Premiere: 28.09.2019, besuchte Aufführung: 02.10.2019
Verdis Alterssünde
Lieber Opernfreund-Freund,
nach dem fulminanten Spielzeitabschluss mit der Ausgrabung von Albéric Magnards Guercœur-Epos, die bundesweit für Aufsehen sorgte, startet das Theater Osnabrück vergleichsweise konventionell in die neue Spielzeit. Verdis Spätwerk Falstaff steht auf dem Programm und man setzt dabei in der Friedensstadt die Zusammenarbeit mit Adriana Altaras fort, die mit ihrer tiefgründigen Lesart des Rigoletto in der Spielzeit 2016/17 schon das letzten Verdi-Werk, das man in Osnabrück aufgeführt hat, zu einem lohnenswerten Musiktheaterabend gemacht hat.
Manch einer ist der Ansicht, Giuseppe Verdis Falstaff stelle den Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens dar. Andere meinen, er hätte sich nach dem Erfolg der dichten, vielschichtigen, psychologisch wie musikalisch packenden Umsetzung von Shakespeares Otello auf seinen Alterssitz St. Agata zurückziehen und den Lebensabend genießen sollen, statt der Welt eine Alterssünde in Form einer Komödie, durchkomponiert und ohne eingängige Arien oder wenigstens musikalisches Ohrwurmmotiv zu schenken. Und in der Tat hat es sein letztes Werk schwer im Vergleich zu den meisten übrigen Opern Verdis, die nach wie vor die Spielpläne der Opernhäuser auf der ganzen Welt wesentlich mitbestimmen. Dabei hatte sich Verdi bewusst für eine Komödie entschieden, erstmals seit dem Misserfolg seiner zweiten Oper Un Giorno die Regno im Jahr 1840. Und nicht nur er stand dem komischen Genre skeptisch gegenüber: mit Falstaff dauerte es genau 50 Jahre, bis nach Donizettis Don Pasquale (1843) ein italienischer Komponist wieder mit einer komischen Oper einen Welterfolg hat erringen können. Und doch sprüht seine Partitur zur Shakespeare-Vorlage vor feinem musikalischen Witz. Die Ironie, ja der der schelmische Humor eines alten Mannes, der mit einer gehörigen Portion Gelassenheit auf sein Leben zurückblickt, ist in jedem Takt spürbar.
Adriana Altaras versucht, diesen augenzwinkernden Geist in ihrer Regiearbeit umzusetzen, ist dabei allerdings nicht immer erfolgreich. Zwar gelingen ihr durchaus Momente subtiler Komik, beispielsweise, wenn sie die stumme Rolle des Wirtes, von Andreas Schön göttlich gespielt, als omnipräsente Figur etabliert, doch gleitet die aus Zagrab stammende Regisseurin, Schauspielerin und Autorin immer wieder auf das schenkelklopfende Niveau einer Millowitschtheater-Produktion ab. Dann lässt sie Falstaff wild und Beine schwingend in Unterwäsche umher tänzeln, leitet Ford mit schrecklicher Perücke ausgestattet zum Overacting an oder lässt Meg Page allzu sehr mit den Augen rollen; auch die Personenführung ist bisweilen so turbulent wie bei einer Massenszene in „Klimbim“. Vielleicht es ist aber auch einfach wie bei Verdi: Adriana Altaras hätte einfach dem treu bleiben sollen, was sie am überzeugendsten umsetzen kann: dem musikalischen Drama. Und doch ist die Produktion lebhaft und durchaus witzig, die Geschichte nie langweilig, die Altaras komplett im Gasthaus „Zum Hosenbande“ erzählt, das wie der Titelheld seine besten Jahre hinter sich hat und reichlich abgehalftert daherkommt (gelungene wandelbare Bühne: Etienne Pluss und Sibylle Pfeiffer). Ein richtiges Konzept konnte ich jedoch nicht erkennen, was gleichermaßen für die durchaus schönen, aber wenig erzählenden Kostüme von Nina Lepilina gilt.
Premierenzeit ist auf der Bühne gleich in mehrerlei Hinsicht: nicht nur, dass dieser Falstaff die neue Spielzeit eröffnet, in der das Symphonieorchester Osnabrück, mit dem GMD Andreas Hotz am gestrigen Abend den feinen Esprit und musikalischen Witz des Falstaff in jeder Sekunde hörbar macht, seinen 100. Geburtstag feiert. Neben dem neuen aus Litauen stammenden Ensemblemitglied Olga Privalova, das sich dem Osnabrücker Publikum als Meg Page erstmals präsentiert und dabei ihren klangschönen Mezzo zeigt, stehen mehrere Gäste zum ersten Mal in Osnabrück auf der Bühne: Jessica Rose Cambio ist eine ausgelassene Rose, verfügt über einen in allen Lagen voluminösen Sopran und bringt zu ihrem Rollendebüt eine ansteckende Spielfreude mit, die auf das komplette Ensemble überzuspringen scheint. Der junge Tenor Yohan Kim hingegen bleibt als Bardolfo im Vergleich zu Ensemblemitglied José Gallisa, der als Pistola eine echte Luxusbesetzung ist mit seinem ausdrucksstarken und raumfüllenden Bass, vergleichsweise blass. Ebenfalls Gast am Haus ist Nana Dzidziguri, die schon als Soufffrance in Guercœur nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht hat und auch als Mrs. Quickley mit süchtig machendem, tiefgründigem Mezzoklang begeistert. Da darf man gespannt sein, wie sich die Georgierin im kommenden Jahr bei ihrem Bayreuth-Debüt präsentieren wird. Zur Osnabrücker Stammbesetzung gehören Daniel Wagner und Erika Simons, die mit zarten Klangfarben ein unschuldig verliebtes Paar als Fenton und Nannetta geben und dabei ebenso zu überzeugen wissen wie Jan Friedrich Eggers mit feinem Bariton als eifersüchtiger Ford.
Der Mann für alle Fälle am Theater Osnabrück, zumindest wenn es um vielschichtige und abgründige Figuren wie Rigoletto, Doktor Faust oder Guercœur geht, ist Rhys Jenkins. Deshalb war ich besonders auf seinen Falstaff gespannt. Und auch hier erweist sich de aus Wales stammende Bariton als Allzweckwaffe, reüssiert mit vorzüglichem komödiantischen Talent, sauberer Stimmführung und raumnehmender Darstellung der Titelfigur. Der von Sierd Quarré betreute Chor ist schließlich das Tüpfelchen auf dem i, um den Abend musikalisch rund zu machen. Das Publikum im recht spärlich besetzten Theater – liegts am Werk oder dem bevorstehenden Brückentagswochenende? – applaudiert freundlich, wenn auch nicht überschwänglich. Und genauso möchte ich mein Resümee des gestrigen Abends verstanden wissen.
Ihr Jochen Rüth 03.10.2019
Die Fotos stammen von Jörg Landsberg