Premiere 13.2.15
Besuchte Vorstellung am 27.2.15
Für den Generaldirektor der Ungarischen Staatsoper, Szilvester Ókovács, war es an der Zeit, die alte Nabucco Inszenierung von András Mikó, die seit 1987 insgesamt 236 mal gezeigt wurde, durch ein neues zeitgemäßes Konzept zu ersetzen. Gergely Kesselyák, frisch ernannter Musikdirektor der Ungarischen Staatsoper, brachte seine Version von Verdis frühem Meisterwerk bereits im Februar 2013 im Nationaltheater Miskolc heraus. Von dort wanderte die Produktion ans Csokonai Theater in Debrecen. Am 13. Februar 2015 fand dann die Premiere dieser „Wanderproduktion“ im Erkel Theater in Budapest statt.
Für Regisseur Kesselyák wird in der Oper Nabucco vielmehr als die bloße biblische Geschichte erzählt. Es ist eine Zeit des Umbruchs, der gewaltsamen Veränderungen. Das in babylonische Gefangenschaft geratene Volk Israel befand sich in einer Weltuntergangsstimmung und erwartete einen gleichsam metaphysischen Eingriff in sein Schicksal, wie er im Chor „Va, pensiero, sull’ali dorate“ ausgedrückt wird. Und damals vor 2500 Jahren wie heute wartet die Menschheit auf einen solchen Eingriff, der neue Aufgaben und Lösungen mit sich bringt.
Während die Kostüme von Janó Papp traditionell gehalten sind, entfaltet sich die Handlung der Oper vor dem abstrakten Bühnenbild von Edit Zeke, das zunächst das Auge des Betrachters auf das Kreisrund des Kosmos fokussiert. Diese Kreisscheibe wird sodann in die Horizontale verlagert und die Akteure wandern auf diesem symbolischen Rad der Geschichte, welches leider immer wieder kracht, oder sollte das als Symbol für die immer wieder auftretenden Katastrophen der Menschheitsgeschichte gedeutet werden? Und noch einmal erscheint das Element des Kreises: dieses Mal hat es die abgewandelte Form eines Rhönrades, in dessen Innerem drei Tänzer agieren, und das als Thron für Abigaille dient, die sich lasziv darin räkelt während zwei Dienerinnen behutsam ihren Körper streicheln. Für das Kostüm von Abigaille hat sich Janó Papp noch etwas Besonderes einfallen lassen. Ihr Haupt wird von einem riesigen Skorpion Helm bedeckt. Und ein Stierkopf, der immer wieder geschwenkt wird, symbolisiert den babylonischen Baalskult.
Gleich zu Beginn der Ouvertüre trat ein Tänzer mit diesem Stierkopf auf (Choreographie: Attila Kozma). Danach stimmte der gewaltige Chor unter der Leitung von Kálmán Strausz sein „Gli arredi festivi giù cadano infranti, Il popol di Giuda di lutto s’ammanti!“ sowohl von der Bühne wie von beiden Seiten des Zuschauerraumes an. In solch überwältigender Größe trifft man den Chor sonst nur in der Arena di Verona an.
Und abermals wird der Bühnenraum auf den Zuschauerraum ausgeweitet, als Nabucco bei seinem ersten Auftritt vom Balkon des Erkeltheaters mit den einleitenden Worten „Di Dio che parli?“ langsam hinabsteigt.
Die Abigaille war mit Szilvia Rálik hochkarätig besetzt. Sie hat im Frühjahr mit der Färberin eine beachtliche Leistung geboten und bewies nun auch, dass sie im italienischen Fach zu Hause ist. Freilich hat sie die Partie der Abigaille bereits 2005 bei den Freilichtspielen in Szeged erstmals gesungen und auch in Gars am Kamp 2006. Ihre Stimme verfügt über einen gewaltigen Umfang. In den hohen Lagen weiß sie mit messerscharfer Spitze zu fesseln und auch ihre Mittellage ist ausgewogen. Die gewaltigen Intervallsprünge bereiten dieser Ausnahmesängerin keinerlei Probleme. Und bewegend war dann auch ihre Schlussarie „Su me… morente… esanime…Discenda… il tuo perdono!, die sie in reinster Pianokultur verhauchen ließ. Brava!
Szilvia Vörös vermag sich als Fenena mit ihrem flexiblen Mezzosopran zu behaupten. Intonationssicher ist sie auch in der Tiefe, wo sich auch keine störenden Registerbrüche einstellen. Verdi hat für sie leider nur eine Soloarie im vierten Akt vorgesehen: „Oh dischiuso è il firmamento!“
Zoltán Nyári lieferte als Ismaele kontrollierten Pianogesang durchsetzt mit kräftigem forte in den dramatischen Stellen. András Kiss bot einen rollengerechten Hohen Priester des Baal.
Bassist István Rácz als Zaccaria erhielt für seine erste Arie „Freno al timor!“, dank seiner respektablen Tiefe, den ersten wohlverdienten Applaus.
In der Titelrolle des Nabucco bot Mihály Kálmándi eine imposante Darstellung des von Wahnsinn ergriffenen Potentaten, der – vom Schicksal gebeutelt – schließlich zum wahren Jahwe Glauben findet. Dazu passend auch sein facettenreicher Bariton, mit dem er alle Gefühlslagen des Herrschers ergreifend auszudrücken wusste
In den kleineren Nebenrollen ergänzten noch Gergely Ujvári als Nabuccos Vertrauter Abdallo mit resolutem Tenor, und Ágnes Molnár mit eher lyrischem Sopran als Anna, der Schwester Zaccarias, des Hohen Priesters der Juden.
Der lang anhaltende Applaus ließ Maestro János Kovács den berühmten Gefangenenchor „Va, pensiero“ gleich noch einmal quasi als Reverenz an das schwelgerische Publikum darbieten. Und das Besondere daran war, dass nun die Übertitel den originalen italienischen Text boten und das Publikum – nach einem Einsatz des Dirigenten – begeistert mitsang! Weshalb die Choristen riesige Tonkrüge umgehängt hatten, entzog sich meiner Kenntnis. Wären diese wirklich aus Ton und noch dazu gefüllt, hätte sie eine einzelne Person kaum heben können.
Das Orchester und der Chor der Ungarischen Staatsoper wuchsen an diesem Abend einmal mehr über sich hinaus. Es war eine Sternstunde von Maestro János Kovács, der in einem Interview verraten hatte, dass der Nabucco zu seinen Lieblingsopern gehört. Und das merkte man an diesem Abend. Es war keine bloße Repertoirevorstellung, sondern eine regelrechte Festvorstellung, so intensiv wirkten alle Beteiligten am Gelingen dieses Abends mit. Großen Applaus erhielten alle Protagonisten, allen voran István Rácz, Mihály Kálmándi und Szilvia Rálik.
Harald Lacina, 2.3.2015