Osnabrück: „Dido und Aeneas“

Premiere: 26.09.2020, besuchte Vorstellung: 27.09.2020

Psychogramm einer trauernden Königin

Lieber Opernfreund-Freund,

am vergangenen Samstag hatte die Neuproduktion von Henry Purcells Dido and Aeneas im Theater am Domhof in Osnabrück Premiere. Die wollte ich mir nicht entgehen lassen und habe mir deshalb gestern direkt die zweite Vorstellung für Sie angesehen. Der junge Regisseur Dirk Schmeding wählt einen interessanten Regieansatz und der Abend besticht darüber hinaus durch eine schlicht perfekte musikalische Umsetzung.

Wenn man den Zuschauerraum betritt, ist bereits ein großer Rahmen zu sehen, der die Bühne umgibt. DIDO steht rechts oben in der Ecke – und diese Bild beschreibt treffend, was wir in Osnabrück in der kommenden guten Stunde zu sehen bekommen. „Alles ist Dido“ möchte man resümieren, denn Dirk Schmeding nimmt den Titel der Oper, der auf Vergils Aeneis fußt, wörtlich und zeigt nur zwei Figuren: eben Dido, die Gründerin Karthagos und noch vor der Hochzeitsnacht zur Witwe geworden, und Aeneas, trojanischer Sohn der Göttin Aphrodite. Alle anderen Protagonisten sind nur Facetten von Dido selbst: die umsorgende Belinda, der aufmunternde Chor, die böse Zauberin und ihre Hexen sind allesamt nur Teile von Didos Persönlichkeit. Sinnfällig dargestellt ist das sowohl in den türkisenen Kammern, die Martina Segna auf die Osnabrücker Bühne gestellt hat und in denen die einzelnen Figuren – von Plexiglas umschlossen – gefangen sind, aber auch im gleichen schicken Rockmantel, in den Frank Lichtenberg alle Sängerinnen und Sänger hüllt. Dido ist in ihrer Trauer, in ihrer eigenen Welt gefangen, dem stürmischen Womanizer Aeneas gelingt es nicht, zu ihr durchzudringen, auch wenn sie sich nach Nähe sehnt. Die Jagdszene, die bei Schmeding die Jagd von Aeneas nach Dido zeigt, ist sexuell aufgeladen, endet jedoch als erotischer Rohrkrepierer. Intimität zulassen kann Dido nicht – und so sind auch die Videoeinspielungen von Johannes Kulz für den Zuschauer die einzige Möglichkeit, sich Dido zu nähern und ihre Augen, Spiegel zur Seele und wohl deshalb von den Sängerinnen und Sängern über weite Strecken mit Sonnenbrillen bedeckt, und ihr Gesicht in Close-ups zu sehen und Emotionen sehr unmittelbar wahrzunehmen. Ich persönlich bin zwar grundsätzlich kein Freund von offen inszenierten Schlußszenen, wie Schmeding sie gestern zeigt – das aber ist gestern nur ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten rundum gelungenen, tiefgründigen Psychogramm der weiblichen Titelfigur.

Und auch musikalisch hadere ich allenfalls mit dem sportlichen Tempo des Schlussgesangs, das so gar nichts von Trauer vermittelt. Ansonsten ist das Dirigat von Daniel Inbal schlicht perfekt zu nennen. Er spornt die Musikerinnen und Musiker, die gestern auch Theorbe oder Barockgitarre spielen, in den Instrumentalpassagen grundsätzlich zu lebendigen Tempi an, ermuntert Instrumentalisten wie Sänger zu fantasievollen Verzierungen und lässt so die Partitur selbst Kennern immer wieder frisch und neu erscheinen. Der warme Mezzo von Olga Prilova, die gestern die Titelpartie übernimmt, überzeugt mich durch die reichen Emotionen, die er vermittelt ebenso, wie durch makellose Technik, die der Litauerin schier endlose Melodienbögen ermöglicht. Stimmlicher Gegenpart zur feinen Dido ist nicht der Aeneas, den Daniel Wagne r mit schlankem Tenor und viriler Aura gestaltet, sondern die Zauberin von Rhys Jenkins, der seinen imposanten Bariton dazu mit dämonischen Farben schmückt. Marie-Christine Haase ist als Belinda mitfühlend, während Gabriella Guilfoil die Second Woman eher forsch anlegt und dabei die volle Power ihres satten Mezzos zeigt. Beide mischen als Hexen ihren Stimmen jeweils schrille Klänge bei und stellen damit ihre ungeheure Wandlungsfähigkeit unter Beweis.

Der Opernchor singt aus dem Off, doch vier Chorsolisten sind als Alter Egos von Dido nahezu omnipräsent. Der feine Gesang von Elena Soares da Cruz, Kathrin Brauer, Mario Lee und Seokwon Oh fügt sich auch auf der Bühne ideal in das Klangbild der Solisten ein, die präzise Einstudierung von Seird Quarré ist hier deutlich spürbar. Überhaupt merkt man am gestrigen Abend, dass sich Daniel Inbal Gedanken gemacht hat, wie Stimmen zusammen funktionieren. Die Paarung Prilova (Mezzo)/Wagner (Tenor) ist klanglich ebenso interessant wie die der Alternativbesetzung Vent-Wunderlich (Sopran)/Eggers (Bariton) und, dass die androgyne Rolle der Zauberin mit einer Männerstimme besetzt ist, bereichert nicht nur das Klangspektrum (Aeneas und der Seemann wären ansonsten mit ihren vergleichsweise kleinen Partien die einzigen tiefen Register), sondern betont gleichzeitig die dunkle Seite Didos im Zusammenspiel mit dem gelungenen Regieansatz von Dirk Schmeding.

Die Vorstellung ist ausverkauft – auch wenn in diesen Tagen nur einzelne Plätze besetzt sein dürfen und das Osnabrücker Haus hier ein ausgeklügeltes Hygiene- und Zugangskonzept erstellt hat. Pure Begeisterung schlägt sämtlichen Beteiligten am Ende des Abends entgegen – und auch ich kann Ihnen diese interessante Produktion wärmstens ans Herz legen.

Ihr
Jochen Rüth

28.09.2020

Die Fotos stammen von Jörg Landsberg und zeigen teilweise die Alternativbesetzung.