Düsseldorf: Lahav Shani & Benjamin Grosvenor

Blauer Sternzeichen-Montag

Die Automobilindustrie ist abgastechnisch zur Zeit in aller Munde. Es ist weit mehr als ein übliches Gerede, mit dem der blaue Montag für nicht qualitätsgerecht hergestellte Fahrzeuge an diesem Wochentag kommentiert wird. Von klassischen Konzerten ist nicht bekannt, dass sie sich darauf berufen, wenn es nicht so gut läuft.

Beim Sternzeichenkonzert am Montag in der Tonhalle Düsseldorf konnte man allerdings den Eindruck haben, als wären die Musiker der Düsseldorfer Symphoniker, der Dirigent Lahav Shani und der Pianist Benjamin Grosvenor mit dem falschen Fuß aus dem Bett aufgestanden. Geboren 1989 bzw. 1992, verkörpern Shani und Grosvenor die Enkelgeneration, die mit jugendlicher Frische im Vergleich zum Publikum punkten sollte. Taten sie aber viel zu wenig.

Matt, ohne Esprit, klingt schon zu Konzertbeginn Samuel Barbers Adagio für Streicher op.11/2. Gefühlsmomente von Trauer, denen man sich durch die wellenförmige Crescendi, die die Komposition durchziehen, eigentlich emotional kaum entziehen kann, kommen kaum auf. Shani dirigiert mit großen Bögen, die ihren Ausdruck aber nur in wenig differenzierter Klangfarbigkeit des Orchesterspiels finden. Das Barber-Adagio ist nach einer Umfrage der BBC Radio-Hörer das populärste Musikstück in der Kategorie Traurigkeit. Von dieser elegischen Stimmung ist in der Tonhalle kaum etwas zu verspüren.

Das Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op.16 ist ein Solitär im kompositorischen Schaffen von Edvard Grieg. Es ist sein einziges Klavierkonzert. Solistisch als auch orchestral herausfordernd, besticht es mit einer ambitionierten Architektur der Komposition. Orientiert am Lisztschen Klaviersatz, dreisätzig, nahe bei Schumanns Klavierkonzert, springt das Klavier sofort in medias res. Das Konzert schlägt in der weiterführenden Introduktion einen ganz eigenständigen, skandinavischen Ton an. Subtil in der Durchführung gibt es dem Solisten viel Gestaltungsspielraum.

Der erst 23jährige Benjamin Grosvenor, der seit dem Gewinn des BBC Young Musician Competition 2004 schon mit vielen renommierten Orchestern konzertiert hat, spielt technisch souverän zupackend. Es gelingt ihm allerdings nicht durchgängig, sich von einer eher technizistisch bestimmten Haltung zu lösen. Griegs melodischen Duktus, der sich, folkloristisch getönt, ins Romantische Schumannscher Prägung steigert, folgt Grosvenor notengerecht, jedoch wenig differenzierend im Ausdruck.

Es fällt auf, dass Lahav Shani und Benjamin Grosvenor Grieg ihren Part ohne sichtbare Interaktion spielen. Es gibt nur wenige Momente, in denen Shani den Pianisten mit-führt, ihn mit-dirigiert. Grosvenor beobachtet aufmerksam den Dirigenten und schwingt in die orchestralen wie auch solistischen Spielanteile geschmeidig ein. Was dabei häufig fehlt, ist ein gemeinsamer Fluss.

Das Grieg-Konzert mit Khatia Buniatishvili und dem Orchestre de Paris unter seinem Musikdirektor Paavo Järvi, das im Frühjahr dieses Jahres in der Philharmonie Essen zu hören war (vgl. Ein Hauch von reiner Musik – Paavo Järvi mit dem Orchestre de Paris in der Philharmonie Essen, v. 22.03.2015) gab eine Ahnung davon, wie technische Perfektion mit romantischem Verve zu einem beglückenden Konzerterlebnis werden kann.

Die 4.Sinfonie e-Moll op.98 ist Johannes Brahms‘ sinfonisches Fazit. Permanente Variationen sind kompositorische Formmodelle, die in die Zukunft weisen. Die konstruktive Durchdringung des Variationsprinzips zieht sich als Grundkonstante durch die Sinfonie. Farbig schattiert mit effektvollen Pizzicato-Passagen Allegro non troppo, hat Brahms im 1.Satz markant rhythmische Motive für das Cello gesetzt, die sich bis ins Finale Piu allegro energisch aufbauen.

Lahav Shani dirigiert die Düsseldorfer Symphoniker mit engagierter Überzeugung. Er setzt präzis Zäsuren und Pausen, lauscht in die Sinfonie hinein, sucht den Brahms-Ton und reicht ihn mit viel Körpereinsatz an das Orchester weiter. Mitunter ist die Resonanz nicht eindeutig. Es gibt Momente, wo sich Shani‘s Ambitionen im Orchester zu verlieren scheinen.

Im Andante des 2.Satzes sind die Holzbläser präsent, finden klanglicher Eleganz, wie man es sich durchgängig gewünscht hätte. Auch das Blech ist ähnlich überzeugend mit dem sich romantisch ausbreitenden Horn-Solo im 1.Satz. Der 1.Hornsolist ließ schon bei Grieg aufhören.

Am Ende freundlicher Beifall für ein Konzert, das den Kritiker etwas ratlos zurück lässt.

Peter E. Rytz 1.10.15

Bilder Tonhalle / Marco Borggreve