DVD: „Königskinder“, Engelbert Humperdinck (zweite Besprechung)

Bei der vorliegenden, jüngst bei dem Label NAXOS erschienenen DVD handelt es sich um eine echte Rarität: Engelbert Humperdincks Oper Königskinder vermag einen so recht in ihren Bann zu ziehen. Sicher, Hänsel und Gretel aus der Feder desselben Komponisten mögen das berühmtere und weitaus öfters gespielte Werk sein, aber die Königskinder haben auch ihre Meriten, und nicht zu knapp.

Ursprünglich konzipierte Humperdinck die Königskinder alsMelodram, das am 23. Januar 1897 am Hoftheater München aus der Taufe gehoben wurde und in der Folge u. a. von den Opernhäusern in Wien und London nachgespielt wurde. Der Erfolg dieser frühen Fassung wollte sich indes nicht so recht einstellen. Deshalb entschloss sich Humperdinck zu einer Überarbeitung, deren Uraufführung am 28. Dezember 1910 an der Metropolitan Opera New York erfolgte. Und jetzt, als Oper, setzte sich das Stück durch. An etlichen Opernhäusern kamen die Königskinder zur Aufführung, nicht nur in Deutschland. Im deutschsprachigen Raum liefen sie, bis im Jahre 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen.  Dann wurde die Oper aufgrund der jüdischen Herkunft der Librettistin Elsa Bernstein-Porges, die das Textbuch unter ihrem Pseudonym Ernst Rosmer verfasste, von den Spielplänen genommen. Auf Intervention von Humperdincks Sohn Wolfram konnten die Königskinder nach einigen Jahren in deutschen Landen zwar wieder gespielt werden, der Name der jüdischen Librettistin sowie ihr Pseudonym durften aber im Programmheft nicht genannt werden. Ab dem Jahr 1943 wurde die Oper dann von den Nazis mit einem endgültigen Aufführungsverbot belegt. Frau Bernstein-Porges geriet in die Fänge der braunen Machthaber und wurde von diesen zuerst in Dachau und dann in  Theresienstadt interniert, wo sie auch ihre Schwester verlor. In Theresienstadt erlebte sie 1945 die Befreiung und lebte noch bis 1949. Um die Königskinder sollte es noch über vierzig Jahre ruhig bleiben, bis es in den 1990er Jahren zu einer Wiederbelebung der Oper kam. An einigen Opernhäusern ging sie mit großem Erfolg über die Bühne. Bei der hier auf DVD gebannten Aufführung handelt es sich um eine Produktion der Niederländischen Nationaloper Amsterdam. Mitgeschnitten wurden zwei Vorstellungen vom 13. und 18. Oktober 2022.

Wer Hänsel und Gretel kennt, wird mit Humperdincks Kompositionsstil vertraut sein. Zwischen dieser Oper und den Königskindern liegen siebzehn Jahre – eine Zeit, in der der Komponist seinen Stil meisterhaft zur Vollendung führte. Die Königskinder sind nicht mehr in demselben starken Maße wie Hänsel und Gretel an das Werk Richard Wagners angelehnt. Zwar vernimmt man schon noch hier und da Anklänge an den Tristan und die Meistersinger, insgesamt ist aber zu konstatieren, dass Humperdinck hier mit einer ausgereiften, harmonisch verfeinerten Kompositionstechnik aufwartet, die teilweise eine ungemeine Dramatik aufweist, aber auch schöne lyrische und volksliedhafte Elemente besitzt. Dieses bemerkenswerte musikalische Gemisch wird auf vorliegender DVD von Marc Albrecht und dem blendend disponierten und beherzt aufspielenden Netherlands Philharmonic Orchestra vor den Ohren des begeisterten Zuhörers ausgebreitet. Zwar vernachlässigt der Dirigent durchaus nicht gewaltige Orchestereruptionen und fulminante instrumentale Ausbrüche, seine große Liebe gehört indes den lyrischen Passagen, die er mit kammermusikalischer Finesse herausstellt. Wunderbar mutet auch die reichhaltige Farbpallette an, die er Humperdincks spätromantischen Partitur angedeihen lässt, und auch die Transparenz kommt nicht zu kurz.

Gelungen ist die Inszenierung von Christof Loy in dem Bühnenbild von Johannes Leiacker und Barbara Drosihns Kostümen. Das Regieteam siedelt das Werk in einer gemäßigten Moderne an und erzählt das Ganze geradlinig und ohne Verfremdungen. Allzu viel ist auf der Bühne nicht zu sehen. Vor einem hellen Rundhorizont erhebt sich im ersten Akt rechts eine riesige Linde, die den Wald symbolisieren soll. Links befindet sich das Hexenhaus. Im zweiten Akt gesellen sich ein Tisch sowie eine Menge Stühle dazu. Auf diese Weise wird ein Platz in der Stadt dargestellt. Im dunkel ausgeleuchteten dritten Akt senkt sich als Versinnbildlichung des tragischen Todes der Königskinder im Hintergrund eine schwarze Wand herab. In diesem Ambiente gelingt Loy eine phantastische Personenregie. Er versteht es, die Handlungsträger abwechslungsreich und spannungsgeladen zu führen. Auch die Choreographie der Tänzer besorgt er. Diese kommen insbesondere bei den Akteinleitungen immer wieder auf die Bühne und werden so zu stummen Zeugen des Geschehens. Ein sehr stimmungsvoller Einfall seitens der Regie ist es, die ihre Violin-Soli sehr eindringlich spielende Geigerin Camille Joubert als Verkörperung der Liebe oftmals über die Bühne wandeln zu lassen. Trefflich gelungen ist auch Loys Idee, zu Beginn des dritten Aktes einen Schwarz-Weiß-Stummfilm laufen zu lassen, in dem die Ereignisse geschildert werden, die zwischen dem zweiten und dem dritten Akt liegen. So sieht man in diesem Film, wie der Spielmann ins Gefängnis geworfen und ihm ein Bein gebrochen wird, und wie die Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. Später gönnt der Regisseur letzterer als Wiedergängerin aus dem Jenseits noch einen Auftritt und lässt sie zur Zeugin der Interaktion der beiden Protagonisten werden. Das ist alles überzeugend.

Nun zu den gesanglichen Leistungen. Daniel Behle singt mit gut fokussiertem und die vielfältigen Zwischentöne voll auskostendem Tenor einen trefflichen Königsohn. Olga Kulchynska ist als Gänsemagd auf eine recht innig und gefühlvoll anmutende Tongebung bedacht. Mangels einer soliden italienischen Technik muss es indes bei der gut gemeinten Intention bleiben. Josef Wagner singt die Lieder des Spielmannes mit sonorem, voll und rund klingendem Bariton vortrefflich. Über immer noch beträchtliche Mezzosopran-Reserven verfügt Doris Soffel. Störend macht sich bei ihrer Hexe allerdings der Registerbruch bemerkbar. Profundes Bass-Bariton-Material bringt Sam Carl in die Rolle des Holzhackers ein. Sehr maskig klingt Michael Pflumms Besenbinder. Arg ist es um Isabel Houtmortels bestellt, die die Tochter des Besenbinders nur mit einem lieblichen Kinder-Sopran ohne vollständig ausgereifte Gesangsausbildung gibt. Lediglich durchschnittlich präsentieren sich die Baritöne Henkt Poort (Ratsältester) und Roger Smeets (Wirt). Eine ordentliche Wirtstochter ist Kai Rüütel. Solide sind die kleinen Nebenrollen. Einen famosen Eindruck hinterlassen der Chorus of Dutch National Opera und der Nieuw Amsterdams Kinderkoor.

Ludwig Steinbach, 15. August 2023


DVD: „Königskinder“
Engelbert Humperdinck

Niederländische Nationaloper Amsterdam

Inszenierung: Christof Loy
Musikalische Leitung: Marc Albrecht
Netherlands Philharmonic Orchestra

NAXOS
Best.Nr.: 2.110759
1 DVD