Münster: „Der Vetter aus Dingsda“, Eduard Künneke

Premiere 19. März 2022 – besuchte Aufführung 8. April 2022

Werkgetreu inszeniert

Am Theater Münster wurde – Corona-geschuldet – in dieser Spielzeit bisher keine Oper aufgeführt, auch das letzte Projekt, Mozart´s „Idomeneo“, wurde aus diesem Grunde abgesagt. Stattdessen wurde Bernstein´s komische Operette „Candide“ wiederum Corona-bedingt in einer gelungenen halbszenischen Aufführung gezeigt – wir berichteten darüber.

Als weiteren „Komische Oper – Ersatz“ gab es nun „Der Vetter aus Dingsda“ von Eduard Künneke auf den Text von Hermann Haller und Rideamus (Fritz Oliven) Eingängige Melodien, geistreiche Ensembles, spätromantisch anmutende Harmonien und Instrumentation, mit denen Künneke die zeitgenössischen Tanzrhythmen wie etwa Tango, Valse-Boston, Onestep, Foxtrott, Paso-doble teilweise veredelte, auch Zitate aus früheren Musiknummern als „Erinnerungsmotive“ verwendet, dies alles zeigt zu aller komischen Leichtigkeit kompositorische Meisterschaft.

Komische Verwechslungen regt schon der Inhalt an, den man kaum ernst nehmen kann.. Ob nun der richtige Roderich der falsche August ist oder umgekehrt kann man nur mit einem Lied der Operette beschreiben „Kindchen, du mußt nicht so viel denken“ – jedenfalls gibt es ein sentimentales Paar mit Julia de Weert und einem Tenor und ein eher heiteres mit ihrer Freundin Hannchen und einem weiteren Tenor. Komische Charaktere sind auch der aufs reiche Erbe seines Mündels Julia versessene und verfressene Onkel Josse (eigentlich Josef Kuhbrot) – solche Mitgiftjäger kennen wir aus mancher komischen Oper – und seine Frau Wimpel.

Bedingt durch Corona-Isolation des eigentlich vorgesehenen Dirigenten hatte die musikalische Leitung dieser Vorstellung Justus Thorau als Gast vom Saarländischen Staatstheater übernommen. Zugleich war es die letzte Münsteraner Inszenierung des inzwischen zum Intendanten des Badischen Staatstheaters aufgestiegenen Ulrich Peters.

Erfreulichen Anblick bot schon das Bühnenbild von Bernd Franke, eine Terrasse vor einer riesigen Eiche, die auch als Schlußbild von Verdi´s „Falstaff“ gepaßt hätte. Sie wurde links begrenzt durch die Fassade einer schloßähnlichen Villa, rechts durch die eines Gartenhauses – fürwahr ein vornehmes Anwesen „de Weert“, eben kein mit Neonröhren erhellter Holzfußboden, wie wir es ja heute manchmal ertragen müssen. Auch Gewitter und Regen wurden naturalistisch dargestellt – „der Himmel und die Weiber haben ihre Mucken“ wie es im Text heißt. Die Kostüme von Bernard Niechotz waren nicht häßliche Alltagsklamotten, sondern entsprachen etwas exzentrisch dem Stil der Entstehungszeit der Operette, mit Ausnahme von Onkel Josse und seiner Frau Wimpel, die altmodischer gekleidet waren.

In diesem Rahmen ließ der Regisseur die Handlung wie von den Autoren gewünscht ablaufen mit einigen witzigen Zutaten, etwa wenn einer der Diener seine Herrschaften mit Gewehr und Patronengürtel schützen wollte. Manchmal hätte man sich noch mehr tänzerische Beweglichkeit etwa im Sinne einer Musical-Aufführung auf der Bühne gewünscht. Dafür – und das galt besonders bei einem Gastdirigenten – konnte die Konzentration auf den Gesang um so grösser sein.

Da war zuerst zu nennen Tanja Kuhn als Julia. Mit schmachtend-lyrischem Legato glänzte sie etwa bei ihrer Sehnsuchs-Arie an den „strahlenden Mond“, der auch entsprechend auf der Bühne zu sehen war. Auch in den Ensembles und Orchesterbegleitung war sie stets hörbar und weitgehend textverständlich, Das galt etwas weniger für Kathrin Filip als ihre Freundin Hannchen, die mit etwas kleinerer Stimme aber durch ihr kesses Spiel für Begeisterung sorgte, etwa im Besen-Duett mit Julia.

In der eigentlichen Tenorpartie konnte Garrie Davislim sich stimmlich im Laufe der Vorstellung immer weiter steigern. Das Zauberschloß-Terzett mit den beiden Damen geriet zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Sein ohne falschen Schmelz aber mit lyrischem Legato gesungener „Wandergesell“ schloß er mit hohem p-Schlußton – der Szenenapplaus war verdient. Wie vielen Tenören bereiteten die tiefen Töne seiner Partie, etwa im „Batavia-Foxtrott“, ihm kleine Schwierigkeiten.

Gesanglich und schauspielerisch war Rainer Zaun als Onkel Josse eine Wucht. Das zeigte er etwa schon sofort zu Beginn, wie er Bordeaux, Fricandeau und Salat in sich hereinstopfte und bei markanter Orchesterbegleitung zwischendurch kurze Bemerkungen mit volltönender Stimme textverständlich singen konnte. Seine Frau Wimpel hat sich zumeist damit zu begnügen, ihm zuzustimmen. Das gelang Suzanne McLeod stimmlich und mit ihrer bekannten grossen Bühnenpräsenz eindrucksvoll. Begeistern konnte der aus Wien stammende Andreas Sauerzapf als Gast von der Staatsoperette Dresden in der Rolle von Julias tolpatschigem Verehrer Egon von Wildenhagen. Sein Spiel war komisch aber nicht lächerlich, manchmal fast mitleiderregend. Stimmlich erfüllte er alle Wünsche an die Partie, sodaß etwa das Terzett mit Julia und Hannchen über die Qualen der Ehe ein musikalischer Höhepunkt war. Die beiden Diener gespielt und gesungen von Lars Hübel und Christian-Kai Sander komplettierten mal vornehm mal als Gärtner gekleidet das Gesangsteam, sodaß etwa das Ensemble beim Frühstück des „Wandergesells“ eine Delikatesse auch für den Zuhörer wurde. Die kurze Rolle des zweiten Fremden übernahm David Zimmer – er konnte etwa im Duett mit Hannchen schon damals die Freuden des Autofahrens besingen.

In dessen Orchesterbegleitung wird der Ton der Autohupe musikalisch verarbeitet, was wiederum das Niveau der Musik und des Sinfonieorchesters Münster bestätigte. Dessen Qualität zeigte sich auch bei einzelnen Instrumentalsoli, etwa der Violine, des Horns beim Auftritt des „Wandergesells“, oder dem impressionistischen Klang der Harfe mit Celesta und Holzbläsern beim „Zauberreich“

Gastdirigent Justus Thorau leitete das ja teilweise rhythmisch vertrackte musikalische Geschehen exakt und überlegen, ließ auch im Tempo genügend Raum für die sentimentalen Orchesterklänge. Applaus der Sängerinnen und Sänger für ihn .zum Schluß bestätigte dies. Eine Flagge der Ukraine wurde als Zeichen des Mitgefühls auch gezeigt.

Betreffend das nicht sehr zahlreiche und zum grossen Teil ältere Publikum im Theater wäre von denen für diese musikalisch und szenisch eingängige Aufführung länger andauernder und intensiverer Beifall verdient gewesen.

Sigi Brockmann 9. April 2022

Fotos Oliver Berg