerstands, die Verlegenheit bei Ablehnung der Unterstützung der Juden, bis hin zum selbstsicheren aufrechten auch zum Tod bereiten Kämpfer gegen staatliches Unrecht. Stimmlich beherrschte er alle Facetten der riesigen Partie – er stand fast immer auf der Bühne. Textverständlich mit kräftigem Bariton blieb er gegenüber grossem Orchester, fand nachdenkliche leise Töne und deutlich zu hören war sogar der „Atemgesang“ ohne Worte aus Empörung über HJ-Spottlieder auf die Kirche.
Nachdrücklichen stimmlichen Eindruck hinterließ Suzanne McLeod als Mutter von Galen. In riesigem Reifrock wie eine Erscheinung aus dem Jenseits sprach sie ihm in langen Mezzo-Soprantönen Mut zu. Ihr Duett mit Galen, nachempfunden der Lauretanischen Litanei, mit dem „Bitte für uns“ an die Gottesmutter war ein musikalischer Höhepunkt des Abends.
Mit hellem herrischen Tenor sang Mark Watson Williams den zackigen Gauleiter Meyer, in seiner Feindschaft gegenüber der Kirche noch übertroffen von Frederik Schauhoff als Gestapo-Mann. Erfreut war man über ein Wiedersehen und Wiederhören mit dem Bassisten Mark Coles als Regens Francken – so eine Art Vertrauter des Bischofs. Den noch engeren Vertrauten, nämlich Galens Sekretär, sang mit der jeweiligen Situation angepaßten Tenor Christian-Kai Sander. Als Galens Bruder Franz überzeugte mit anrührender Tenor-Stimme Youn-Seong Shim. Mächtige Baßstimme ließ Stephan Klemm als Galens Freund Coppenrath hören, der später auch einen englischen Offizier darstellte, der Galen nicht von der „Allgemeinschuld“ der Deutschen überzeugen konnte.
Grossen Anteil am Gelingen der Aufführung hatten Opern- und Extrachor einstudiert von Anton Tremmel. Das hörte man etwa bei sich steigernder Wiederholung der Worte aus Galens Predigt, nicht „Hammer sondern Amboß“ (der hält mehr aus!) wollten sie sein. Mächtig klang auch der Chor über den Psalm von der Zerstörung Jerusalems, mit dem die Luftangriffe und Zerstörung Münsters, wohl der Angriff am 10. Oktober 1943, beschrieben wurden. Ruinen ersetzten danach den Hintergrund des vorigen Bühnenbildes.
Passend für eine grosse Oper hatte die farbige (etwa auch mit Celesta), abwechslungsreiche, rhythmisch sehr markante (fünf Schlagzeuger) Musik Thorsten Schmid-Kapfenburgs entscheidenden Anteil am Erfolg des Abends. Da gab es „reine Musiknummern“ wie etwa zu Videos die „Reichspogromnacht“, es gab „Musik, die Stille ausdrückt“ oder während Galens Reise zur Ernennung zum Kardinal ein umfangreiches Zwischenspiel, in dem Trümmerfrauen eine schwarz-rot-goldene Fahne über das am Boden liegende Hakenkreuz legten. Teile von Galens Rede nach der Kardinals-Ernennung wurden als O-Ton eingespielt von Musik unterbrochen. Zwei Akkorde waren Galen zugeordnet, für Nazis gab es – wohl ironisch gemeint – eine von ihnen doch gehaßte 12-Ton-Reihe. Auch Klappern von Schreibmaschinen-Tasten wurde in die Musik integriert.
Viele instrumentale Soli erfreuten Ohren der Zuhörer, vor allem der Streicher und Holzbläser, aber auch mächtige Trompetenschläge und runde Hörnerklänge waren zu hören, letztere etwa bei einer kurzen Jagdszene zu Beginn der Oper. Als Kapellmeister am Theater Münster kannte der Komponist die Stärken einzelner Musikerinnen und Musiker.
Dies alles ließ GMD Golo Berg deutlich hörbar zum Ausdruck kommen und koordinierte wie gewohnt exakt und überlegen das musikalische Geschehen.
Das – soweit Corona-bedingt möglich – zahlreiche Publikum zeigte sich ergriffen und applaudierte dann herzlich und anhaltend, vor allem natürlich dem anwesenden Komponisten.
Ursprünglich kam die Anregung zu dieser Oper von GMD Berg, ermöglicht hatte sie Intendant Dr. Ulrich Peters. Für ihn gibt es zur Zeit am Theater ein „Abschiedsfestival“, in dessen Rahmen mit dieser Aufführung sein Abschied vom Opernensemble stattfand.
Es wäre zu wünschen, dass diese Oper an anderen Bühnen nachgespielt wird, insbesondere an solchen mit Bischofssitz, deren damalige Amtsinhaber mehr oder weniger brav mitgemacht haben. Auch eine Video-Aufzeichnung könnte veröffentlicht werden.
Sigi Brockmann 25. Juni 2022
Fotos Oliver Berg
Besuchte Premiere am 24.04.2022