Kaiserslautern: „Friedenstag“, Richard Strauss

Aufführung am 05.10.2014 (Premiere am 27.09.2014)

Bewegende Umsetzung eines völlg vernachlässigten Werks

Inhalt: In einer Stadt am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Der Kommandant der belagerten Zitadelle fühlt sich an die Durchhalteparolen des Kaisers gebunden, obwohl die Munition ausgeht, die Wände mit Einschüssen durchlöchert sind, die hungernde Bevölkerung kurz vor der Revolte steht. Doch der Kommandant zieht eine Sprengung vor, um damit nicht als Besiegter dazustehen. Seine Frau Maria will mit ihm in den Tod gehen. Auch seine ihm treu ergebenen Soldaten wollen in der Festung ausharren. Doch da erklingen Glocken, Friedensglocken. Der Westfälische Frieden zu Münster wurde geschlossen. Der Kommandant traut den weißen Fahnen nicht, glaubt an eine Kriegslist und will den gegnerischen Anführer, der ihm die Hand reicht, erschlagen. Maria tritt entschlossen zwischen die beiden Männer. Gemeinsam stimmen alle in eine Friedenshymne ein.

Werk: Die Zusammenarbeit mit dem nichtarischen Stefan Zweig war aus politischen Gründen für Richard Strauss nicht mehr möglich. Zweig empfahl Joseph Gregor als Librettisten. Die Zusammenarbeit mit Gregor verlief jedoch aus Sicht des Komponisten nicht sehr harmonisch. Die Uraufführung wurde trotz der pazifistischen Aussage des Werks zu einem Erfolg und auch von den Nationalsozialisten ausgeschlachtet, da sie sich ja mit einem waffenstarrenden Pazifismus die Legitimation für Gebietseinverleibungen beschafften. Als sich jedoch die Außenpolitik des Dritten Reiches unweigerlich auf einen Eroberungskrieg hin entwickelte, wurde Strauss‘ Oper nicht mehr aufgeführt. Nach dem Krieg geriet sie zusehends in Vergessenheit. Erwähnenswert ist vor allem das grandiose, auf ein erhabenes C-Dur zusteuernde Finale, welches einige Parallelen zum Finale in Beethovens FIDELIO aufweist – Beethoven hatte allerdings in seinem Schlussakkord die Quinte weggelassen und damit einen zweifelnden, hohlen Akzent gesetzt, Strauss jedoch schöpfte aus dem Vollen, effektvoll, aber vielleicht etwas zu unreflektiert euphorisch, wie es sich in der Geschichte nach 1938 manifestieren sollte. Die Partitur ist dem Dirigenten Clemens Krauss und seiner Gattin Viorica Ursuleac gewidmet, welche zusammen mit Hans Hotter als Kommandanten auch die Uraufführung auf die Bühne brachten.

Kritik: „Es ist schwer, Schlüsse zu schreiben. Beethoven und Wagner konnten es. Es können nur die Großen. Ich kann’s auch.“ In diesem von Elisabeth Schumann überlieferten Zitat aus dem Munde Richard Strauss‘ streicht der Komponist, nicht ganz uneitel, seine beinahe unerreichten Fähigkeiten zur Komposition effektvoller Schlussszenen heraus. Denken wir nur an die finalen Szenen von SALOME, ELEKTRA, DER ROSENKAVALIER oder CAPRICCIO. Auch in der Oper, welche das Pfalztheater Kaiserslautern nun erfreulicherweise wieder zur Diskussion stellt, FRIEDENSTAG, kommen wir in den Genuss eines solch fulminanten Schlusses. Gleißendes C-Dur, jubelnde Massen, exaltiert fast bis zur Schmerzgrenze, Glockengeläut, ein Sopran, der sich in herrlichen Aufschwüngen über Orchester und Chor hebt. Ja, hier ist Strauss in seinem Element – es gelingt ihm eine Musik voll gefährlicher Sogwirkung, man möchte am liebsten in diesen taumelnden Jubel mit einstimmen. Erst nach etwas Reflexion wird einem klar, wie hohl diese kollektive Friedenseuphorie klingt. Genau dies haben die Verantwortlichen in Kaiserslautern auch gespürt und lassen den Abend nicht an dieser Stelle mit die Euphorie auf der Bühne zusätzlich verstärkendem Publikumsapplaus enden.

Bereits beim Eingang wird den Zuschauern ein Zettel in die Hand gedrückt, mit der Bitte, nach dem Ende der Oper nicht zu applaudieren. Denn nahtlos schließt sich die szenische Installation von Strauss‘ Alterswerk METAMORPHOSEN an, dieses nach innen gewandten, kunstvoll und tief empfundenen Lamentos für Streicher über die Zerstörungen des Krieges. Und so wunderbar das Orchester des Pfalztheaters unter der einfühlsamen Leitung von Uwe Sandner diese Trauermusik auch spielt, jubeln mag man nun nicht mehr, zu tief ist man berührt von der Musik und der ungemein unter die Haut gehenden, bewegenden szenischen Installation von Kerstin Maria Pöhler. In einer endlosen Prozession treten die Chorsänger stumm in einen Lichtkegel, ihre Gesichter werden von einer Kamera eingefangen und in hartem Schwarz-Weiß auf eine Leinwand projiziert, stets ist die niedergeschlagen kauernde Gattin des Kommandanten, Maria, im Hintergrund sichtbar. Es ist unglaublich, was man in all den Gesichtern lesen kann: bittere Wut, Enttäuschung, stumme Flüche, Verachtung, höhnisches Grinsen. Die weißen Armbinden, die sich die Choristen am Ende der Oper noch im kollektiven Wahn übergezogen hatten, werden hasserfüllt zu Boden geworfen, einer nach dem andern schreitet von der Bühne. Am Ende bleiben der Kommandant und seine Gemahlin allein auf der Bühne. Er verharrt lange, schaut uns mit leerem Blick an, das Antlitz Marias ist in tiefer Trauer, schmerzerfüllt und desillusioniert.

Dem Pfalztheater ist mit dieser klug durchdachten szenischen Aufführung ein bemerkenswertes Theaterereignis gelungen. Denn obwohl Strauss mit seinem Librettisten Joseph Gregor anscheinend nicht so ganz glücklich wurde (aber immerhin stammte der Entwurf ja von Stefan Zweig), ist den beiden ein stringenter Einakter gelungen, und wieder einmal hat man das Gefühl, dass beim Theaterpraktiker Strauss keine Note zu viel oder zu wenig da ist. Die Regisseurin Kerstin Maria Pöhler wählte zu Recht einen zeitlosen Ansatz und ließ sich von Herbert Murauer eine ausgezeichnet bespielbare Stahlkonstruktion auf die Bühne bauen, welche von kalten Neonröhren ausgeleuchtet wird. Einsam befindet sich der Kommandant in seinem Kubus vor Landkarten, stur hält er am Durchhalte-Befehl des Kaisers fest. Die Stimmung in der belagerten, ausgehungerten Zitadelle hat das Inszenierungsteam mit bedrückender Intensität eingefangen. Am Bühnenrand liegt ein totes Pferd, einige Brot- und Sandsäcke sind aufgehäuft, Manfred Wilking (Licht) spielt mit bedrohlichen Licht-Schatten Effekten, die bis in den Zuschauerraum ausstrahlen. Die Soldaten sind abgestumpft, geben sich manischen Zwangshandlungen hin, neigen zu Brutalitäten. Diese aufgestauten Aggressionen entladen sich, als der Piemonteser von Liebe und Mädchen zu singen beginnt. Die Soldaten ertragen in ihrer Entbehrung während unzähliger Jahre des Krieges den Gesang nicht, erniedrigen und vergewaltigen den armen Boten. Daniel Kim singt seine Romanze mit sehr zittriger Stimme und Intonation, kein Wunder wenn er sich zuvor durch ein feindliches Heer von 50000 Mann schlagen musste. Ganz hervorragend besetzt sind der mit imposantem Bassbariton aufwartende Wachtmeister von Alexis Wagner und vor allem der treue Schütze von Peter Floch. Mit schon beinahe heldentenoralem Aplomb stürzt er sich in die schwierige Rolle, denn von ihm wird auch eine darstellerische Leistung sondergleichen gefordert (das paranoide, krankhafte Zittern seiner rechten Hand), welche er grandios meistert. Carsten Süss (auch er mit ebenmäßigem, gut fokussiertem Tenor) ist der humane Bürgermeister der Stadt, welcher immer wieder den menschlichen Aspekt betont – und am Ende vom medienwirksam auftretenden Kommandanten (Wieland Sattler macht das überzeugend) schlicht ignoriert wird. Da hat es der Prälat (mit weichem Bariton und gekonnt etwas einschleimend singt Daniel Böhm die Rolle) einfacher, da er das Fähnchen der Kirche nach dem Wind dreht. Eindrücklich gestaltet Arlette Meißner die Frau aus dem Volk, welche den Kommandanten und am Ende auch das in blinde Friedensverzückung geratene Volk aufrütteln will – vergeblich, die Sehende wird gnadenlos erschossen.

Die Hauptpartien des Kommandanten und seiner Frau Maria sind mit Karsten Mewes und Maria Lobanova besetzt. Mewes ist ganz der unnahbare, nur der Ehre und dem Eid verpflichtete Soldat. Die Liebe hat er längst verlernt, zu seiner Frau findet er nur noch mittels eines brutalen Liebesaktes während einer von Strauss so eindringlich orgiastisch komponierten Zwischenmusik. Seinen Bariton setzt er mit rauer Unnahbarkeit ein. Maria Lobanova scheut die hohen Töne und die entsprechende Attacke nicht, sie setzt zu Recht Expressivität vor Schöngesang und triumphiert mühelos über die Massen. Diese strömen zum langen, effektvollen Finale aus den Seitenfoyers auf die Bühne, werfen Flugblätter vom Rang ins Parkett mit der Botschaft: „Es ist tragisch, dass wir Menschen es nicht fertig bringen, dass endlich Frieden auf der Welt herrscht. Solange Frieden und Krieg aber ausschließlich eine Frage des Geldes und nicht der Ethik ist, wird es auch nie Frieden geben.“

Dieser Auftritt, so überwältigend er szenisch auch gedacht ist, geht klanglich leider etwas daneben. Denn durch den quasi quadrophonischen Klang, nimmt das Ohr vielerlei Koordinationsprobleme zwischen den einzelnen Chorgruppen als auch mit den Musikern im Graben wahr. Doch zum Glück sind bald alle auf der Bühne angelangt, streifen sich die weissen Armbinden über, und der ansonsten sehr ergreifend singende Chor und der Extrachor des Pfalztheaters (Einstudierung Ulrich Nolte) findet sich wieder im homogenen C-Dur-Jubel.

Dirigent Uwe Sandner hält ansonsten die Zügel fest in der Hand, lässt die unterschwelligen, fast dauerpräsenten martialischen Rhythmen und Salven mit aller Schärfe erklingen und das Orchester des Pfalztheaters beglückt mit einer reichen Palette an Klangfarben.

Fazit: Bewegende Umsetzung eines vernachlässigten Werkes von Richard Strauss. Sehr zu empfehlen!

METAMORPHOSEN

(wird im Anschluss an die Oper gespielt)

Die METAMORPHOSEN (Studie für 23 Solostreicher) sind das bedeutendste Alterswerk aus Strauss‘ reichhaltigem Schaffen, obwohl der Komponist sie selbst bloß als "Handgelenksübung" bezeichnete, damit der Kopf und das Handwerk nicht allzu zeitig verblöde. Doch die tiefe Empfindung, die Trauer, die prachtvolle Polyphonie und der warme Klang sprechen eine andere Sprache und das Stück erreicht eine geistige Tiefe, welche es über seine Tondichtungen aus jüngeren Jahren heraushebt. Kurz vor dem Ende des zweiten Weltkriegs begonnen und vor dem Hintergrund des in Ruinen liegenden Europa entstanden, können die Metamorphosen als ein Lamento des Komponisten verstanden werden, ein Abgesang auf sein Leben und die Welt. Das motivische Rückgrat des dreisätzigen Werks (die Sätze gehen pausenlos ineinander über) bilden die Anfangstakte von Beethovens Trauermarsch aus der EROICA-Sinfonie.

Kaspar Sannemann, 05. Oktober 2014
Fotos: Jörg Heieck

Der Originalbeitrag steht bei: www.oper-aktuell.info/