Die Sommeroperette Heldritt übertrifft sich selbst
Die beiden Operetteneinakter bringen die Glücklichen, die eine Karte bekommen haben zum Kochen – Operette und Darstellung vom Feinsten, so wird die Operette ewig leben.
Premiere am 13. August 2021, besuchte Vorstellung am 15. August 2021
Ein bisschen traurig war ich schon, aber der furchtbare Virus kennt keine Gnade und statt der erhofften Operette „Das Land des Lächelns“ wurden zwei kleine Operetteneinakter angeboten, einmal von Franz von Suppé „Die schöne Galathee“ und von Jaques Offenbach der „Salon Pitzelberger“. Beides Stücke, die man auf der Bühne leider kaum mehr findet. 2006 wurden sie bereits einmal in Heldritt aufgeführt, es ist in diesem Jahr somit die erste Wiederholung einer Aufführung auf der wunderschönen Waldbühne. Wir waren mit 57 Freunden nach Heldritt gefahren, ausgehungert nach Liveerlebnissen, seit weit über 1 Jahr nur Operette aus der Konserve, und da nahmen wir auch die Programmänderung gerne in Kauf. Wir nahmen auch in Kauf, dass wir alle im Bus mit Maske sitzen mussten, warum war uns unklar, warum haben wir uns denn dann alle impfen lassen, denn im Bus saßen nur doppelt geimpfte Freunde? Aber unser Sonnenkönig ist halt nicht gerade ein großer Verfechter für die Kultur. Ich habe es bis heute nicht verstanden, warum zigtausende im Fußballstadion ohne Maske, schreiend, brüllend und schwitzend sitzen dürfen, natürlich ohne Maske, dass Tausende Demonstranten masken- und abstandlos durch die Straßen ziehen können und wir Musikliebhaber in einem Freilufttheater mit etwa 800 Plätzen, gerade mal mit knapp 250 Freunden sitzen dürfen. Den Blick nach vorn, der Musik lauschend, kein Schreien, kein Toben, lediglich am Schluss frenetisch applaudierend, aber dazu gleich mehr. Ich kann so etwas einfach mit dem Verstand nicht nachvollziehen. Der Intendant und Vorsitzende der Coburger Operettenfreunde, Harald Wurmsdobler hat sich mit seiner tollen Mannschaft getraut, trotz aller Unbilden diese zwei Einakter aufzuführen. Mit überschaubarer Sängerschar, mit stark verkleinertem Orchester, aber mit furchtbar viel Herzblut, Einsatz, weit über das normale hinaus, Begeisterung und einfach die Freude, endlich wieder vor Publikum und seien die Zahlen noch so überschaubar, zu spielen. Die ortsansässigen Vereine unter der Leitung des Vorsitzenden des Heimatvereins Heldritt, der auch die Technische Leitung innehat, Friedhelm Wölfert, haben unzählige Stunden in ehrenamtlicher Arbeit geleistet um ihr Publikum endlich wieder live mit Operette verwöhnen zu können. Man kann den Frauen und Männern für ihren selbstlosen, weit über jede Vorstellung hinausreichenden Einsatz, nur vielmals danken, aber, dieser Einsatz hat sich mehr als gelohnt.
Galathee/Pitzelberger-Reinhard Schmidt
Der Heimatverein bietet auch wieder vor der Vorstellung und in der Pause aus der Region kulinarische Köstlichkeiten aller Art an, Corona bedingt leider mit einem eingeschränkten Angebot, so mussten wir auf die schmackhaften Coburger Bratwürste leider verzichten (und hoffen auf nächstes Jahr), haben uns aber an den anderen Speisen und Getränken gütlich getan – auch dies alles angeboten in ehrenamtlicher Mithilfe. Dieses ganze Flair, welches an Freunde unter Freunden erinnert, ist einfach nicht aus Heldritt wegzudenken und wir haben tüchtig zugelangt. Und bei allem achtet man penibel auf alle Hygienevorschriften – und Maßnahmen, die die Verantwortlichen nicht zu vertreten haben, die sie aber einhalten müssen, um überhaupt spielen zu dürfen. Wie gesagt, hier ist leider kein großer Fußballverein, bei dem nicht so genau hingeschaut wird. Die Lobby der Kunst ist leider gering und gerade in diesem Bereich wird so vieles geleistet und vollbracht. Die Proben wurden durch tägliche Tests verschönt, alles um mögliche Ansteckungen zu verhindern.
Die beiden Einakter werden in Eigenarbeit auf die Bühne gebracht, Rita Lucia Schneider, die als Ganymed und Madame Balandard in beiden Stücken auftritt führt Regie – und das macht sie ausgezeichnet, Regie-Assistenz liegt bei Dominique Dietel. Für die Ausstattung und das Produktionsdesign zeichnet Tobias Engelhardt verantwortlich, der auch als Butler Brösel einen umwerfenden Auftritt in „Salon Pitzelberger“ hat, Harald Wurmsdobler ist überall zu finden, tritt auch in beiden Stücken als Solist auf. Friedhelm Wölfert mit seinem Team ist an allen Stellen erreichbar, packt zu, wo es notwendig ist, erklärt, erläutert, schuftet. Teamarbeit, ja, das ist das Erfolgsgeheimnis für das Zustandekommen dieser beiden Operetten Kleinodien. Die Maske liegt in den Händen von Ingrid Heinze und Claudia Schleicher und sie haben aus den geringen Möglichkeiten erstaunliches gemacht. Für die Schneiderei und die Ankleidung, die für die Verhältnisse opulent und sehr hübsch ausgefallen sind, zeichnet Tanja Morgenroth verantwortlich.
Die musikalische Leitung liegt in den mehr als erfahrenen Händen von Reinhard Schmidt, über den noch etwas zu sagen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Er ist eine der tragenden Säulen, immer ansprechbar, immer im vollen Einsatz, immer seine Damen mit einem Herrn gefühlvoll durch die Partitur leitend, immer am Ball, immer voller Feuer, immer voller Leidenschaft, immer Herr der musikalischen Lage. Er ist auch verantwortlich für die gesamte musikalische Einrichtung und die Instrumentation – und dass er dabei auch die Tasten des Klaviers virtuos bedient, sei nur am Rande erwähnt. Wie immer eine bewundernswerte Leistung von ihm, ebenso wie seine sechs weiteren Musiker alles geben, und das ist einiges. Man merkt ihnen richtig die Spielfreude an und die Erleichterung nach den Monaten der „stillen Zeit“ endlich wieder ihr Publikum begeistern zu können. Man kann sich kaum vorstellen, dass aus dem Orchesterraum, über der Bühne, der Klang von lediglich sieben Musikern kommt. Einfach toll und deswegen will ich auch diese wunderbaren Musiker einzeln vorstellen, denn sie haben es sich redlich verdient, bei all der Leidenschaft und all dem Einsatz, den sie hier bringen. An der 1. Violine Betrix Seidlitz, die 2. Violine wird von Gerda von Wechmar gespielt, die Viola von Annemarie Birckner, die Flöte von Angelika Stirner-Ebert und das Cello von Ulrike Marie Gossel. Der Hahn im Korb ist natürlich am Kontrabass Ulrich Giebelhausen. Alle verschmelzen mit ihrem Leiter zu einer homogenen Einheit und machen die Aufführungen zu einem Erlebnis.
Galathee- Anna Voshege, Martin Shalita, Harald Wurmsdobler, Rita Lucia Schneider
„Die schöne Galathée“
Die Geschichte des kleinen musikalischen Meisterwerks von Franz von Suppé ist schnell erzählt. Pygmalion, ein junger begabter Bildhauer, hat neben vielen anderen Dingen auch die Statue der schönen Galathée erschaffen, die er aber um keinen Preis der Welt verkaufen will, da er sich in sie verliebt hat. Mydas, ein reicher Kunstliebhaber, will sie um jeden Preis haben und Ganymed, der Diener Pygmalions erfreut sich seines Lebens. Als Pygmalion zu den Göttern fleht, der Statue doch Leben einzuhauchen, wird er erhört. Die schöne Galathée erwacht, und nach kurzen Augenblicken wird sie zum Inbegriff der fordernden, am liebsten alles gleichzeitig besitzenden Frau. Sie möchte alles haben, bekommen, flirtet mit allen drei Herren der Schöpfung, lässt sich von jedem beschenken, spielt eigentlich jeden gegen den anderen aus, lässt sich mit Geschmeide umgeben und wird so fordernd, dass Pygmalion in seiner Verzweiflung den Wunsch an die Götter richtet, sie doch wieder zu Stein zu machen, was ihm auch gewährt wird. Und so sind eigentlich alle wieder zufrieden und Pygmalion kann seine erneut zu Stein gewordene Galathée verkaufen – die Welt ist wieder in Ordnung. Musikalisch ist das Ganze äußerst geschickt, abwechslungsreich in Szene gesetzt und hat viele einprägsame Melodien, die den einzelnen Sängern die Möglichkeit geben entsprechend zu glänzen – und das tun sie mit voller Inbrunst.
Galathee-Harald Wurmsdobler
Als Galathée ist die junge australisch-deutsche Koloratursopranistin Anna Voshege in ihrem Element. Verführerisch, leidenschaftlich, mit perlendem hellem, klarem und stimmschönem Sopran, welchen sie gefühlvoll, zart und auch voller blitzender Koloraturen präsentiert, die wie Perlen in der Luft stehen, bekommt sie völlig zurecht prasselnden Applaus des Publikums. Da sie daneben auch hübsch und anziehend ist, lässt so manchen männlichen Zuschauer im Publikum von einer solchen Statue träumen – nur dürfte zu Hause eine solche Verwandlung nur schwer gelingen. Als der liebestolle Bildhauer Pygmalion präsentiert sich der in Miami, Florida geborene Tenor Martin Shalita. Er hat einen kräftigen, sehr hohen strahlenden Tenor mit einer metallisch durchschlagskräftigen Höhe, die keine Probleme zu kennen scheint. Am Anfang noch ein kleines bisschen zurückhaltend, steigert er sich von Ton zu Ton. Sein Diener Ganymed wird von der in Wien geborenen Rita Lucia Schneider gegeben, die neben einer tollen Regiearbeit auch als Mezzosopran zeigen kann, dass sie zu gesanglichen Ausbrüchen fähig ist und deren Stimme immer mehr aufblüht und sich voluminös entfalten kann. Auch vom Darstellerischen hat sie das freche Bürschchen namens Ganymed voll im Griff.
Galathee-Martin Shalita, Anna Voshege
Als von sich mehr als überzeugter Kunsthändler, tritt der Intendant der Sommeroperette Heldritt auf, der in Münzkirchen, in Oberösterreich geborene Tenor Harald Wurmsdobler. Er singt und spielt den geldgierigen Kunstmäzen, der sich unbedingt Galathée einverleiben möchte, mit schönem warmem und beweglichem Tenor. Sein Auftritt, mit einem Wagen auf die Bühne brausend, macht ebenfalls Furore. Darstellerisch ist er, wie immer, eine Ausnahmeerscheinung und hat im kleinen Finger mehr Künstlerblut, als so mancher im ganzen Körper. Es macht Spaß ihm zuzusehen und zuzuhören. Die kleine Operette ist insgesamt darstellerisch wie gesanglich auf einem sehr hohen Niveau und alles passt zusammen. Starker Applaus des Publikums, bevor es in die Pause geht.
Salon Pitzelberger
War vor der Pause das Publikum von dem kleinen Operetteneinakter mehr als angetan und spürte man auch ihre Begeisterung für diese Aufführung, so wandelte sich das nach der Pause schlagartig.
Ich bin eigentlich niemand, der mit Schlagwörtern oder Übertreibungen arbeitet, aber diese Aufführung der Operette von Jaques Offenbach war einfach nur sensationell. Ich habe in den vielen Jahren meiner Musikbesuche, und das sind schon sehr viele, ganz ganz selten eine Aufführung erlebt, die so wie aus einem Stück war, die das Publikum mitgerissen hat, die Beifallsstürme hervorgerufen und am Ende Standing Ovation geradezu provoziert hat. Ich sage es ganz unumwunden, mit dieser Aufführung hat die Sommeroperette Heldritt einen Meilenstein gesetzt, eine musikalische und darstellerische Meisterleistung, wie ich sie in dieser Form noch nicht erlebt habe. Auf der Rückfahrt in meinem Bus, war die Aussage einhellig und einstimmig, eine sensationelle Ausführung, bei der es nur schade war, dass sie nicht vor wesentlich größerem Publikum hat stattfinden können. Ich bitte meine Euphorie zu verzeihen, aber ich bin noch heute mitgerissen von dieser einmaligen, sensationellen und tollen Aufführung bei der es keinerlei Schwachpunkte gibt und bei der alles einfach nur passt.
Pitzel-Michael Mrosek
Doch nun erst kurz zum Inhalt. Der neureiche Herr Pitzelberger, Produzent von hochwertigem Toilettenpapier, will in seinem Haus eine Soiree geben, da er so gerne in die „höheren Kreise“ aufsteigen will, am liebsten geadelt werden möchte. Dazu hat er die Vertreter der Fürstenhäuser und weitere hochrangige Bürger zu sich in sein Haus eingeladen und die drei besten Sänger, die es momentan gibt, um in einer musikalischen Spitzenvorstellung auf den Gipfel zu gelangen. Doch Hochmut kommt vor den Fall, viele seiner Gäste sagen ab und auch das Sängertrio hat andere Verpflichtungen. In seiner Not schlägt seine Tochter Ernestine vor, dass sie, ihr Vater und ihr Freund Nicolas, den der Vater sich nicht für seine Tochter vorgestellt hat, in die Rolle der hochrangigen italienischen Sänger schlüpfen um die Situation zu retten. Und die drei legen in schönstem Italienisch, auch wenn es manchmal nicht ganz so klappt, los. Am Ende des Konzerts, welches jubelnd aufgenommen wird, bekommt Ernestine ihren Nicolas, Herr Pitzelberger ist gerettet, auch unter Hingabe der Tochter an einen aus seiner Sicht nicht Standesgemäßen und der Diener Brösel hat auch gezeigt, zu was er fähig ist, während die Gäste, die unter anderem aus der Familie Krauthofer bestehen, heftigst applaudieren. Wie dies dargeboten wird, auf höchstem gesanglichem wie darstellerischem Niveau ist einfach unbeschreiblich.
Pitzel-Martin Shalitas, Anna Voshege
Als Julius Pitzelberger, seines Zeichens Toilettenpapierhersteller, tritt der in Wilhelmshaven geborene Bariton Michael Mrosek auf die Bühne und er füllt sie mit jedem Zentimeter seines Körpers. Vollmundig, mit kräftigem, dennoch schlankem, voluminösem und kraftvoll zupackendem Bariton kann er das Publikum begeistern. Ebenso wie Anna Voshege als seine Tochter Ernestine, deren stimmlicher Ausdruck immer durchschlagender wird, deren Koloraturen hier noch glitzernder und perlender und wie schwebend gesetzt sind, wie vor der Pause. Es ist einfach eine Freude ihr zuzusehen und zuzuhören. Dazu Chrysodle Babylas, ihr Geliebter, der von Martin Shalitas mit durchschlagkräftigem, keinerlei Höhenschwierigkeiten kennenden und metallisch leuchtendem Tenor dargeboten wird. Eine weitere stimmliche Steigerung nach der Pause, auch wenn das fast nicht möglich erscheint, mit herrlichen wie in Stein gemeißelten Höhen ist zu bewundern. In den Duetten übertreffen sich beide und wenn das Terzett italienisch loslegt, bleibt kein Auge trocken. Darüber freuen sich besonders das Ehepaar Balandard, welches von Rita Lucia Schneider und Harald Wurmsdobler mehr als rollendeckend exzellent verkörpert wird.
Pitzel-Tobias Engelhardt
Und wenn man glaubt, dass hier keine Steigerung mehr möglich ist, dann hat man sich getäuscht. Als Diener Brösel ist der Coburger Tobias Engelhardt in seinem Element. Sein herrliches Couplet „Ich kann nicht alles auf einmal“ trägt er einfach nur klasse vor, begeistert damit das Publikum und dann hebt er zu einer kleinen Rede an, bei der er die Prominenz und die vermeintlich sogenannte Prominenz im Publikum „derbleckt“ und der mit seinem Humor die Bühne zum Beben und das Publikum zum wilden Applaudieren bringt. Tobias Engelhardt ist kein Komiker, nein, er ist ein Komödiant – und das ist fast ein Adelsschlag.
Und das alles wird weiterhin kongenial begleitet von Reinhard Schmidt und seinen tapferen Sechs.
Ich bitte zu entschuldigen, dass ich vielleicht etwas zu blumig formuliere, aber so einen herrlichen Einakter habe ich noch nie erlebt und das Publikum gibt stehenden Applaus uns ist restlos begeistert.
Pitzel-Martin Shalitas, Michael Mrosek, Anna Voshege
Nach diesem Erlebnis geht man wieder nach Haus, und es fällt schwer, wieder „herunterzukommen“ und man ärgert sich furchtbar, dass durch diese furchtbare Pandemie nur so wenige Musikliebhaber dieses Kleinod bewundern konnten. Man hätte es für die Nachwelt aufzeichnen sollen. Ein von tiefstem Herzen kommendes Dankeschön an Harald Wurmsdobler und seine gesamte Truppe, die gezeigt haben, dass man auch aus der Not und aus Einschränkungen Geniales gebären kann. Ich bin mehr als dankbar für dieses einmalige Erlebnis, welches wir hier in Heldritt hatten und wir wünschen für die Zukunft alles erdenkliche Gute und möge es mit der Pandemie schnell zu Ende gehen.
Meine Mitfahrer jedenfalls haben mir alle erklärt, dass sie im nächsten Jahr wieder dabei sein werden. Und selbst wenn es nicht alle sein werden, gibt es kaum ein größeres Lob für einen denkwürdigen musikalischen Nachmittag.
Manfred Drescher 21.08.21
Bilder Sven Kaufmann