Berlin: José Carreras

A LIFE IN MUSIC – Würdiger Abschied

Wäre es nach den Zuhörern gegangen, dann hätte das Konzert der Final World Tour in der Berliner Philharmonie, mit dem sich der spanische oder besser katalanische Tenor José Carreras von seinem langjährigen Publikum verabschiedete, mindestens bis Mitternacht dauern können. In Berlin, der ersten Station seiner in Deutschland noch nach Frankfurt, Mannheim, Leipzig, Stuttgart, Hamburg und München führenden Tournee war der große Saal bis auf den letzten einen Blick auf den Sänger gewährenden Platz restlos ausverkauft, versprach doch das Konzert „A Life in Music“ , eine glanzvolle Karriere nachzuvollziehen, die durch eine unheilbar erscheinende Krankheit jäh unterbrochen worden war, nach der Überwindung derselben aber neben neuen Rollendebüts auch das Mega-Ereignis der Drei Tenöre, beginnend mit dem Konzert zur Fußballweltmeisterschaft in Rom 1990 und sich über viele Jahre fortsetzend, hervorbrachte. Noch 2015 gab es das letzte Rollendebüt mit der eigens für die Stimme von Carreras geschriebenen Oper „El Juez“ im Petersburger Mariinskij-Theater, in diesem Jahr auch im Theater an der Wien aufgeführt. Abgesehen davon hatte sich Carreras in den letzten Jahren dem Konzertgesang, besonders dem italienischer und spanischer Canzonen, gewidmet oder aber seiner zweiten Lebensaufgabe, der Stiftung zur Bekämpfung der Leukämie, der Krankheit, die er selbst besiegt hatte. Jedes Jahr hatte eine Gala in Deutschland stattgefunden und zu Spenden in Millionenhöhe geführt. Auch 2016 wird es am 14.12. im Berliner Estrel Hotel eine solche Veranstaltung geben, übertragen vom Fernsehsender SAT 1 Gold. Tränen ob des für endgültig gehaltenen Abschieds können also getrocknet werden.

Zu seiner Begleitung hatte der Tenor das Bohemia Sinfonieorchester Prag unter

David Giménez mitgebracht, das nicht nur diese Aufgabe gut erfüllte, sondern auch mit der Farandole aus Bizets „Arlésienne Suite“, Schostakowitschs berühmtem Walzer und dem Intermezzo aus „La Boda de Luis Alonso“ sein Können bewies, zudem dabei die Gelegenheit bot, auf einer Videowand wichtige Stationen in Leben und Karriere von Carreras Revue passieren zu lassen.

Als Partnerin hatte der Tenor den russischen Sopran Venera Gimadieva mitgebracht, weltweit gefragt als Violetta und an der Deutschen Oper Giulietta in der konzertanten Aufführung der Bellini-Oper. Die junge Sängerin bediente vor allem das Fach Oper mit Juliettes „Je veux vivre“ in zauberhafter Leichtigkeit, war eine prägnant-temperamentvolle Elena aus den Vespri mit ihrem Bolero, zudem mit der kokett-zärtlichen Zugabe des „Babbino caro“ und konnte auch im leichteren Fach mit einem kapriziösen „Mein Herr Marquis“ und Delibes‘ „Les filles de Cadiz“ glänzen. Im (vorläufig) abschließenden Klassik-Medley wandelte sie auf den Spuren von Anna Netrebko mit „Lippen schweigen“, sang auch in schönem chansonhaftem Ton Carmens Habanera.

José Carreras, vom Publikum stürmisch begrüßt, bekennt sich auf Fotos im Programmheft zu mindestens vier Enkelkindern, auf der Bühne erscheint er trotz nun ganz weiß gewordenen Haars in seiner Zierlichkeit und seinem schüchternen Lächeln noch immer romantisch jünglingshaft. In seinen ersten Beiträgen klang die Stimme noch recht baritonal, besonders in Leighs „The Man of La Mancha“, die schöne Melancholie des Timbres ist erhalten geblieben, und das kraftvolle Forte am Schluss der Cancion Hungara lässt das Publikum jubeln, Saties „Je te veux“ zeigt, dass beide Sänger einander würdige Partner sind.

Nach der Pause kann der Tenor beweisen, dass er tatsächlich noch ein solcher ist, denn nach baritonal klingendem Beginn im ersten Teil hört man nun in Gardels „Lejana terra mia“ viel von der alten tenoralen Pracht, dem kostbaren Timbre, dazu ein schönes Piano. Ebenso geschieht es mit „Passione“ von Valente, und im Medley kommt mit Canio auch die Oper noch einmal zu Wort. Unschlagbar aber ist Carreras noch immer mit den neapolitanischen Canzoni, die das Publikum bei den Zugaben in einen wahren Rausch versetzen, zu standing ovations und nicht enden wollendem Beifall und zu immerhin sieben Zugaben führen.

Foto Lanz unlimited

13.10.2016 Ingrid Wanja