Aufführung am 23.10.2021
Gut einen Monat nach der Uraufführung schrieb Nikolaus Graf von Zinzendorf nach einem Vorstellungsbesuch der ZAUBERFLÖTE in sein Tagebuch: „Die Musik und die Dekorationen sind hübsch, der Rest eine unglaubliche Farce.“ Damit traf er den wunden Punkt des Werks, welches sich nicht wirklich zwischen schwankhaftem Vorstadttheater, von freimaurerischem und patriarchal-autoritärem Gedankengut geprägtem Mysterienspiel und von Theatermaschinerie unterstützter Märchenerzählung entscheiden kann – und so für die Regisseure eine gewaltige Herausforderung darstellt.
In der Neuproduktion des Theaters St.Gallen hat man den Blick auf Mozarts Meisterwerk gemäss dem Spielzeitmotto #herstory Frauen überlassen, der Dirigentin Katharina Müllner, der Regisseurin Guta Rau und der Bühnenbildnerin Marlies Pfeifer. Guta Rau schien es vor allem darum zu gehen, die vordergründig so hehre Welt rund um Sarastros Sonnenreich zu hinterfragen. Sie stellt (auch mit Hilfe der fantasievollen, knalligen Kostüme von Claudio Pohle) die Sekte der Isis- und Osiris-Anhänger bloss, lässt sie als matronenhaft kostümierte Sonderlinge auftreten, denen ihr Erscheinungsbild wichtiger ist als aufklärerische Grundsätze, welche innerhalb der patriarchalischen, von Hierarchie und Terror geprägten Strukturen nur als Lippenbekenntnisse erscheinen. Gold und Glitzer, Rot und Gelb prägen die Kostüme, welche wie schwere Panzer ihre Körper umhüllen – eine Art katholischer Tuntenbarock. So erstaunt es nicht, dass in Guta Raus Inszenierung am Ende die Königin der Nacht sich das Sonnensymbol zurückerobert, die Dekadenz der Männerherrschaft ausgedient hat. Die Priester verlieren ihre Roben, darunter wird das Nachtblau der Kostüme der Drei Damen sichtbar, wo hingegen die Drei Damen und die Königin der Nacht nun die operettenhaften Militärmützen tragen, welche vorher Sarastro vorbehalten waren. Immerhin deuten die Regie und die Kostümdramaturgie damit an, dass die Welt mit dem Matriarchat auch nicht eine bessere (humanere) werden wird. Schikaneders – zugegebenermassen etwas betuliche Dialoge – wurden für diese St.Galler ZAUBERFLÖTE neu geschrieben.
Political Correctness wird nun gross geschrieben (der „Mohr“ Monostatos ist kein hässlicher Schwarzer mehr, sondern bloss noch ein schräger Vogel), auf gendergerechte Sprache wird geachtet, Papageno ist multisexuell, von „Mann und Weib und Mann und Mann und Weib und Weib“ wird im berühmten Duett Papageno-Pamina gesungen. Einige der neugefassten Dialoge sind aber bei weitem nicht besser als Schikaneders Libretto, ja wirken noch dümmlicher und betulicher als dieses. Auch der übergriffige Monostatos erhält am Ende eine Partnerin, nämlich Monostata (stumme Rolle, gespielt von Christina Blaschke), die uns während der Ouvertüre als Schwester Paminas vorgestellt worden war. Dass das Publikum dann im Finale II mittels eines Schriftzugs auf dem Gazevorhang gefragt wurde „Erinnern Sie sich noch an Monostata?“ nahm man eher konsterniert als Beleidigung des eigenen Kurzzeitgedächtnisses wahr. Aber das war wohl lustig gemeint, wie so vieles in dieser Inszenierung, das eher anbiedernd (Olma-Bratwurst und Biberli für Papageno, nach den wiederholten „Auf Wiedersehen“-Gesängen wird noch „Tschüss“ gerufen und auch das Wort „Cool“ wird mehrmals verwendet) als erheiternd rüberkam. Während der Ouvertüre erfuhr man durch Slapstick artiges Spiel hinter dem Gazevorhang die Vorgeschichte, auf den Vorhang wurden wie zur dazu passenden Stummfilmzeit flimmernde Texte und (raffinierte!) Strichzeichnungen von Dietgard Brandenburg projiziert. Diese waren überaus kunstvoll gestaltet und ersetzten so auf überzeugende Art die fehlende Theatermaschinerie.
Herrlich z.B. wie aus einer kleinen Pflanze das Ungeheur entstand, welches Tamino im ersten Bild bedrohte, oder aus den Portalen des Weisheitstempels die Tierwelt unter den Klängen von Taminos Flöte Gestalt annahm. Andererseits gab es in der Inszenierung und der Personenführung auch einiges, was ziemlich verärgerte und durch ständige Replikation ermüdete. So hinterliessen die Disco-Verrenkungen Papagenos zu den Koloraturen der Königin der Nacht einen schalen Nachgeschmack. Solche Ablenkungen lassen auf mangelnden Respekt gegenüber der Sängerin/dem Sänger der Arie und der Musik im Allgemeinen schliessen. Konterkarierung ist ab und an ein durchaus legitimes Stilmittel, Parodie passt hier definitiv nicht. Einige Umstellungen im Ablauf der Musiknummern und das Einfügen von Pausen innerhalb einer Arie zugunsten eines kleinen Gags führten kaum zu tieferen Einblicken in das Wesen des Werks. Doch persönliche Befindlichkeiten mal beiseite gelassen: Der Applaus des Premierenpublikums war ungetrübt enthusiastisch. Rühmen kann man die Bühnengestaltung von Marlies Pfeifer: Verschiedene Treppen, einige liegende Quader, alles in Schwarz mit weissen Kanten und eine schräg verlaufende Rampe, auf der Leuchtdioden Auftritte passend erhellten, mal einen Sternenteppich für die Königin der Nacht ausbreiteten, oder violette Herzchen für Verliebte vorbeiflimmern liessen, mit Rot oder Blau Feuer- und Wasserprüfungen animierten.
Agiert wurde auf der Bühne mit grossartiger Lust am Spiel, zeitweise schien es, dass die Darsteller auf der Bühne mehr Spass hatten, als die Zuschauer im Saal. Auf die Einblendung von Übertiteln wurde verzichtet, obwohl die Textverständlichkeit mehrheitlich problematisch war. Durch die starke Fixierung auf die Figur des Papageno (den Äneas Humm mit wendigem, wohlklingendem Bariton gestaltete und als grosser Sympathieträger beim Publikum entsprechend punkten konnte), wurde das „hohe“ Paar Tamino-Pamina leider etwas aus dem Fokus gerückt. Vuvu Mpofu (eben war sie noch die wunderbare Bess in BREAKING THE WAVES) verlieh der Pamina einfühlsame Pianotöne, liess die anrührende Melodik herrlich blühen (vielleicht hätte sie in der g-Moll Arie noch etwas mehr Legato einsetzen können). Pavel Kolgatin (im Kilt) sang einen stimmschönen Tamino. Mit sonorer Bassstimme steckte Yorck Felix Speer als Sarastro die priesterliche Sphäre ab, mit markigen, sauber und sicher gesetzten Staccati und Spitzentönen verblüffte Antonina Vesenina als berechnende Königin der Nacht. Libby Sokolowski vermochte als Papagena sehr für sich einzunehmen. Die Drei Damen (Tatjana Schneider, Jennifer Panara und Sara Jo Benoot) liessen ihre unterschiedlich timbrierten Stimmen zu perfekten Harmonien verschmelzen. Die drei Insekten (drei Knaben, wobei hier zwei Mädchen und ein Knabe sangen: Liv-Maleen Nagel, Lorin Rütsche und Tessa Güssow) eroberten durch ihr kindliches Gezänk und die Reinheit des Gesangs die Herzen des Publikums. Der von Riccardo Botta ganz wunderbar gestaltete Monostatos überzeugte genauso wie die schön gerundete Stimme von Kristján Johannesson als Sprecher (diese wichtige, musikalisch weit in die Zukunft weisende Szene wurde inszenatorisch etwas verschenkt). Er sang auch den Zweiten Geharnischten, zusammen mit der Stimme des Ersten Geharnischten von Christoph Sokolowski entfaltete sich in der kurzen Szene eine magische Wirkung. Prägnant intonierten der Chor des Theaters St.Gallen und der Opernchor St.Gallen die Isis-Gesänge und die Finali (Einstudierung: Franz Obermair). Etwas schwieriger ist die Leistung der Dirigentin Katharina Müllner und des Sinfonieorchesters St.Gallen einzuschätzen: Während der Ouvertüre war man vom Slapstick auf der Bühne leider etwas vom Klangerlebnis der wunderschönen, festlichen Ouvertüre abgelenkt – deshalb finde ich „bebilderte“ Ouvertüren meist fehl am Platz. Im weiteren Verlauf des Abends erklang die Musik aus dem sehr tief gelegten Graben eher spröde und dünn, was bestimmt an der in dieser Beziehung in den hinteren Reihen etwas ungünstigen Akustik des UM!BAUs liegt. Trotzdem nahm man wunderschön gepielte Phrasen der Holzbläser war und erfreute sich an den frischen Tempi.
Fazit: Man hat versucht, die ZAUBERFLÖTE als gesellschaftspolitisch korrektes, sich textlich an ein junges Publikum anbiederndes Singspiel auf die Bühne zu bringen. Dem Publikum schien es mehrheitlich gefallen zu haben und somit hat man die Ziele einer „Oper für die ganze Familie“ und einer feministischen Hinterfragung des Werks erreicht. Theater soll fürs Publikum gemacht werden, nicht für Beckmesser ;-)).
Kaspar Sannemann 25.10.2921
Copyrights aller Bilder: Edyta Dufaj, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen