Wien: „La traviata“

Vorstellung am 10.9.2019

Heuer mit Irina Lungu

Ande Anderson, ein früherer Produzent am Londoner Covent Garden, sagte einmal, dass während die meisten Soprane das Publikum im letzten Akt der Traviata zum Weinen bringen, Maria Callas es zu Stande brachte, auch im zweiten Akt zu Tränen zu rühren. An diesem Abend fand sie diesbezüglich eine würdige Nachfolgerin…

Es war bereits die 65.Aufführung der Inszenierung von Jean-Francois Sivadier, die nicht zu den gelungensten und beliebtesten Produktionen am Ring gehört. Angeblich soll sie durch die Vorgängerin wieder ersetzt werden – da bleibt zu hoffen, dass diese aber ordentlich entstaubt wird und jemand an der Personenregie arbeiten wird – ich erinnere mich noch an unerträgliches Stehtheater und war froh, als man seinerzeit ankündigte, sie zu ersetzen. Niemand konnte wissen, dass Sivadier den – schon zu diesem Zeitpunkt altbackenen – Ansatz der „Bühne auf der Bühne“ bringen wird, ohne irgendwelche neuen „Erkenntnisse“ und Denkanstöße dem Publikum anzubieten. Bei einem Repertoirehaus ist es außerdem immer gefährlich, eine Neuproduktion auf die Fähigkeiten/Persönlichkeit/körperlichen Eigenschaften einer Person auszurichten (man denke an die Probleme, als plötzlich ein Thomas Hampson die Bahre zugewiesen wurde, die ursprünglich für Thomas Quasthoff produziert wurde…). Mit Natalie Dessay hatte der Regisseur eine der spielfreudigsten Sängerinnen zur Verfügung, die auch körperlich im Stande war mehr als Stehtheater und Allerweltsgesten zu produzieren. Diese Vorgaben konnten nicht alle Rollennachfolgerinnen aufbieten, was sich auch auf die Qualität der Aufführungen niedergeschlagen hat.

Irina Lungu hat die Violetta schon 2015 und 2018 verkörpert, musste aber gesundheitsbedingt die beiden ersten Vorstellungen der aktuellen Serie absagen. Dementsprechend vorsichtig begann sie, hatte bei „E strano“ eine ganz kleine Unsauberkeit, doch ab „Sempre libera“ überzeugte sie in allen Belangen. Eine überzeugende schauspielerische Leistung und ein gutes Zusammenspiel mit Castronovo und Hampson komplettierten die für mich beste Leistung in dieser Rolle, die ich seit einiger Zeit hier gesehen habe.

Charles Castronovo als Germont jr. war ebenfalls schauspielerisch überzeugend, ein strahlender Tenor wäre aber wünschenswert gewesen. Stimmlich ist er von seinen „Nemorino“- Tagen schon entfernt, die Stimme ist dunkler geworden. Ein- oder zweimal war der Übergang von Brust- zu Kopfstimme nicht ganz sauber. Eine alles in allem durchschnittliche Leistung.

Für Thomas Hampson ist der Giorgio Germont eine Rolle, die er schon seit über 15 Jahren erfolgreich singt, allerdings sind auch bei ihm die Jahre (stimmlich) nicht spurlos vorübergegangen. Er verfügt nach wie vor über ein sehr angenehmes Timbre, doch ein- oder zweimal wackelte er in der höheren Lage bedenklich. Dies sieht man ihm aber gerne nach – er besitzt eine tolle Ausstrahlung und ist daher, unabhängig von seiner Größe, bühnenbestimmend. Den Pére Germont legt er als stocksteifen, konservativen, in altem Denken gefangenen Menschen an, die für den „Anschein“ seiner Familie im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht. Sein „Piangi, Piangi, o misera“ war so distanziert gesungen, dass es wie eine Verhöhnung der jungen Frau klang, der er gerade zuvor den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Sehr gespenstisch…

Die Annina ist an der Staatsoper die „Leibrolle“ von Donna Ellen. Schon 54 Mal war sie angesetzt und ist auch in dieser Produktion seit der Premiere dabei. In keiner anderen Rolle war sie so oft besetzt – und naturgemäß bringt sie alles mit, um in dieser wichtigen, mittelgroßen, Rolle zu glänzen. Margarte Plummer als Flora Bervoix fiel weder positiv noch negativ auf – man kann also von „rollendeckend“ sprechen. Das gleiche gilt für Carlos Osuna (Gaston), Has Peter Kammerer (Marchese dÒbigny) und Ayk Martirossian (Dottore Grenvil). Sorin Coliban war ein beeindruckender, stimmgewaltiger Duphol.

Es seien auch die Sänger die kleineren Rollen genannt – Dritan Luca, Wataru Sano, Roman Lauder und als Faktotum Christoph Nechvatal. Der Chor der Wiener Staatsoper war von Thomas Lang sehr gut vorbereitet, sehr präzise spielte auch das Bühnenorchester.

Giampaolo Bisanti dirigierte das Staatsopernorchester mit viel Einsatz – die Interpretation war gut, aber nicht außergewöhnlich. Man merkte dem Dirigenten aber an, dass er mit viel Freude am Werken war.

Der Schlussapplaus war zu kurz für die erbrachten Leistungen, mit Bravo-Rufen für Hampson und Lungu und einer kurzen Missfallenskundgebung für Castronovo.

Kurt Vlach 12.9.2019

(c) Pöhn