Der Sängerkrieg als Mittelalter-Posse
Göttin Venus ist herabgestiegen, und zwar in die Niederungen der Nachtclub- und Bordell-Welt. In der Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“, die Lydia Steier nun für die Wiener Staatsoper erstellt hat, erscheint sie aufgeputzt wie ein Zirkuspferd als Hupfdohle, die in der Mitternachtsshow in ihrem Halbmond-Gefährt vom Schnürboden heruntergelassen wird. (Das übrigens, wie man am Ende weiß, in jedem Akt, auch dort, wo sie gar nicht vorgesehen ist.) Bewegt sich der originale Tannhäuser zwischen einer (schönen bösen) Göttin und einer Heiligen, so ist auch er auf der Bühne der Staatsoper gewaltig heruntergekommen.

Die Regisseurin (an deren „Candide“ für das MusikTheaer an der Wien man sich mit Vergnügen erinnert, weil sie nichts getan hat, als das Stück selbst bestmöglich zu inszenieren) hatte für „Tannhäuser“ offenbar zwei Ideen, je eine für Akt 1 und 2, für Akt 3 dann keine mehr. Zu einem stringenten Konzept bindet sich das, was ihr eingefallen ist, nicht zusammen.
Akt 1 also – Nachtclub, Bordell, ein bißchen Cabaret, ein biß0chen Käfig voller Narren, also wenig. Die Verwandlung in die Natur wird verweigert, da gibt es nur einen grünen Zwischenvorhang. Der „Auftritt“ des Hirten (muss man den sehen?) ist die absolut dümmste, weil im Doppelsinn in der Luft hängendste Idee des Abends. Der Hirte wird nämlich auch vom Schnürboden heruntergelassen und trägt das Kostüm einer Barockoper… Der Landgraf und die Seinen kommen jovial im Jagerg’wandl (als hätten sie den Kostümfundus der Homoki-Inszenierung von Lohengrin geplündert), und Tannhäuser stärkt sich aus dem Picknickkorb, während ihn seine alten Spezis wieder aufnehmen. Genauso und nicht anders wirkt sie Szene.
Die „Teure Halle“ des zweiten Akts ist keine, sondern ein Theater, aber kein richtiges mit Sitzreihen, sondern mit Tischchen, also wohl eine Art Kabarettbühne. Und das passiert dann auch, sobald man die Herrschaften in Abendkleidung irgendwie auf ihre Plätze gezwängt hat: Dass es keinen „Einmarsch“ der Gäste geben kann, weil kein Platz dafür ist, ist klar, da kann die Musik noch so sehr etwas anderes erzählen.
Der Landgraf hat sich nun in Smoking mit Orden geworfen, benimmt sich aber eher wie ein Theaterdirektor, der sein Publikum begrüßt und das Programm vorstellt: Heute, meine Damen und Herren, Mittelalter-Show, es darf gelacht werden. Und das würde man auch, wenn es nicht zu traurig wäre, wie diese Herren Minnesänger (das waren sie doch wohl) ausstaffiert sind, Kostüme und vor allem Perücken machen sie zur perfekten Dodel-Schar. Dass jemand nach diesen Herumgealbere nach Rom aufbrechen will, um zu büßen, sieht man nicht wirklich ein. Zumal Elisabeth, vor der man sich so geniert, hier ja (logischerweise) nicht als Fürstin repräsentiert, sondern wie ein Mäuschen an den Rand gedrängt ist, aber vorher immerhin mit Tannhäuser ein Tänzchen aufs Parkett gelegt hat.

Haben Nachtclub und Theater zumindest ein erkennbares Ambiente geboten, so landete der dritte Akt im Niemandsland. Der Schauplatz: eine Riesentreppe in der Mitte, vorne eine „Marienstatue“, zusammengesetzt aus Fernseh-Bildschirmen. Offenbar ein modernes Monitor-Marterl. Was das Gestänge im Hintergrund und die darauf kauernden Figuren bedeuten sollen, erschlie0t sich nicht. Nun hat der „Tannhäuser“ ja neben dem „Tristan“ den traurigsten dritten Akt, den Wagner je geschrieben hat, die Öde könnte sinnvoll sein, wenn Sinn erkennbar wäre. Aber was soll das Ganze?
Lydia Steier hat in Interviews immer wieder davon gesprochen, dass es in „Tannhäuser“ um Liebe gehe. Wirklich? Venus ist die Lust, Elisabeth ist die Heiligkeit, und eigentlich geht es wirklich trostlos aus, zumal ja auch die Leiche der Letzteren über die Bühne getragen wird. Aber da hat sich die Regisseurin plötzlich ein HappyEnd ausgedacht – Elisabeth, ganz in Weiß (vielleicht auch nur ihr Geist), schreitet auf einmal die Treppe hinab und nimmt den am Boden liegenden Tannhäuser in ihre Arme.
Wunderschön. Aber wie kann jemand, der sich ein so magisches Ende ausdenkt, das Ganze davor so verjuxen? So hinunterziehen? Was bringt das für das Stück, die Interpreten und ja, auch für das allgemein gering geschätzte Publikum, das sowieso zu dumm ist, große Konzepte zu begreifen? Diese Frage bleibt hier, wie so oft, offen.
Seit dem Tod von Johan Botha und Stephen Gould, seitdem auch Jonas Kaufmann wenig Lust mehr auf den schweren Wagner zeigt und Klaus Florian Vogt der letzte Großmeister des Fachs ist, suchen die Opernhäuser dringend nach neuen Wagner-Tenören, noch, ohne in der Spitzenklasse fündig geworden zu sein. Clay Hilley bringt Kraft und Ausdauer für die mörderische Rolle mit, wenn sein Tenor – immer mit ein wenig gequetschtem Beiklang – vom Timbre her auch nicht eben entzückt. Dafür aber entschädigt die Gestaltung. Die Rom-Erzählung ist nicht nur eine Nagelprobe für den Tannhäuser, sondern für Wagner-Tenöre schlechthin, und die wurde schlechtweg fabelhaft abgeliefert.
Dafür, dass sie die Generalprobe noch krankheitshalber absagen musste, hatte sich Malin Byström zur Premiere bestens erholt, sang eine glockenklare, unangestrengte Elisabeth, die leider als Figur im Schatten blieb. Die Venus der Ekaterina Gubanova musste viel mit ihren Federn wackeln, hat eine schöne Tiefe, während die Höhe oft eher schrill als verführerisch klingt.
Ungeachtet dessen, dass er den Landgrafen einigermaßen veralbern musste, machte Günther Groissböck (vor allem im Frack) gute Figur, der volle Wagner-Baß, der nie grölt, ist ein Vergnügen für sich. Martin Gantner war als Wolfram eingesprungen und gab den „guten Menschen“ schlechthin. Dass die anderen vier Minnesänger Minirollen sind, ist bekannt, sie fielen als Träger dummer Kostüme und Perücken auf (Daniel Jenz. Simon Neal, Lukas Schmidt und Marcus Pelz), Ilia Staple sang zwar die Passage des Hirten, hing aber als Barockfigur in der Luft. Der Staatsopernchor lieferte seine übliche tadellose Leistung ab.

König des Abends war Dirigent Philippe Jordan, „Tannhäuser“ ist eine Oper der tausend Nuancen, Brüche, Aufschwünge. Allein die Verhaltenheit der Elisabeth-Arie im dritten Akt, gefolgt vom musikalischen Höllenfeuer des erneuten Venus-Auftritts, ganz abgesehen von den Schattierungen der Rom-Erzählung, so ist das nur ein Beispiel dafür, was sich hier musikalisch abspielt – und Jordan hatte und brachte alles, ließ dieses Meisterwerk in voller Pracht und Schönheit erklingen.
Am Ende viel Beifall für die Protagonisten. Der Buh-Orkan für die Regisseurin war allerdings noch lauter. Offenbar wollen sich Wagnerianer nicht alles gefallen lassen.
Renate Wagner, 23. Mai 2025
Tannhäuser
Richard Wagner
Staatsoper Wien
Premiere: 22. Mai 2025
Regie: Lydia Steier
Dirigent: Philippe Jordan
Orchester der Wiener Staatsoper