Wien: „Arabella“, Richard Strauss

Jeder weiß, worum es in „Arabella“ geht. Junges Mädchen erträumt sich ihren Prinzen. Den Richtigen, wenn‘s einen gibt für sie in dieser Welt, wird sie erkennen, hofft sie. Junger Mann sieht das Foto des Mädchens, verliebte sich sofort in sie, reist nach Wien, sie zu suchen. Und nachdem er sich klugerweise versichert hat, dass sie weder verheiratet noch verlobt ist, will er sie zitternden Herzens kennen lernen. Keine Frage, die zwei mögen sich auf Anhieb, er legt ihr sein Herz und Vermögen zu Füßen, sie ist auch sehr für diese Beziehung (träumt schon davon, einmal mit ihm im gleichen Grab zu liegen…). Aber weil Liebe weh tun muss, gibt es noch einige schmerzende Missverständnisse vor dem HappyEnd. „Arabella“ von Hofmannsthal und Strauss. Unvergänglich wunderbar.

© Michael Pöhn

Allerdings gibt es im Opernalltag keine jungen Sänger, die diese Rollen wirklich ausschöpfen könnten, also muss man froh sein, wenn es mittelalterliche in voller Kompetenz tun – und dies auch in einer Inszenierung tun dürfen, die das Werk zwar um ein paar Jahrzehnte verrückt, aber nicht wirklich stört. Wie in der Wiener Staatsoper, wo „Arabella“ für die jüngste Aufführungsserie ein ideales Paar und einen idealen Dirigenten fand. Mehr kann man wirklich nicht verlangen.

Es war ein Abend vieler Rollendebuts, und das Wichtigste kam von Mandryka. Nun ist Michael Volle ein anerkannt großer Wagner-Sänger, Wotan, Sachs, Holländer. An der New Yorker Met faszinierte er als grandios-alternativer Falstaff. Und in Wien zeigt er nun einen absolut wunderbaren Mandryka. Kein junger Mann, aber ein feiner. Den „halben Bauern“, als den er sich selbst bezeichnet, hat er in der heimatlichen Provinz gelassen. Das ist ein Gentleman mit Gefühlen. Nie protzig, penetrant oder dumm-großspurig (hat mal alles schon gesehen), auch wenn er Arabellas bankrottem Grafen-Vater die Geldtasche hinhält. Wie er sich vor dem Treffen mit der Ersehnten fürchtet (man könnte ja auch enttäuscht werden), wie hingerissen er von ihr ist – und wie er wirklich leidet, als er denken muss, dass er sich in ihr geirrt hat, dass der schöne Traum vom Glück nicht wahr gewesen ist. Das ist eine in allen Details faszinierend ausgewogene Darsteller-Leistung. Und gesanglich kann ihm nicht einmal das aufbrausendste Strauss-Orchester etwas anhaben. Man hat so einige Mandrykas gesehen in seinem Leben (mein erster war in meinen Teenager-Jahren Fischer-Dieskau an der Seite von Janowitz in Berlin), aber ich erinnere mich nicht, je so von dieser Figur fasziniert gewesen zu sein.Dieser Mandryka, der wahrlich der Richtige war, bekam eine wunderschöne Arabella. Man hat Camilla Nylund seit 2011 (wie die Zeit vergeht…)  immerhin schon einige Male in der Rolle gesehen, sie ist unverändert schön und steigerte sich gesanglich im Lauf des Abends enorm. Musste man anfangs (obwohl das Duett mit Zdenka „Aber der Richtige“ sehr schön gelang) befürchten, dass die Brünnhilden-Ausbrüche ihr die Fähigkeit zur sämigen Kantilene genommen haben, so sang sie sich „straussisch“ ein und fand mit Volle zu hinreißender Gemeinsamkeit (und strahlenden Spitzentönen, wie sie „Richard III“ – so nannte Strauss sich selbst, weil nach Wagner kann es keinen Zweiten geben – gebühren).

Als Zdenka debütierte Sabine Devieilhe, sie war ein klapperdürrer „Junge“, komisch in ihrer sich windenden Liebesqual um Matteo, während wir die Rolle lieber lyrisch sehen. Mit einer Menge spitzer Töne in der Kehle, wurde sie dem Rang der Figur nicht ganz gerecht. Weitere Rollendebutanten: Margaret Plummer als nicht übertrieben komische Mama, Ilia Staple als Fiakermilli, die Vergessens wert war, Michael Laurenz, der immer wieder versuchte, den Matteo zu (schmalem) Heldentenor zu schrauben, Stephanie Maitland als Kartenaufschlägerin.

Martin Häßler war erstmal Graf Dominik, Norbert Ernst (Graf Elemer) und Clemens Unterreiner (Graf Lamoral) sind in ihren Rollen schon Veteranen. Dass der Regisseur die drei Anbeter Arabellas als ziemliche Trottel auf die Bühne schickt, dafür können sie nichts (schließlich heißt es angeblich in Verträgen, den Anweisungen des Regisseurs sei Folge zu leisten, und das gilt vermutlich auch bei einer Inszenierung wie dieser, die auch schon 19 Jahre alt ist, aber noch immer funktioniert). Zu den Veteranen in ihren Rollen zählt auch Wolfgang Bankl als verarmter Arabella-Papa.

Opernfreunde warten immer auf bestimmte Künstler, und das müssen nicht nur Sänger sein. So stürmisch, wie Christian Thielemann begrüßt und schon nach der Pause akklamiert wurde, ist klar, dass er den Wienern für Wagner und Strauss ein Bedürfnis ist. Bei ihm hört man immer, dass Musik nicht nur begleitet, sondern ein Werk als integralen Bestandteil miterzählt. Er schöpft alle Nuancen aus (und die gibt es so reichlich wie plötzliche Stimmungsumbrüche), und wenn Strauss zwischen dem 2. und 3. Akt ein längeres Zwischenspiel einlegt, dann bekommt man von ihm und den Philharmonikern den Komponisten „konzertant“ in all seiner Wucht und Schönheit. Arabella war, zwischen Seelenschwingungen und Gefühlsgewitter, in den besten Händen. Das fand auch das jubelnde Publikum.

Renate Wagner, 29. April 2025


Arabella
Richard Strauss

Wiener Staatsoper

13. April 2025

Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Wiener
Staatsopernorchester