Wuppertal: „Von Thalia geküsst“, Martin Reißmann (Zum Ersten)

Einen ebenso unterhaltsamen wie nachdenklichen Einblick in ein Stück städtischer Kulturgeschichte zeigt die Wuppertaler Oper derzeit mit dem als „Wupperetten-Revue“ deklarierten Bühnenstück „Von Thalia geküsst“. Eine Eigenkreation des Hauses, die es verdient, trotz ihres engen lokalpolitischen Bezugs auf überregionales Interesse zu stoßen.

© Patrick Gawandtka

Regie führt Intendantin Rebekah Rota persönlich, Libretto und Dialoge stammen von Chefdramaturgin Laura Knoll und auch Maestro Jan Michael Horstmann hat an einigen der vielen musikalischen Einlagen noch Hand angelegt. Im Zentrum steht die Geschichte des 1906 gegründeten und danach verfallenden „Thalia-Theaters“, das mit 2000 Plätzen zu den größten und zeitweise erfolgreichsten Bühnen Wuppertals gehörte. 1929 hat der jüdische Schauspieler und Impresario das heruntergekommene Haus mit eigenem Geld aufpoliert und ihm mit einer geschickten Mischung aus Operette, Revue und Film vier Jahre lang zu sensationellen Besucherrekorden verholfen. Bis 1933 die Nazis den jüdischen Theatermann aus dem Amt jagten, der dann in Amerika sein Glück versuchte, während das „Thalia-Theater“ in die Bedeutungslosigkeit versank und 1967 endgültig geschlossen wurde. Den Platz schmückt mittlerweile das Sparkassen-Gebäude.

Das etwa hundertminütige Spektakel beginnt mit der Eröffnungsansprache Kurt Riemers, dem dann ein kunterbunter Reigen von Operetten-, Revue- und Balletteinlagen folgt, eingekleidet in einen Rausch schillernder Kostüme von Elisabeth von Blumenthal und aufwändiger Dekorationen von Sabine Lindner, die in der ersten Stunde viel zum Schwung und zur duftigen Atmosphäre sorgen. Verknüpft wird dieser dramaturgische Rahmen geschickt mit zwei Liebesgeschichten. Und da ist noch die Muse der heiteren Bühnenkunst Thalia, die auf die Erde schwebt und sich ins Ensemble mischt, um dem Theater zu weiteren Erfolgen zu verhelfen. Das alles läuft mit lockerer Hand und schwungvoller Musik aus Operetten und Schlagern der damaligen Zeit über die Bühne, darunter auch der Mitsing-Hit aus dem Jahre 1924 „Mädel, fahr mit mir Schwebebahn“. Ansonsten präsentiert sich das Stück als Pasticcio geschickt ein und angepasster Stücke von bekannten und weniger bekannten Meistern der leichten Muse im Umfeld von Millöcker, Lehár. Lincke & Co.

© Patrick Gawandtka

Schroff ausgebremst wird der Wirbelsturm guter Laune durch das Berufsverbot Riemers. Jetzt wandelt sich die Revue in ein dunkles Requiem. Bierernst, schwermütig, bisweilen sentimental und nahezu stumm endet das Stück, wenn die Lichter ausgehen. Das wirkt drastisch, allerdings auch ein wenig aufgesetzt, als zerfalle das Stück in zwei stilistisch unverbundene Teile. Es wäre sicher passender, wenn man die Rolle der Nazis mit skurril-bissiger Ironie dargestellt hätte. Dem Ernst des bösen historischen Hintergrunds hätte eine Prise Satire sicherlich nicht geschadet.

Gleichwohl legt sich das Wuppertaler Ensemble samt Chor und Tanzstatisterie mit vollem Einsatz ins Zeug. Und wenn nach dem Schlussbeifall der „Schwebebahn“-Ohrwurm wiederholt wird, ist die gute Laune wieder hergestellt. Die Interpreten der acht Solo-Rollen mit Edith Grossmann als Thalia an der Spitze überzeugen darstellerisch mit ihrer unbändigen Spielfreude auf ganzer Linie und können auch gesanglich weitgehend überzeugen.

Insgesamt ein interessanter und origineller Beitrag in der noch frischen Intendanz von Rebekah Rota.

Pedro Obiera 19. Januar 2025


Von Thalia geküsst
Martin Reißmann
Opernhaus Wuppertal

Premieren-Datum: 17. Januar2025

Regie: Rebekah Rota

Dirigat: Jan Michael Horstmann