Premiere am 09. August 2019, besuchte Vorstellung am 11. August 2019
Neue Ära auf der wunderschönen Waldbühne
Es war ein Schock in der fast 25 Jahre dauernden Operettenseligkeit in Heldritt. Die ehemalige Coburger Sommeroperette zog im letzten Jahr nach Bad Staffelstein um sich finanziell zu erholen und musste feststellen, dass man alte Bäume nicht problemlos verpflanzen kann. Nach einer musikalisch guten Vorstellung aber unterirdischen Zuschauerzahlen, musste sie die Segel streichen, das Insolvenzverfahren wurde eingeleitet, die Coburger Sommeroperette ist Geschichte. Nachdem der im letzten Jahr neugegründete eingetragen Verein der Coburger-Operetten-Freunde als Träger der Sommeroperette Heldritt in der vergangenen Spielzeit einen vielbeachteten und sehr gut besuchten Neustart mit drei Vorstellungen mit Operettenklängen versucht hatte – und dies mit riesigem Erfolg, wagte man sich nun an die Aufführung der relativ unbekannten, aber äußerst schönen und unterhaltsamen Operette „Die Landstreicher“ von Carl Michael Ziehrer, welche am 26. Juli 1899 in Wien uraufgeführt wurde. Der Vereinsvorsitzende Harald Wurmsdobler und sein Stellvertreter, der langjährige Heldritter Kapellmeister Reinhard Schmidt gingen mit vielen fleißigen Helfern und Freunden und mit der Unterstützung der Stadt Bad Rodach, dem Heimatverein Heldritt und einer Zahl von namhaften Sponsoren an die Arbeit. Der Heimatverein bietet auch wieder vor der Vorstellung und in der Pause aus der Region kulinarische Köstlichkeiten aller Art an. Dieses Flair und den Genuss, den ich mir ohne Rücksicht auf meine wachsenden Pfunde gerne gönne, möchte ich nicht missen, dies gehört einfach zur Waldbühne mit dazu, ist, wenn man so will, auch ein Markenzeichen der Waldbühne und man kann gestärkt daran gehen, zu schauen, ob das Wagnis, welches viel Zeit, Geduld, Geld und Leidenschaft gekostet hat, sich auch ausgezahlt hat. Und hier kann man ganz klar sagen, dieses Wagnis ist von einem tollen Erfolg gekrönt. In Zusammenarbeit mit der Pramtaler Sommeroperette, dessen Vorsitzender der Intendant Harald Wurmsdobler ist, zog man in das erste Operettenjahr unter neuer Führung und neuem Namen und dies war ein richtiger Schritt. Die Zusammenarbeit deshalb, um zum Neubeginn Kosten zu sparen, das, was der Coburger Sommeroperette zum Verhängnis geworden war. Kostensparend einfach deshalb, weil man ein vollständig geprobtes Stück mit der Großzahl der Darsteller, den Kostümen, der Dekoration usw. einfach übernahm und von Zell an der Pram nach Coburg karrte und lediglich vier Rollen austauschte und mit Künstler aus dem Coburger Raum besetzte um auch dem Lokalkolorit den notwendigen Spielraum zu überlassen. Die Sommeroperette Heldritt hat seine Premiere mit vollstem Erfolg feiern können und kann sich jetzt sicherlich in der Zukunft auch an eigengestaltete Aufführungen wagen. Man hat viel aufs Spiel gesetzt, ist ins kalte Wasser gesprungen, hat alles gewagt und alles gewonnen. In der von meinen Freunden und mir besuchten Vorstellung gab es kaum freie Plätze, die Operette war praktisch fast ausverkauft und drei Stunden unterhaltsamer Operettenseligkeit prasselten auf die Besucher ein. Gut, vielleicht hat man vor allem im ersten Teil vor der Pause etwas zu wenig musikalisch und zu sehr sprachlastig agiert, nach der Pause war dies wesentlich besser, aber das Publikum war begeistert, nahm jeden Witz begierig und begeistert auf, vor allem die, die aus dem internen lokalen Bereich stammten und die dem Rezensenten wenig sagten. Aber das ist mein Pech gewesen, warum komme ich auch aus Bamberg. Insgesamt gesehen ein mehr als geglückter Neustart, mit vielen Gags, vielleicht sogar ein klein bisschen zu viel, und äußerst großer Unterstützung eines toll mitgehenden Publikums. Eines Publikums, welchem man anmerkte, dass es „seine Operette“ in Heldritt haben will und sie mit vollster Unterstützung begleitet. Um die Zukunft der „neuen“ Sommeroperette Heldritt ist mir nach diesem mehr als gelungenen Einstand nicht bange, im Gegenteil, ich freue mich auf das nächste Jahr, wo man dann auch eine etwas bekanntere Operette auf die Bühne bringen will. Meine 50 Mitfahrer jedenfalls waren im Bus nach Hause in ihren Gesprächen mehr als angetan von diesem Erlebnis – und eines ist klar, der Großteil wird im nächsten Jahr wieder dabei sein.
Erich J. Langwiesner-Eva-Maria Kumpfmüller
Die Geschichte der Landstreicher ist sicherlich etwas verschachtelt und zeigt auf, wie die beiden Landstreicher Berta und August Fliederbusch aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und ihrer Art zu leben zu Außenseitern abgestempelt werden, ja sogar als Diebe werden sie verdächtigt. Viele Irrungen und Wirrungen, viel offene und versteckte Gesellschaftskritik durchziehen die Operette. Die beiden Landstreicher stellen schließlich herrschaftliche Überheblichkeit und provinziellen Geist an den Pranger, ziehen sich selbst immer wieder aus den unmöglichsten Situationen an den Haaren heraus und die unterhaltsame Komödie weist nach, dass der Spruch „Kleider machen Leute“ nichts von seiner Aktualität verloren hat. Natürlich wendet sich, wie es in einer guten Operette üblich ist, am Schluss alles zum Guten, der Gesellschaft wurde der Spiegel vorgehalten und das Gute siegt. Das in kurzen Zügen, die ganze Handlung aufzuzeigen, würde den Rahmen sprengen, außerdem muss man dieses unterhaltsame Verwirrspiel einfach selbst anschauen und erleben.
Die Bearbeitung der einzig bekannten Operette Ziehrers durch Bernhard Maxara, einem der Gründungsväter der ehemaligen Coburger Sommeroperette ist stimmig, verändert den Handlungsablauf, wobei der wunderbare Walzer „Sei gepriesen Du lauschige Nacht“, ein wahrer Ohrwurm als Rausschmeißer und stimmungsvolles Ende der Operette fungiert. Auf dem Nachhauseweg von der Bühne zum Parkplatz wird er oft vor sich hin gepfiffen, er bleibt in Erinnerung. Die Inszenierung der jungen Manuela Kloibmüller ist schnörkellos und lässt den Handlungsverlauf gut nachvollziehen. Leider wird durch etwas zu viele Gags, die das Werk auf rund drei Stunden erweitern, die reine Operette etwas verwässert. Der Musikanteil dürfte etwas über einer Stunde liegen, eine Straffung der Operette hätte ihr sicher sehr gutgetan. Das Publikum sieht es etwas anders und bejubelt jeden Gag auf der Bühne. Insgesamt ist die Inszenierung jedoch eine „runde Sache“ wie auch die Ausstattung durch A. Daphne Katzinger, die farbenfrohe Kostüme auf die Bühne zaubert. Und dann kommt der zweite ehemalige Gründungsvater, der in Nürnberg geborene Dirigent Reinhard Schmidt ins Spiel. Auf dem ansehnlichen neuen Musik-Pavillon, der oberhalb der Naturbühne errichtet worden ist, dirigiert er das Orchester der Sommeroperette Heldritt, welches in diesem Jahr praktisch aus dem Orchester siNNfonietta von der Pramtaler Sommeroperette besteht. Und Reinhard Schmidt zeigt, was in ihm steckt. Behutsam, zurückhaltend bei den Passagen der Sänger, aber ebenso leidenschaftlich, rasant und feurig hat er seine Orchestermitglieder im Griff. Es ist schon beeindruckend, mit welchem Temperament er dem Orchester, wo es angemessen ist, freien Lauf lässt und wie er es zur Höchstform bringt. Eine beeindruckende Leistung von Dirigent und Orchester. Er zeigt, dass er noch lange nicht zum alten Eisen zählt und mehr Leidenschaft besitzt wie mancher junge Dirigent.
Die Riege der Sänger und Schauspieler ist groß und neben den Akteuren der Pramtaler Sommeroperette sind die Lokalmatadoren Christian-Andreas Engelhart, Tobias Engelhardt, Stefan Ignaz und ein weiteres ehemaliges Gründungsmitglied Wolfgang Krautwig dazugekommen und sie haben sich prächtig in das Stück integriert, es gibt keinerlei Bruch und sie sind so dabei, als wenn sie bereits in Zell an der Pram (Pramtaler Sommeroperette) von Anfang an mitgemacht hätten.
Als Berta Fliederbusch agiert die in Wien geborene Koloratursopranistin Agnes Palmisano und sie singt und spielt ihre Partie leidenschaftlich und voller Elan. Mit klarem, höhensicheren und durchschlagskräftigem Sopran weiß sie für sich einzunehmen und sie gestaltet auch den sogenannten „Wiener Dudler“, einen Wiener Koloraturjodler, den sie vorzüglich beherrscht mit einem eigens eingeschobenen Gesangstück von Carl Millöcker. Für diese Art der Koloratur gilt sie als ausgesprochene Expertin und eine der führenden Interpretinnen. Viel Beifall für ihre teilweise schwindelerregenden Koloraturen, wie auch für ihr natürliches und einfühlsames Spiel. Ihr Partner als August Fliederbusch ist der in Münzkirchen in Oberösterreich zur Welt gekommene Tenor Harald Wurmsdobler. Er ist die treibende Kraft hinter der Wiederbelebung der Operette auf der Waldbühne in Heldritt und er setzt seinen leichten, schlanken, schmelzenden, warmen und zurückhaltenden Tenor publikumswirksam ein. Er ist kein Stimmprotz, kein Ritter des hohen C, aber sein gefälliger, einschmeichelnder und beweglicher Tenor ist für diese Rolle wie geschaffen. Dazu kommt auch eine ungewöhnliche Spielbegabung und das Landstreicherehepaar erhält starken wohlverdienten Beifall des toll mitgehenden Publikums. Als Sängerin Mimi, die nichts mehr möchte als das edle Geschmeide ihres Verehrers, des Fürsten Adolars um ihren Hals zu legen, tritt die in Schärding in Oberösterreich geborene Sopranistin Eva-Maria Kumpfmüller auf. Wie eine echte Operettendiva lässt sie ihren kräftigen, runden und wohlklingenden Sopran ertönen und kann auch ihre schauspielerische Begabung nicht verbergen. Großer Beifall auch für sie. Als ihr verliebter und leicht vertrottelter Adolar, Fürst von Gilka erlebt man den in Wels in Oberösterreich geborenen Erich J. Langwiesner. Und er macht aus der Rolle des verliebten Fürsten, der fast den echten Familienschmuck der Sängerin Mimi um den Hals legt, eine wahres Kabinettstückchen. Mit einem unglaublichen darstellerischen Talent bringt er das Publikum zu wahren Lachausbrüchen. In einer wunderschönen Verfilmung von 1968 mit Peter Minich und Elfriede Ott, hat der legendäre Helge Rosvaenge diese Partie verkörpert.
Christian-Andreas Engelhardt-Karl E. Graser-Christine Ornetsmüller
Eine besondere Rolle nimmt der Wirt Gratwohl ein, der vom in Wien geborenen Karl E. Glaser dargestellt wird. Der auch als Wienerliedinterpret sehr bekannte Künstler wird vor Beginn der Vorstellung mit gesundheitlichen Problemen entschuldigt und man merkt ihm eine sehr starke Erkältung auch an. Und dies ist eigentlich jammerschade, denn er hat etliche schöne Auftritte, unter anderem ein ganz tolles Couplet, bei dem man nur ahnen kann, wie wunderbar es geklungen hätte, wenn er völlig bei Stimme gewesen wäre. Trotzdem ist seine Leistung auch so mehr als beeindruckend und mit seinem tollen Spieltalent weiß er das Publikum, welches ihn mit starkem warmem Beifalle feiert, zu überzeugen. Durch sein Auftreten hat er die Vorstellung gerettet, auch dafür gebührt ihm ein großes Lob. Als seine Tochter Anna ist die in Ansdorf in Oberösterreich geborene Christine Ornetsmüller zu erleben und sie brilliert mit hohem durchschlagskräftigen, aufblühenden, zuweilen vielleicht etwas leicht zu scharfem Sopran, doch nachdem sie sich eingesungen hat, gibt es auch hier keine Kritik mehr anzubringen. Gestalterisch auch sie ohne Fehl und Tadel und im Zusammenspiel mit ihrem Liebsten, dem Gerichtsassessor Roland für viel Beifall gut. Roland wird von dem in Coburg geborenen Tenor Christian-Andreas Engelhardt verkörpert und auch er muss sich vor Beginn wegen stimmlicher Probleme entschuldigen lassen. Und gerade die wunderschönen Tenorarien bei Ziehrer blühen dadurch leider nicht so auf, wie es bei Vollbesitz der Stimme möglich gewesen wäre. Auch er versucht alles, aber die Gesundheit ist nicht zu überlisten und so kann er nur einen Teil seiner Möglichkeiten abrufen. Dies ist sehr schade, aber auch er hat dadurch einen möglichen Abbruch der Operette vermieden und als Lokalmatador erhält er prasselnden Beifall und den hat er sich auch redlich verdient. Sein Bruder Tobias Engelhardt, ebenfalls in Coburg aufgewachsen und in früheren Jahren öfter auf der Heldritter Bühne gestanden, bringt eine komödiantische Meisterleistung auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Er spielt den ständig betrunkenen Gerichtsdiener Kampel in fränkischer Manier so überzeugend, dass er nicht nur ständig vom schallenden Gelächter des Publikums, sondern auch von deren anhaltenden Applaus umtost wird. Auch er wird gefeiert, ist er doch mit der Waldbühne aufs engste verbunden. Dann ist da noch der Auftritt der beiden Leutnants Mucki von Rodenstein und Rudi von Muggenhein. Warum sie beide in der Operette mitspielen ist nicht so ganz klar, aber sie bringen mit ihren Liedern, ihrer Bühnenpräsenz und ihrer unbändigen Spiellust das Publikum zum Kochen. Das Publikum kann rochtig schön mitsummen, mitsingen und mitklatschen, ganz besonders bei dem zackigen „Das ist der Zauber der Montur“, welcher ein richtiger ausgesprochener Ohrwurm ist. Der in München geborene Bariton Philipp Gaiser bringt den Leutnant Rudi mit kräftiger durchschlagender Stimme auf die Bühne. Seine stimmgewaltige mächtige Röhre, sein dennoch weicher voller Bariton und sein komödiantisches Vermögen sind im Zusammenspiel mit Michael Zallinger, der den Leutnant Mucki eindrucksvoll gestaltet, sehr publikumswirksam. Beide liefern eine tolle Bühnenshow ab, die sowohl musikalisch als auch tänzerisch sehr beeindruckt. Das Publikum jedenfalls ist begeistert und zeigt dies den beiden auch sehr deutlich. Als Lajos von Geletneky ist der Coburger Schauspieler Stephan Ignaz ganz in seinem Element. Als eifersüchtiger Liebhaber kann er alle schauspielerischen Facetten ausspielen und tut dies auch zur Genüge. Seine Auftritte kann man so schnell nicht vergessen. Und dann darf man zum Schluss einen nicht vergessen, ebenfalls ein Gründungsmitglied der ersten Stunde, den in Allenstein geborenen Wolfgang Krautwig. Er ist von Anfang an in Heldritt dabei und mit ein Motor für die Operettenauftritte. Er gestaltet Jean, den schussligen Diener des Fürsten auf seine unnachahmliche Weise und kann ebenfalls zu Recht großen und verdienten Applaus einheimsen.
Dieser Nachmittag, der vom Publikum zu Recht bejubelt wird, hat eines gezeigt. Alle Künstler sind mit Herzblut bei der Sache, jedem einzelnen merkte man die Spielfreunde an und auch, dass man hier auf dieser wunderschönen Waldbühne in Heldritt nach den Turbulenzen der letzten Monate wieder Operette spielen kann und will, und wie. Da verzeiht man sicher auch, dass diesmal vielleicht ein bisschen zu viel Klamauk dabei war, dem Publikum hat es jedenfalls sehr gefallen und der Schlussbeifall war lange, ausdauernd und herzlich. Er gibt sicher auch der Freude Ausdruck, dass es mit der Operette auf der Waldbühne weitergehen wird. Ein Dank an alle Beteiligten, Künstler, Politiker und Sponsoren, die es ermöglicht haben, dass eine der schönsten Nebensächlichkeiten der Welt, nämlich die Operette wieder ein großes und gewichtiges Standbein im Coburger Raum hat. Ich jedenfalls freue mich auf das nächste Jahr und auf das, was man uns dann als Operette anbieten wird. Man hört, vorerst noch unbestätigt, dass es das "Land des Lächelns" sein wird. Die Wiederbelebung jedenfalls war ein großer Erfolg und es ist zu hoffen, dass im nächsten Jahr alle Vorstellungen ausverkauft sind, denn nur mit dem Publikum im Rücken und seiner bedingungslosen Akzeptanz kann es gelingen, die Sommeroperette Heldritt auf Dauer zu etablieren. Ich kann meinen Satz vom Vorjahr nur wiederholen: Das Publikum hat eindeutig Stellung bezogen, Stellung zur Waldbühne in Heldritt und zur Operettenseligkeit.
Manfred Drescher 15.08.19
Bilder (c) Sven Kaufmann