Pforzheim: „La Traviata“, Giuseppe Verdi

Das war ein in jeder Beziehung gelungener Opernnachmittag! Die Neuproduktion von Verdis La Traviata an dem schon oft bewährten Theater Pforzheim gestaltete sich zu einem vollen Erfolg! Regisseurin Alicia Geugelin hat in Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Malina Rassfeld und Pia Preuss (Kostüme) ganze Arbeit geleistet.

Stamatia Gerothanasi (Violetta Valéry) und Ensemble / (c) Sabine Haymann

Die Regiearbeit von Alicia Geugelin ist nicht moderner Natur, aber auch nicht ausgesprochen konventionell. Sie beschreitet einen Mittelweg und siedelt die Handlung in einem surrealistischen Rahmen an, der von teilweise recht phantastischen Bildern geprägt wird. Dabei inszeniert sie das Ganze als einen Traum von Violetta. Was wäre, wenn Violetta selbst entscheiden könnte, ob sie das Opfer sein möchte oder eben nicht? Wenn sie sich auch gegen die Krankheit und den Tod entscheiden könnte? (vgl. Programmheft). Das ist die Grundfrage von Frau Geugelins kluger und ansprechender Konzeption, die sie mit Hilfe einer ausgefeilten Personenregie auch überzeugend auf die Bühne bringt. Bereits ganz am Anfang sieht man die Titelheldin auf einem noch vor Beginn der Ouvertüre eingeblendeten Film schlafend. Am Ende flimmert noch einmal ein solcher Film auf. Dieser zeigt, wie die Protagonistin aus ihrem Schlaf erwacht. Das Ganze war nur ein Alptraum Violettas. Sie überlebt in dieser Inszenierung im Gegensatz zu den anderen Handlungsträgern. Während am Ende ihres Traumes der Chor, Alfredo, Vater Germont und Annina tot zusammenbrechen, wacht sie wieder auf und beschreitet einen neuen Lebensweg.

Stamatia Gerothanasi (Violetta Valéry) und Felipe Rojas Velozo (Alfredo Germont) / (c) Sabine Haymann

Das war ein guter Regieeinfall! In Anlehnung an Christopher Nolans Film Inception erklingt immer wieder eine in die ursprüngliche Musik integrierte, an Violettas Sempre libera gemahnende Traummelodie. Diese bildet eine Brücke zwischen Wachzustand und Traum und zieht die Träumende immer wieder in die Realität (vgl. Programmheft). Hier wartet Frau Geugelin mit einer gelungenen Parallele zu Sigmund Freud auf, dessen Lehre von der Traumtheorie sie sehr zu schätzen scheint.

In Malina Rassfelds gefälligem Bühnenbild dominieren keine konkreten Formen. Hier wird ebenfalls nachhaltig dem Surrealismus gefrönt. Die Bühne ist durchweg dunkel ausgeleuchtet. Möbel bemerkt man in ihr überhaupt nicht. Die linke Seite des Bühnenraumes wird von einer überdimensionalen Torte eingenommen, die irgendwann von dem Chor in ihre Bestandteile zerlegt wird. Im Laufe der Aufführung ist dann immer weniger von ihr zu sehen. In ihrem Zentrum kann man es sich gut bequem machen. So legt sich Vater Germont im zweiten Akt nach seinem Duett mit Violetta dort nieder und deckt sich mit dem reichlich vorhandenen Plüsch zu. Er bleibt auf der Bühne, obwohl Verdi für ihn an dieser Stelle eigentlich gar keinen Auftritt vorgesehen hat. Man merkt, mit Tschechow’ schen Elementen kann die Regisseurin umgehen. Immer wieder sieht man die von Violetta im Laufe ihres Lebens angehäuften Besitztümer von der Decke schweben. Es handelt sich hierbei wohl größtenteils um Geschenke, die sie von ihren Anbetern erhalten hat und die in Alexandre Dumas d. J. Roman nach ihrem Tod versteigert werden.

Stamatia Gerothanasi (Violetta Valéry) und Ensemble / (c) Sabine Haymann

Hier wird auch die Abhängigkeit der Kurtisane von ihren Liebhabern deutlich, ohne deren Zuwendungen sie nicht leben konnte. Sie ist eine Gefangene ihres Reichtums. Aus diesem versucht sie zugunsten der tief gefühlten Liebe zu Alfredo auszubrechen. Diese Objekte erscheinen als absurde, bedrohliche Himmelskörper (vgl. Programmheft), die einen wesentlichen Bestandteil der hier vorherrschenden Traumlandschaft bilden. In dieses Ambiente fügen sich die extravaganten Kostüme trefflich ein. Die Germonts und einige Choristen tragen kurze Hosen. Das absurde Element dominiert mithin nicht nur in der Traumwelt, sondern auch bei der Bekleidung.

Am Pult zeigte sich GMD Robin Davis ganz in seinem Element. Zusammen mit der bestens disponierten Badischen Philharmonie Pforzheim erzeugte er einen brillanten, von herrlicher Italianita und großen Bögen geprägten Klangteppich. Dieser zeichnete sich zudem durch große Expressivität und Transparenz aus. Die vom Dirigenten angeschlagenen Tempi waren recht ausgewogen.

Felipe Rojas Velozo (Alfredo Germont), Stamatia Gerothanasi (Violetta Valéry) und Ensemble / (c) Sabine Haymann

Und was für herrliche Sänger hatte das Theater Pforzheim an diesem Nachmittag aufgeboten. Da sang jeder mit vorbildlicher Körperstütze. Bravo! In der Rolle der Violetta brillierte mit intensivem Spiel und herrlichem, nuancenreichem Sopran Stamatia Gerothanas. Mit den sehr unterschiedlichen Anforderungen der Partie kam sie bestens zurecht. Sie beglückte sowohl mit zarter, lyrischer Innigkeit als auch mit Dramatik und bei Sempre libera mit enormer Koloraturgewandtheit. Auch die extremen Spitzentöne bereiteten ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten. Als Alfredo überzeugte der mit einem hellen, ebenmäßig geführten und höhensicheren Tenor gesegnete Felipe Rojas Velozo. Den Giorgio Germont sang mit kraftvollem, virilem Bariton und trefflicher Linienführung Martin Berner. Jina Choi war eine recht exaltierte Flora Bervoix. Nichts auszusetzen gab es an der Annina von Dorothee Böhnisch. Mit kräftigem, klangvollem Tenor wertete Philipp Werner die kleine Rolle des Gaston auf. Gefällig präsentierten sich Daniel Nicholson (Baron Douphol), Lukas Schmid-Wedekind (Marquis d‘ Obigny) und Aleksandar Stefanoski (Dr. Grenvil). Solide klang der von Johannes Antoni einstudierte Chor und Extrachor des Theaters Pforzheim.

Ludwig Steinbach, 21. November 2023


La Traviata
Giuseppe Verdi

Stadttheater Pforzheim

Premiere: 7. Oktober 2023
Besuchte Aufführung: 19. November 2023

Inszenierung: Alicia Geugelin
Musikalische Leitung: GMD Robin Davis
Badische Philharmonie Pforzheim