Wien: „Roméo et Juliette“, Hector Berlioz

Uraufführung / Premiere: 9. Dezember 2017

Ballett von Davide Bombana

TRAILER

Videokurzeinführung

Dort, wo die Begriffe „Ballett“ und „Romeo und Julia“ zusammen treffen, denkt man sofort – hurra! – an Prokofieff, Cranko, ein Höhepunkt des Möglichen, wunderbar. Das gibt es in der Volksoper nicht zu sehen. Der Italiener Davide Bombana hat sozusagen alles anders gemacht. Er ging von „Roméo et Juliette“ des Hector Berlioz aus, eine eineinhalbstündige „Symphonie dramatique“ für Orchester, Chor und drei Solisten (1840), ein selten gespieltes Werk, auch weil es in seiner Dramaturgie und mit seinen Gesangspassagen so schwer einzuordnen ist.

Die einzelnen Nummern liefern auch eine genaue inhaltliche Vorgabe, die Shakespeares Stück nur in einigen Szenen folgt. Damit ist schon gegeben, dass man von der bekannten Handlung im Grunde nur wenig sieht. Besonders befremdend wird es nach der Pause, wo nur noch das Begräbnis von Juliette, Romeo an ihrem Grab, kurzes Pas de Deux (er schon halb tot) und schließlich das Finale vorgesehen sind, das allerdings einen großen, „versöhnlichen“ Choral beinhaltet (der Vergleich mit dem letzten Satz von Beethovens „Neunter“ ist für Berlioz allerdings immer schlecht ausgegangen).

Kurz, der Choreograph muss seinen eigenen Weg finden, Teile der berühmten Geschichte zu erzählen – und Davide Bombana ist da gar keine Kompromisse eingegangen, dem Publikum verständlich oder auch ästhetisch entgegen zu kommen. Wesentlich geprägt wird sein Abend von der Ausstattung von „rosalie“, der deutschen Allround-Künstlerin, deren exzentrischen Bayreuther „Ring“ (ab 1994, Alfred Kirchner / James Levine) man nicht nur wegen der seltsam abgeflachten Krinolinen für die Damen nicht vergessen wird… „rosalie“ starb heuer, die Ausstattung für das Werk wurde fertig. Es verfremdet mit hängenden Lampenröhren, mit Lederkostümen, vielfach mit Masken für den Chor und Tänzer, teils abstrakt wirkend. Am Ende trägt der Chor Regenmäntel, bevor diese am Ende abgeworfen werden und die Sänger in bunten Gewändern erscheinen – Symbol für die Versöhnung (und wie oft schon da gewesen?). Die Lichtregie, auch von rosalie entworfen, taucht die Szene in fast permanente Dunkelheit, in dämonische Düsternis.

Kein Wunder, dass man trotz herrlicher Tänzer nicht wirklich die große, strahlende Liebe des berühmtesten Liebespaares der Welt sieht: Dabei passen Masayu Kimoto und Maria Yakovleva ideal in das moderne Ambiente, er ein dynamisch-leidenschaftlicher junger Mann, sie (mit braunem Kurzhaar) ganz die junge Frau von heute. Beide, wie es Bombanas Stil ist, in einem modernen Bewegungsmodus, dem man ansieht, dass er auf der Klassik beruht, dabei in einer extremen, nur in diesem Rahmen möglichen Biegsamkeit (bis „Verrenkung“).

Nicht nur ihre Geschichte tritt nahezu in den Hintergrund, desgleichen die Nebenfiguren, mit zwei Ausnahmen immerhin – die Figur des Pater Lorenzo ist betont, Roman Lazik hat, ganz in elegantes, fließendes Silber gekleidet, an den Leichen der beiden noch eine große Verzweiflungsszene.

Ganz aus der Reihe des Gewohnten bietet diese „Romeo und Julia“-Fassung die Einfügung der Königin Mab, die man in dem Stück nicht kennt, aber dass sie bei Mercutio als Königin der Träume, der Verwirrung, als letztendlich negatives Element vorkommt, reichte aus, sie nun auf die Bühne zu bringen – immer geduckt hopsend, kriechend, tierisch, bedrohlich, bösartig, Rebecca Horner macht das fabelhaft.

Nicht nur das Tanzensemble ist auf der Bühne präsent, auch der Chor „spielt mit“, einbezogen ins Geschehen, desgleichen die drei Sänger: Annely Peebo hat eine längere Passage zu Beginn, wandert schwarz gekleidet und blondhaarig über die Bühne, tröstet Julia. Kürzer ist der Beitrag des Tenors (Szabolcs Brickner), während der Baß (Yasushi Hirano) am Ende über den Toten das große Lamento anstimmt, das Lorenzo dann tanzt…

Berlioz hat dieses Werk sicher nicht als Ballett gedacht, es wäre auch im Konzertsaal wohl besser aufgehoben. Hier bringt es Gerrit Prießnitz ehrenvoll über die Runden, wobei die Musik oft stärker ist als das, was man auf der Bühne sieht.

Einen Abend wie diesen nennt man „interessant“. Der Premieren-Beifall klang allerdings nach mehr, nämlich beeindruckt.

Renate Wagner 10.12.2017

Bilder (c) Wiener Staatsballett / Ashley Taylor