Zürich: Liederabend mit Benjamin Bernheim

Konzert am 10.02.2020

Nuits d’été (Berlioz)

Lieder von Clara Schumann, Henri Duparc, Richard Strauss, Ralph Vaughn Williams und Frank Bridge

Klavier
Carrie-Ann Matheson

Als ich Benjamin Bernheim zum ersten Mal auf der Bühne des Opernhauses Zürich hörte (Spalanzani in LES CONTES D’HOFFMANN, 2010), schrieb ich von einem „vielversprechenden Debüt“. Im gleichen Jahr „löste er beim Premierenpublikum Begeisterungsstürme aus“ (Arminio in I MASNADIERI), 2011 sang er den Roderigo in OTELLO, da merkte ich an, dass er „ein hervorragender Cassio“ wäre, 2012 „brillierte Benjamin Bernheim in seinem kurzen Auftritt als Graf Lerma“ in DON CARLO, ebenfalls 2012 gelang ihm als Capito in MATHIS DER MALER „eine bedeutsame und eindringliche Charakterstudie“, 2013 attestierte ich ihm „herausragende Tenorqualitäten“ als Osoburgo in LA STRANIERA, 2015 sang er den Arturo in LUCIA DI LAMMERMOOR mit „strahlender Kraft und grossartiger Darstellungskunst, in GESUALDO stattete er den Emmanuele mit seinem „wunderschön timbrierten Tenor aus“, als Tebaldo in I CAPULETI E I MONTECCHI „fand er zu feinfühlig interpretierten Kantilenen und begeisterte mit seiner Phrasierungskunst und der klaren Diktion“. Letzte Saison folgte dann endlich eine Premiere in einer gewichtigeren Rolle auf der Bühne des Opernhauses Zürich (Ismaele in NABUCCO) – unterdessen hatte er aber bereits eine grandiose Karriere gestartet, welche ihn in Hauptrollen des lyrischen Tenorfachs nach Covent Garden, die Opéra de Paris, die Wiener Staatsoper, nach München und Berlin führte. Gestern Abend nun durfte man die Stimme dieses wunderbaren Sängers endlich einen ganzen Abend lang in Zürich geniessen, in einem zu Recht heftig akklamierten Liederabend – und er bestätigte all die Vorschusslorbeeren der vergangenen 10 Jahre aufs Schönste!

In diesem klug durchgestalteten Programm mit Liedern von fünf Komponisten (die sich – natürlich – allesamt um Liebesfreuden und -leiden drehten), begann er mit vier zarten, biedermeierlichen Liedern von Clara Schumann (1819-1896). Clara Schumann, die als Komponistin erst viele Jahre nach ihrem Tod die ihr gebührende Anerkennung erlangte, komponierte einige Lieder auf Gedichte von Friedrich Rückert, welche sie zusammen 1841 als Opus 12 mit ihrem Gatten Robert Schumann als Zyklus „Liebesfrühling“ veröffentlichte. Benjamn Bernheim sang sie mit schlichter, ebenmässiger und feinfühliger Tongebung und wenn er am Ende des zweiten Liedes (Warum willst du and’re fragen) singt Sieh mein Aug‘, ich liebe dich! dann glaubt man’s ihm aufs Wort. Schon hier erwies sich Carrie-Ann Matheson als wunderbar einfühlsame Begleiterin, welche gerade die melancholisch weichen Nachspiele (in den beiden Liedern Opus 13 nach Gedichten von Heinrich Heine) in sanft perlende Preziosen verwandelte. Die sechs Lieder des Zyklus LES NUITS D’ÉTÉ von Hector Berlioz hört man selten in der originalen Fassung für Klavier und Singstimme. Umso grösser die Freude, sie mit diesem so intelligent gestaltenden Ausnahmetenor erleben zu dürfen! Frisch und überschäumend in Villanelle, schmachtend und verspielt in Le spectre de la rose, das in der Klavierfassung viel direkter und weniger parfümiert wirkt als in der Orchesterfassung. Bernheim wartete mit eleganter Phrasierung, packenden Aufschwüngen und sicherer Stimmführung auf, auch im Fortissimo. Die Phrase J’arrive du paradis geriet zum Weinen schön, auch hier fiel die wunderbar aufmerksame Pianistin Carrie-Ann Matheson durch ihre subtile Begleitung, ihr Mitatmen mit dem Sänger sehr positiv auf. In Sur les lagunes begeisterte Bernheim mit kunstvoll schleifenden Legato-Bögen, expressiven dynamischen Steigerungen – ja es war eine wirkliche Arie, voller Trauer und Verlassenheitsgefühlen, aber auch mit exzeptioneller Strahlkraft. Berührend gestaltete er die verzweifelten Reviens-Rufe an die Geliebte in Absence und mit bangem Herzen Au cimetière – Clair de lune, bevor er mit hoffnungsvoller Emphase ins den Zyklus abschliessende Lied L’île inconnue einbog.

Nach der Pause brachte er dem Publikum zwei Lieder von Henri Duparc (1848-1933) auf Gedichte von Charles Baudelaire nahe. Duparc war wegen einer Nervenkrankheit als Komponist viel zu früh verstummt. Carrie-Ann Matheson gab den elegisch schillernden, perlenden Wellenschlag der Stimmung des Liedes L’invitation au voyage vor, Benjamin Bernheim stimmte mit ebensolchem Duktus ein. Wunderbar trafen die beiden Interpreten den erzählerischen Tonfall des Beginns von La vie antérieure, schlicht und unprätentiös – die nachfolgende Emphase wirkte damit umso beeindruckender! Nun folgten vier „Hits“ von Richard Strauss: Befreit, Heimliche Aufforderung, Morgen und Cäcilie. Der dynamische stimmliche Spannungsbogen Benjamin Bernheims reichte von zurückgenommener Innigkeit (Befreit), eindringlicher Textgestaltung (Heimliche Aufforderung), zarter Hoffnung (Morgen) bis zu strahlemdem tenoralem Fortissimo-Glanz mit Wenn du es wüsstest, du lebtest mit mir! in Cäcilie. Mit ruhigem Fliessen und leichtem Schalk in der Stimme ging er das Lied Silent Noon von Ralph Vaughn Williams an (wann endlich wird diesem britischen Komponisten auf dem Kontinent endlich die ihm gebührende Aufmerksamkeit erbracht???) und beendete das Programm mit schon beinahe ekstatischer Lobpreisung der Liebe in Frank Bridges (1879-1941, Lehrer von Benjamin Britten) Love went a-riding, wo die Liebe auf Pegasus‘ Flügeln über den Planeten schwebt.

Doch das Publikum war dadurch natürlich in solch euphorische Stimmung geraten, dass Zugaben einfach folgen mussten – und Benjamin Bernheim verzückte mit dem schon beinahe überirdisch schön mit mit delikatem Schmelz vorgetragenen Traum des Des Grieux aus Massenets MANON En fermant les yeux. Die Rolle des Des Grieux singt er zur Zeit an der Opéra de Paris – und bei der Wiederaufnahme in Zürich nächste Saison!

Hätten Benjamin Bernheim und die Pianistin Carrie-Ann Matheson die Herzen der Zuhörer nicht schon längst erobert gehabt, mit Léhars Dein ist mein ganzes Herz aus DAS LAND DES LÄCHELNS, wäre das dann passiert. Da offenbarte Benjamin Bernheim nochmals die Gänsehaut evozierende Strahlkraft seines grandiosen Timbres! Das Publikum hätte sicher gerne noch mehr gehört, doch Bernheim signalisierte, dass er nun Durst habe … . Die Erfrischung wollte ihm natürlich niemand vorenthalten und so verliess man beglückt den Saal!

Kaspar Sannemann, 12.12.2020