Köln: Alice Sara Ott, WDR-Sinfonieorchester

featuring: Aziz Shokhakimov (Leitung)

Verinnerlichung und Extase

Obwohl Alain Altinoglu sein Dirigat beim WDR Sinfonieorchester krankheitsbedingt absagen musste, gab es das geplante künstlerische Doppeldebüt beim Kölner Klangkörper. Die Pianistin Alice Sara Ott trat wie erwartet und erhofft auf. Am Pult war indes Azis Shokhakimov der Ersatzmann für Altinoglu. Er ist 29 Jahr jung und stammt aus Taschkent (Usbekistan), einer Kulturmetropole mit städtischem Sinfonieorchester und Nationaloper. Hier wie dort war Shokhakimov an führender Stelle tätig. Ob er es immer noch ist, war in den biografischen Notizen des WDR-Programmheftes nicht zu lesen. Die sich offenkundig anbahnende internationale Karriere dürfte dort aber in jedem Falle zu häufiger Abwesenheit führen.

Im Moment ist Aziz Shokhakimov >>>>

Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein, konzertiert darüber hinaus mit diversen Orchestern von Rang (Dresden, London, Houston). Diese Engagements resultieren sicher nicht zuletzt aus der Tatsache, dass Shokhakimov 2016 Preisträger des Young Conductors Award der Salzburger Festspiele war. Bereits 2010 hatte er den zweiten Preis beim Gustav-Mahler-Dirigierwettbewerb der Bamberger Symphoniker gewonnen.

Das WDR-Programm (besucht wurde der zweite Abend) übernahm Aziz Shokhakimov ohne Veränderungen. Sein Repertoire scheint also schon einigermaßen umfangreich. Mit dem ersten „Lohengrin“-Vorspiel Richard Wagners, dem zweiten Klavierkonzert Franz Liszts und der Orgel-Sinfonie von Camille Saint-Saens (c-Moll, opus 78) enthielt es allerdings keine extravaganten Werke, sondern relativ populäre aus dem Zeitalter der Romantik, die es interpretatorisch freilich in sich haben. Bei „Lohengrin“ waren denn auch kleinere Klangdefizite feststellbar. Die Übergänge bei den ätherischen Streicherpassagen hätten noch sublimer ausfallen dürfen, der erste Einsatz der Holzbläser kam eher Mezzoforte als Piano. Großartig jedoch die mächtige Steigerung zum Fortissimo mit krönendem Beckenschlag und das verdämmernde Schluss-Pianissimo. Der „Lohengrin“ gehört übrigens neben der „Daphne“ von Richard Strauss zu den wenigen kompletten Opernproduktionen des WDR in der jüngeren Vergangenheit, beide von Semyon Bychkov geleitet.

Indem das Programmkonzept trotz der Einspring-Situation beibehalten werden konnte, blieb auch sein dramaturgisches Konzept bestehen. Die Werke von Wagner und Liszt spiegeln beispielsweise das familiäre Verhältnis beider Komponisten (durch Liszt-Tochter Cosima); künstlerische Kontakte und gegenseitige Hilfen hatte es aber schon vorher gegeben. So führte Liszt den „Lohengrin“ 1850 in Weimar zur Uraufführung. Der Nummerncharakter früherer Wagner-Opern ist hier nicht mehr vorhanden, auch Liszts einsätziges, wenn auch deutlich zäsierendes Klavierkonzert rückt von Formtraditionen ab, was auch für die Saint-Saens-Sinfonie gilt. Mit dem jungen französischen Komponisten verband Liszt nota bene ein ebenfalls gutes Verhältnis. Dessen Oper „Samson und Dalila“ brachte er, abermals in Weimar, zur Weltpremiere (1877).

Liszts Klavierkonzert ist ein eigenwilliges Konglomerat aus Virtuosität und Verinnerlichung, lässt dabei immer wieder den großen Klangzauberer erkennen. Das Soloinstrument wird bei aller Dominanz nicht vordergründig herausgestellt, sondern häufig lediglich stützend in den Orchesterklang eingebunden. Markante Fingerfertigkeit ist beim Interpreten gleichwohl gefragt. Die deutsch-japanische, in München geborene Pianistin Alice Sara Ott, an diesem Abend barfüßig auftretend (was man bislang nur von der Geigerin Patricia Kopatchinskaja kennt), fand sowohl im filigranen Diskant wie in donnernden Bassregionen den adäquaten Tonfall. Manche Passagen spielte sie ostentativ dem Orchester zugewandt. Das Zusammenspiel, von Aziz Shokhakimov zudem mit klarer wie feuriger Zeichengebung sicher gesteuert, geriet denn auch optimal. Mit einer versonnenen Schumann-Romanze bedankte sich die höchst attraktive Künstlerin für den immensen Applaus.

Den heimste auch Aziz Shokhakimov ein, nicht zuletzt für die Widergabe der Orgel-Sinfonie von Saint-Saens. Dieses Werk führt im Adagio-Teil in Bereiche fast religiöser Verzückung (dunkler Orgelklang als Basis satter Streicher-Kantilenen) wie auch in solche der Extase beim monumentalen Dur-Schluss. Hier wie dort ließ Aziz Shokhakimov die Musik glühen – faszinierend. Den Beifall beendete der Dirigent, indem er seinen Konzertmeister an der Hand nahm und ihn vom Podium zog. Das Orchester folgte.

Christoph Zimmermann (13.1.2018)

Bilder (c) Tonhalle.de / Deutsche Grammophon

Auch wenn Silvester-Extasen derzeit nur mit immensem Polizeitaufgebot in Schach zu halten sind, gibt es offenkundig viele Menschen, die sich einen stilvollen, deswegen aber durchaus nicht temperamentlosen Jahresübergang wünschen. In der ausverkauften Philharmonie gab es, ähnlich wie in Berlin und Venedig, ein klassisches Festkonzert, zu Neujahr sind anderswo weitere gefolgt.

Eingeladen hatte das Gürzenich-Orchester, welches am Silvesterabend zeitgleich im Staatenhaus die letzte Vorstellung der „Fledermaus“-Serie zu absolvieren hatte. Eine ganze Reihe von Gästen signalisierte, dass die Musikereinsätze akribisch aufteilt wurden.

Etwas Diabolisches hat ein Jahreswechsel durchaus an sich. So war es stimmig, dem Teufel Einlass ins Programm zu gewähren. Luigi Boccherinis Sinfonie „La casa del diavolo“ (Glucks Unterwelt nachahmend) hält sich im Ausdruck noch einigermaßen im Zaume. Die Widergabe unter Lukasz Borowicz hätte eine Spur mehr an ätzender Schärfe vertragen können, aber an Temperament und vorwärtstreibender Verve ließ es der polnische Dirigent nicht fehlen.

Beim ersten Violinkonzert des „Teufels“geigers Niccolò Paganini wurde bei den Zuhörern jedenfalls mehr Gänsehaut erzeugt, doch nicht etwa wegen dämonischer Konturen der zwar konventionellen, aber ungemein wirkungsvollen Musik, sondern wegen dem 28jährigen taiwanesischen Geiger Ray Chen und seinem Spielfuror. Keine virtuosen Kapriolen, welche er nicht mit fester, aber doch lockerer Hand meisterte (Läufe, Doppelgriffe, Spiccati, Flageoletts). Frenetischer Applaus, welcher sicher auch dem außerordentlichen Charme des jungen Künstlers galt. Zugabe: die von ihm besonders geliebte Paganini-Caprice Nr. 21. Lukas Borowicz übrigens dirigierte ganz vom Kontakt mit dem Solisten her – vorbildlich.

Für Astor Piazzollas „Vier Jahreszeiten von Buenos Aires“ (Fassung mit Streichorchester von Leonid Desyatnikov) benutzte Ray Chen digitale Notenblätter, welche sich nicht ohne Grund immer stärker durchzusetzen scheinen. Die Musik des Zyklus‘ klingt sicher kaum teuflisch, ist aber eine dem Paganini-Konzert durchaus vergleichbare Herausforderung an geigerische Technik und Impulsivität erzeugt Dauerhitze. Ray Chen ließ in dieser Hinsicht nichts vermissen. Kapriziös die Vorschrift des Komponisten, die Instrumente innerhalb der ersten Violingruppe peu à peu auszutauschen, den Solisten eingeschlossen.

Franz Liszts Mephisto-Walzer Nr.2 bat Herrn Mephisto dann aber wirklich noch einmal dezidiert auf die Musikszene. Bei „Orpheus in der Unterwelt“ bezauberte die Ironie von Jacques Offenbachs Tonsprache. Lukasz Borowicz ließ das Gürzenich-Orchester rasen, zumal im infernalischen Höllengalopp. Zum Schluss kollektive Glückwünsche der Ausführenden zum Jahreswechsel, wie in Wien üblich. Als Zugabe konnte da nur ein Strauß-Walzer folgen.

Christoph Zimmermann (1.1.2018)

Keine Bilder