Münster: „Der Schmied von Gent“, Franz Schreker

Nicht nur wurde in Münster und Osnabrück im Jahre 1648 der dreißigjährige Krieg durch den Westfälischen Frieden beendet – es wird in diesem Jahr reichlich mit etwas krummen 375-jährigen Gedenken daran erinnert. Sondern es wurde in demselben Jahr in Münster auch der 80-jährige Krieg zwischen dem spanischen Habsburger-Reich und den aufständischen niederländischen Freiheitskämpfern (Geusen genannt) durch einen Frieden beendet, in dem die nördlichen protestantischen Provinzen als „Vereinigte Niederlande“ unabhängig wurden. Goethes „Egmont“ und Schillers Schrift über diesen Krieg haben hier ihre Wurzeln. Bei Spanien blieben vorläufig die katholischen südlichen Provinzen, woraus später Belgien entstand.

(c) Martina Pipprich

Vor diesem historischen Hintergrund erfand der durch seinen „Ulenspiegel“ bekannte Schriftsteller Charles de Costa in seinen „Vlämischen Mären“ die Figur eines „Smetse Smee“, der als Geuse gekämpft und sich dann trotz Haß auf die aber doch gut zahlenden Besatzer im spanisch besetzten Gent als Schmied niedergelassen hatte und dort phantastische Abenteuer erlebte, wobei er ähnlich Ulenspiegel alle zu seinem Vorteil zu nutzen wusste.

Diese inspirierten Franz Schreker zu einer „grossen Zauberoper“ auf ein eigenes Libretto unter dem Titel „Der Schmied von Gent“ – in großen Teilen inhaltlich und stilistisch ein völliger Gegensatz zu seinen bisherigen spätromantischen Opern, mehr angepasst an den unterhaltsamen und parodierenden Stil der frühen 30-er Jahre (Uraufführung 1932).

Diese selten gespielte Oper, die der Verfasser nur einmal vor langer Zeit in Bielefeld in der Regie von John Dew erlebt hat, hatte jetzt Premiere am Theater Münster unter der musikalischen Leitung von Henning Ehlert in der Regie von Magdalena Fuchsberger.

Durch Intrigen seines Konkurrenten im Schmiedehandwerk Slimbroek verliert Smee seine Schmiede und all sein Hab und Gut, worauf er den Slimbroek aus Wut in den Fluß Leie – einem Nebenfluß der Schelde – wirft. In der Welt der Sagen nicht neu schließt er einen Pakt mit dem Teufel über sieben gute Jahre gegen danach folgende Fahrt seiner Seele zur Hölle. Mit Hilfe des von ihm in der Not barmherzig unterstützten hl. Joseph samt Maria und Jesuskind werden ihm drei Wünsche erfüllt. Mit diesen überlistet er den Teufel, der ihn zur Hölle abholen will. Dieser kommt in Gestalten des Henkers Jakob Hessels, der in einem Pflaumenbaum festgesetzt wird, des Herzogs Alba, der in einem Lehmstuhl gefangen wird und der verführerischen Göttin Astarte, die er zwecks Heilung ihrer Wunden in einen Sack sperrt, den sie nicht verlassen kann.  Nach seinem Tod findet er allerdings trotzdem erst dann Eingang ins Paradies als seine Frau und der heilige Josef auf  seine trotz aller Fehler guten Taten hinweisen und er damit prahlt, die Teufel mit dem großen Schmiedehammer verprügelt zu haben.

(c) Martina Pipprich

Die ersten beiden Akte zeigten dann den beschriebenen heiteren Ablauf einschließlich der ganz im Bühnennebel versinkenden Höllenvision mit dazu passenden Teufeln,  mit der der zweite Aufzug und das gute Leben von Smee und seiner Frau enden. Dafür baute Monika Biegler ein viereckiges Einheitsbühnenbild bestehend aus seitlichen Holzwänden mit jeweils einer Sitzreihe davor – von Ferne nachempfunden dem Friedenssaal im Rathaus von Münster. Den Hintergrund bildete zuerst das Abbild einer Landschaft, im dritten Akt ein Vorhang, hinter dem das Paradies sich befinden sollte. Die im zweiten Akt von den Teufeln für Smee bereitgestellte Schmiede und jede Menge Braten, Bier und Wein wurde in einem von der Decke herabgelassenen Würfel angedeutet, in dem man erst Feuersglut, dann die leckeren Mahlzeiten erkennen konnte. (Video Aron Kitzig) Einige Felsbrocken auf dem Bühnenboden sollten wohl einen Kai an der Leie darstellen, in die Smee den Slimbroek durch eine Öffnung hinabwarf.

Die Kostüme von Dorothee Curio entsprachen für die „Genter“ der Zeit der Entstehung der Oper, für die Spanier der Zeit, in der die Oper spielt. Um den plötzlichen Wohlstand von Smee und seiner Frau optisch darzustellen, waren diese im zweiten Akt mit ganz überdimensionierter Körperfülle in dazu passenden Kostümen gekleidet, was beide nicht hinderte, zum Tanzlied des Chores im zweiten Akt „Rosa wollen wir tanzen“ kräftig mitzutanzen.

Im dritten Akt gingen dann Regie und Regieanweisungen auseinander. Smees Wanderung nach seinem Tod wurde von diesem nur pantomimisch dargestellt. Zum als Übertitel erwähnten schwarzen Teufelshaus war etwa der Chor der Teufel weiß gekleidet unten links auf der Bühne platziert. Vielleicht sollten Teufel als Engel erscheinen. Auch die Himmelsleiter erklomm Smee nur pantomimisch. Realistisch wurde dann wieder die Szene in der Kneipe mit dem berühmten Trinklied dargestellt, die Smee vor dem Paradies eröffnete. Zum gewaltigen Finale erstrahlte dann alles im hellsten Paradies-Licht.

Musikalisch war die Aufführung ein Erfolg. Das lag zuerst an den beiden Hauptpersonen. Alik Abdukayumov als Smee erfüllte darstellerisch und insbesondere sängerisch bei guter Textverständlichkeit alle Anforderungen der Riesenpartie, vom Sprechgesang über Legato bei der Arie, als er Selbstmord verüben will, oder dem traurigen   „Schöne Bäum’“ wo er seine Angst vor der bevorstehenden Höllenfahrt ausdrückt, bis hin zu den Koloraturen, mit denen er den Henker Hessels auf den Pflaumenbaum – hier nur ein Gerippe – lockte. Auch stimmlich weicheres Timbre gegenüber der verführerischen Göttin Astarte und besonders gegenüber seiner Frau gelangen ihm.

Diese, dargestellt von Wioletta Hebrowska, traf den karikaturhaft schlichten Hausfrauen-Ton, als sie etwa in ihrer Anrufung an den lieben Gott im ersten Akt zum Schluß den Konkurrenten Slimbroek auf den Misthaufen wünschte oder im dritten Akt den Tod von ihres Mannes kurz aber ergreifend betrauerte. 

(c) Martina Pipprich

Smee’s Konkurrent als Schmied Slimbroek wurde von Garrie Davislim hier nicht mit edlem Tenor, gesungen, wie wir ihn von ihm als vierter Knappe beim Bayreuther Parsifal in Erinnerung haben, sondern mit höhnischem Timbre, als er sich über Smee´s Elend lustig machte und dabei überzeugend den Trunkenbold spielte. Mit verführerischem Stimmausdruck und gut getroffenen Spitzentönen erfreute Robyn Allegra Partonals Teufelin Astarte. Benjamin Park als Smee’s Geselle Flipke  zeigte seine Tenor-Künste vor allem in den Koloraturen zu Beginn des populären Trinklieds im dritten Aufzug,  Alle anderen der zahlreichen Solopartien waren passend besetzt.

Grosses Lob gebührte dem Chor und Extrachor in der Einstudierung von Anton Tremmel. Von Gassenhauern wie dem Tanzlied oder dem Spottlied auf Herzog Alba (da hätte man  szenisch mehr draus machen können) über schwierigen mehrstimmigen Gesang der Teufel bis zu den hymnischen  Schlußchören  hinter der Bühne mit besonderem Einsatz des Männerchors klappte alles gut.

Nach der früheren Aufführung von Bernstein’s Mass war wieder der Kinderchor des Gymnasium Paulinum in der Einstudierung von M. Sandhäger und R. Stork-Herbst mit dem Spottlied auf Slimbroek zu bewundern.

Schreker’s Musik ist ein Mix aus allen möglichen Stilen vom stampfenden Schmiede-Rhythmus, von lautmalerischen Effekten, (etwa beim klapprigen Gaul von Slimbroeks Pagen) vom Gassenhauer über parodistische Märsche, zahlreiche nicht weiter geführte Fugati bis zu den flirrenden Klängen für die Teufel, insbesondere für Astarte, wie wir sie von früheren Opern Schrekers kennen. An diese erinnerte auch das Finale mit Solisten (alle früheren Feinde waren dabei), Chören und hymnischen Orchesterklang übereinander erklingend.  Das große Verdienst der musikalischen Leitung von Henning Ehlert war es, dass er dies alles, auch dank einiger wiederkehrender Motive, zu einem doch  einheitlichen Klangbild  mit dem  einfühlsam spielenden Sinfonieorchester Münster zusammengefügte und zugleich exakt das Bühnengeschehen leitete.Trotz seiner Größe für die „grosse Oper“ gab es auch kammermusikalische Passagen. Zahlreiche Soli waren aus dem Orchester zu bewundern, stellvertretend seien genannt die Solo-Violine für die Begleitung der Teufelin Astarte oder das Fagott bei Slimbrock’s Sturz in die Leie.

(c) Martina Pipprich

Zum Schluß  bewunderte der Männerchor den Smee „der die Teufel verhauen hat“ und der restliche Chor sang dazu „Gloria“ und „Halleluja“ Über der Bühne erschien die Worte „und heute? Und wir? Immer wieder?“ wohl als Frage, ob auch heute das Lob verdient, der unsere Teufel verhaut.

Das Publikum im nicht ausverkauften Theater feierte durch Applaus vor allem die Darsteller von Smee und seiner Frau, den Chor und das Orchester mit dem Dirigenten. Auch allen anderen Sängerinnen und Sängern wurde applaudiert ebenso wie dem Leitungsteam.

Sigi Brockmann 23. Oktober 2023


Der Schmied von Gent
Franz Schreker

Theater Münster
Besuchte Premiere 21. Oktober 2023

Regie: Magdalena Fuchsberger
Dirigat: Henning Ehlert
Sinfonieorchester und Theaterchor Münster