Osnabrück: „Vanda“, Antonin Dvořák

besuchte Aufführung: 26.03.2014, Premiere am 15.03.2014

Liebe, Pathos und Chorgesang

In der Mitte der dunkel ausgekleideten Bühne (von Tom Musch) befindet sich ein riesiger Opferstein. Während der Ouvertüre erblickt man darauf einen Sarg und davor eine weibliche Gestalt verharren. Es ist Vanda, die um ihren verstorbenen Vater, den polnischen König Krak, trauert.

Antonin Dvořáks Oper „Vanda“ (seine fünfte) wurde 1876 in Prag uraufgeführt. Dem Theater Osnabrück gebührt das Verdienst der szenischen Erstaufführung in Deutschland. Die Oper spielt im 11. Jahrhundert und verarbeitet die Legende der polnischen Fürstin Vanda, die gegen ihren Willen und erst auf Druck des heidnischen Hohepriesters die Königskrone annimmt. Eine Heirat mit ihrem Geliebten Ritter Slavoj wird ihr aus Standesgründen verweigert. Stattdessen bewirbt sich der deutsche Herzog Roderich um ihre Hand. Als er abgewiesen wird, zettelt er einen Krieg an. Vanda legt ein Gelübde ab, ihr Leben zu opfern, falls sie gegen Roderich siegreich ist. Und so kommt es auch. Bei einer Schwarzen Messe der Priesterin Homena (ausdrucksstark Almerija Delic) hat Vanda die Vision von einer hoffnungsvollen Perspektive. Aber der Hohepriester besteht auf Einhaltung des Gelübdes und Vanda stürzt sich in die Weichsel. Slavoj bleibt verzweifelt zurück und ersticht den Hohepriester.

Dvořák hat die Handlung mit ihren verschiedenen Motiven wie Vater-Trauma, unglückliche Liebe, Machtmissbrauch der Kirche, Schwestern-Beziehung, Widerstand gegen bestehende Ordnung, Nationalpathos und Opfertod mit dramatischer, klangvoller und oft pathetischer Musik versehen. Dabei stehen die ungewöhnlich umfangreichen Chorszenen im Mittelpunkt Von marschartigen Aufzügen mit Fahnenschwingen, machtvollen Beschwörungen der Götter, pompöser Krönungszeremonie und bis hin zu Schlachtenjubel ist der Chor (neben Vanda) fast der Hauptprotagonist. Die großartigen Chortableaus, die Dvořák schuf, sind von großer überwältigender Wirkung. Grand Opera eben, bei der Meyerbeer (und vielleicht auch Wagner) durchaus Pate gestanden haben. Die Kehrseite ist, dass man nach drei Stunden (inklusive Pause) vielleicht ein bisschen übersättigt war. Aber der prachtvollen Leistung, die Chor und Extrachor in der Einstudierung von Markus Lafleur hier erbringen konnten, ist höchste Anerkennung zu zollen. Die Stimmen verschmolzen zu einem stets homogenen Gesamtklang, der mit wuchtigem oder beschwörendem Gestus restlos überzeugte.

Die Partie der Vanda ist riesengroß – die Figur ist pausenlos auf der Bühne. Mit Lina Liu hatte das Osnabrücker Theater eine Sängerin zur Verfügung, die der Rolle in jedem Moment gerecht wurde und alle Anforderungen glanzvoll erfüllte. Ihr tragfähiger, in der Höhe metallisch aufstrahlender Sopran hatte keine Mühe gegen die Klangfluten von Chor und Orchester. Darstellerisch vermochte sie die unglücklich und verzweifelt Liebende ebenso überzeugend zu verkörpern wie die heroische Kämpferin – bis hin zum bewegenden Opfergang. Ihr zur Seite stand Susann Vent als Vandas Schwester Božena, die ihren lyrischen Sopran durchaus auch dramatisch führen konnte. Als Slavoj führte Per Håkan Precht seinen robusten, im Klang mit etwas zu viel Druck geführten Tenor sicher durch die expressive Partie. Oleg Korotkov war der mit solidem Bass ausgestattete Hohepriester, dessen gefährliche Wirkung noch dadurch verstärkt wurde, dass er mit einer Maske im Rollstuhl saß. Daniel Moon kam als Roderich wie ein barocker „Lebemann“ mit Löckchen und goldenen Schuhen daher und trumpfte martialisch mit virilem Bariton auf.

Das Osnabrücker Symphonieorchester schwelgte unter der Leitung von Daniel Inbal mit opulentem Klang, der im Laufe des Abends immer präziser wurde. Die Akt-Finali waren klug gesteigert und entfalteten sich zu maximaler Wirkung. Dvořák hat sein Werk im Laufe der Jahre immer wieder umgearbeitet. In Osnabrück entschied man sich weitgehend für die letzte Fassung, allerdings wurde hier trotzdem die Ouvertüre der Urfassung verwendet, die Dvořák später durch eine andere ersetzte.

Regisseur Robert Lehmeier inszenierte „Vanda“ als zeitloses Märchen. Dabei setzt er weniger auf Aktion, vielmehr bietet er eine Bilderfolge von eindrucksvollen Tableaus. Insgesamt fällt die Inszenierung dadurch etwas statisch aus, aber Lehmeier reicherte sie mit aussagekräftigen Zutaten an. So reißt Slavoj seiner Jagdbeute das blutige Herz heraus und überreicht es Vanda. Die Gewänder von Vanda und Božena triefen nach der Schlacht gegen Roderich nur so vor Blut. Die Gesellschaft tritt mit Partykleid und Turmfrisuren auf, wenn sie jubelnd die Fahnen schwenken (Kostüme ebenfalls von Tom Musch). Die Messe bei der Zauberin Homena hat allerdings etwas von Geisterbahn-Atmosphäre. Gleichwohl – insgesamt ist die Osnabrücker Produktion absolut sehenswert.

Wolfgang Denker, 27.03.2014
Fotos von Jörg Landsberg