Berlin: „Iris“

Lohnende Ausgrabung

Mit „Iris Butterfly“ bewirbt die Neuköllner Oper ihre Neuproduktion von Mascagnis selten gespielter Oper, nach vielen bekannteren wie „Macbeth“ oder „Carmen“ nun die Bearbeitung eines zumindest in Deutschland sehr selten gespielten Werks (szenisch wohl zuletzt 2007 in Chemnitz). Sicherlich ist der eigenartige Titel erst einmal Werbung, denn Puccinis sechs Jahre jüngere „Madama Butterfly“ war, ist und bleibt wahrscheinlich ein Kassenschlager, zudem aber verweist die Verdoppelung des Titels auf das identische Ambiente, nämlich Japan , gemeinsam ist beiden Opern das kindliche Alter der Protagonistin und das tragische Ende derselben, auch die Ansprüche, die die Musik an die Sopranistin stellt, sind vergleichbar. Damit hören die Gemeinsamkeiten aber bereits auf, denn während die Geschichte der Geisha eine durchaus realistische ist, führt „Iris“ in das Reich das Symbolismus, der Dekadenz, ja des Jugendstils, sind auch die Anlehnungen der beiden Komponisten an orientalische Musik kaum miteinander zu vergleichen.

Als rein theoretische Pflichtübung mutet auch die in der Ankündigung der Premiere geäußerte Behauptung an, „Iris“ sei durchaus aktuell, denn das Aufeinanderprallen zweier Kulturen und die Sorge um die Natur, deren Unversehrtheit mittlerweile bereits verspielt sei, seien auch in Illicas Libretto zu finden. Eher dürfte man allerdings an Menschenhandel und Zwangsprostitution auch in unserer Zeit denken. Aber nach Neukölln gehört nun einmal trotz aller sich vollziehenden Gentrifizierung Sozial- und sonstige Gesellschaftskritik, auch wenn nur auf dem Papier, wo man sie selbst bei einem solchen Werk gern in Kauf nimmt. Und so ist dann im informationsreichen Programmheft auch die Rede vom „Schlachtfeld eines Krieges zwischen Tradition und Moderne, der den globalen Kapitalismus begleitet“.

Die Oper gliedert sich in drei Akte. Im ersten berichtet die junge Iris, die im Garten ihres blinden Vaters lebt, von einem Traum, in dem ein Krake eine fürchterliche Rolle spielt Durch ein Puppenspiel angezogen, folgt sie dem Bordellbesitzer Kyoto. In dessen Etablissement wird sie im zweiten Akt von dem sie begehrenden Osaka umworben, widersteht ihm und wird zum Aushängeschild des Unternehmens. Ihr Vater verflucht sie in der Meinung, sie sei freiwillig dort und sie stürzt sich verzweifelt in einen Kanal. Im dritten Akt wird die Sterbende ausgeraubt; so wie die Oper mit dem Inno al Sole begonnen hat, so endet sie auch. Dieses Stück ist übrigens das populärste der Oper und wird zuweilen in Konzerten aufgeführt.

Es ist natürlich auch das problematischste für ein Theater, das ohne Chor auskommen muss, was recht glücklich durch die Einspielung der entsprechenden Szene bewältigt wird. Bernhard Glocksinn und Fabian Gerhardt sind für die Neufassung in deutscher Sprache verantwortlich, Letzterer auch als Regisseur für die leichte Abwandlung des Schlusses, der nun nicht mehr die Sonne, sondern die leuchtende Herzen an die sterbende Iris verteilenden Mitwirkenden als Heilsbringer sehen will- der Vater sogar mit einem zärtlichen Kuss auf die Stirn.

Genial ist die Einheitsbühne von VON JUNE Rebecca Dornhege und Nina Thielen in japanischem Stil mit einer runden Vertiefung in der Mitte, in die man versinken oder emporsteigen kann, mit Seitenteilen, auf denen wie auf der Rückwand Videoprojektionen (Vincent Stefan) ihren Platz finden, übrigens nie als Selbstzweck, sondern geschickt in die Handlung eingebunden. Die phantasievollen Kostüme, die gleichzeitig an Kabuki, Manga und Schulmädchensex denken lassen, stammen vom selben Team.

Arrangiert für sieben Instrumente haben die Partitur Alexandra Barkovskaya und Derik Listermann und dabei die orientalischen Effekte leicht verstärkt. Hans-Peter Kirchberg gelingt es trotz der Reduzierung der Instrumente, „echten“ Mascagni-Klang mit seinem Orchester zu erzeugen.

Ein Glücksfall ist auch die Sängerin der Titelpartie, SuJin Bae, in deren Repertoire sich auch die Königin der Nacht und die Violetta befinden. Ihr bereits recht metallisch klingender Sopran bewältigt die Partie auch darstellerisch erfreulich gut, nur in der Schlussszene wünschte man sich noch sottilere Töne. Einen markanten Väter-Bass konnte Elias Han für den in dieser Inszenierung in ein milderes Licht getauchten Blinden einsetzen. Ebenfalls sonor und dabei angenehm geschmeidig klang der Bariton von Till Bleckwedel, der in abenteuerlicher Gewandung den bösen Bordellbeseitzer Kyoto sang. Sogar Domingo hatte seine Probleme mit der schwierigen Partie des Osaka, insbesondere mit der Serenade. Gustavo Eda hat beachtliches Material, das aber noch recht ungefüge und mit besonderer Vorsicht in der Höhe eingesetzt wird. Da er zur Zeit noch studiert, kann sich das noch zum Positiven wenden. Mit angenehmen lyrischen Stimmen gefielen Seri Baek und Yuri Mizobuch i in den kleineren Rollen.

Der Abend machte sicherlich manchem Zuschauer Lust auf eine Bekanntschaft auch mit dem Original, hatte seinen Wert aber durchaus auch in sich selbst und ist einen Besuch wert.

Fotos Matthias Heyde

20.4.2016 Ingrid Wanja

Auf YouTube gibt es u.a. eine Gesamtaufnahme mit Dessì und Cura, außerdem existieren CDs mit Magda Olivero und mit Tokody-Domingo.