Gelsenkirchen: „Hänsel und Gretel“, Engelbert Humperdinck

© Karl und Monika Forster

An großen Opernhäusern wie der Deutschen Oper am Rhein, der Hamburgischen Staatsoper oder dem Nationaltheater Mannheim laufen die Hänsel und Gretel-Inszenierungen schon seit Jahrzehnten. In kleineren Häusern, so auch am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier, kommt hingegen alle zehn bis fünfzehn Jahre eine neue Inszenierung heraus, um das junge Publikum zu beglücken. 2010 hatte Michael Dijkema das Stück am Musiktheater im Revier zuletzt inszeniert, jetzt brachte Intendant Michael Schulz, der nächste Saison an das Staatstheater Saarbrücken wechselt, die Märchenoper als Abschiedsinszenierung heraus.

Ungewöhnlich ist dabei, dass Ausstatterin Heike Scheele für diese Produktion auf Bühnenbildteile der gemeinsamen Produktion von Janeceks Das schlaue Füchslein aus dem Dezember 2022 zurückgreift. Waldprospekt und Bäume kommen ebenso erneut zum Einsatz wie die fantastischen Tierkostüme von Martina Feldmann. Da tummeln sich Stachelschwein, Libelle und Schnecke, die man vor zwei Jahren bestaunen durfte, erneut über die Bühne. – Eine gute und nachhaltige Idee, welche zudem Kosten spart. Für die Waldlichtung in Wagners Parsifal oder den 2. Siegfried-Akt könnte man diese Ausstattung ebenfalls verwenden.

Manchmal fragt man sich, ob das dunkle Waldbild mit seinem Getier beim jungen Publikum nicht Grusel und Angst auslösen könnte? Die Kinder sind aber bestens vorbereitet und werden auch von einer wandelnden Birke und einem Baumstumpf nicht in die Flucht gejagt. – Zum Abendsegen erscheinen keine Engel, sondern die Tiere bereiten Hänsel und Gretel ein nächtliches Picknick und breiten ihnen das Bettzeug im Wald aus. Am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen sorgt Dirigent Giuliano Betta für einen vollen romantischen Orchesterklang. Die Tempi sind fließend, betonen mal das dramatische Geschehen, genießen aber auch immer wieder die Schönheiten von Humperdincks Musik. 

© Karl und Monika Forster

Regisseur Michael Schulz erzählt die Geschichte mit seinen spielfreudigen Darstellern glaubhaft und lebendig nach: Lina Hoffmann ist ein selbstbewusster Hänsel, Hejin Kim eine schönstimmige Gretel. Das „Brüderchen, kommt tanz´ mit mir“ singt sie aus dem Liederbuch vor. – Die beiden Kinder sind hier also keine Analphabeten. Schön ist auch die Idee, dass die Geschwister ihre Gespräche manchmal über Handpuppen miteinander führen.

Eine Erfindung des Regisseurs ist der verschollene große Bruder, der in die Fänge der Hexe geraten ist und jetzt in deren Auftrag Hänsel und Gretel in den Wald lockt. Sebastian Schiller, eigentlich als Musical-Sänger am Haus engagiert, spielt die stumme Rolle mit großem darstellerischen Einsatz. Almuth Herbst, vor 14 Jahren noch selbst der Hänsel, singt jetzt eine resolute Mutter. Simon Stricker trumpft als Vater mit geschmeidig–vollem Bariton auf. Die Sopranistin Elia Cohen Weissert, die sonst auch als Cellistin auftritt, hat als Sand- und Taumännchen zwei kleine, aber vielversprechende Auftritte. Da darf man gespannt sein, ob sie ihre Karriere eher am Instrument oder als Sängerin machen wird.

© Karl und Monika Forster

Für die Hexe gibt es noch ein neues und fahrbares Glaskiosk mit viel Spielzeug, um die Kinder anzulocken, sowie ein großes Kellerverlies auf der Unterbühne mit Bar, Käfig und mehreren Öfen. Martin Homrich, der die Hexe mit kräftigem Tenor singt, wird aber nicht in einen der Öfen gestoßen, sondern versinkt erst in einer Nebelwolke, als Gretel eines der Dampfventile aufdreht. Später wird der Hexerich an den Händen gefesselt vorgeführt.

Rudolf Hermes, 5. Dezember 2024


Hänsel und Gretel
Engelbert Humperdinck

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen

Premiere: 16. November 2024
Besuchte Aufführung: 30. November 2024

Inszenierung: Michael Schulz
Musikalische Leitung: Giuliano Betta
Neue Philharmonie Westfalen