Mit der Uraufführung der Oper „American Mother“ sorgen Intendant Francis Hüsers und Generalmusikdirektor Joseph Trafton zum Ende ihrer Amtszeiten für einen Coup, mit dem das Hagener Theater bereits im Vorfeld überregionales Interesse auslöste. Nach der eindringlichen, tief bewegenden Premiere im mäßig gefüllten Haus ist dem Theater zu wünschen, dass das Interesse des Publikums für die immerhin noch vier folgenden Vorstellungen wächst und nicht abflacht.

Auch wenn es sich um eine zeitgenössische Oper auf der Höhe unserer Zeit handelt, muss sich niemand abschrecken lassen. Weder von der Musik noch vom Libretto oder abstrusen szenischen Provokationen. „American Mother“ ist ein Werk, das zu Herzen geht mit einem Thema, das uns alle bewegt: der Absage an Gewalt, Rache und Hass. „Wie stark und mythisch ist diese Geschichte. Es ist eine Geschichte für unsere Zeit! Über Wiedergutmachung – und Heilung“, so fasst es der renommierte irische Schriftsteller und Librettist Colum McCann zusammen.
Dass es Francis Hüsers gelungen, McCann und die ebenfalls prominente britische Komponistin Charlotte Bray für diese Auftragsarbeit zu gewinnen, ist ebenso hervorzuheben wie sein Geschick, Diane Foley davon zu überzeugen, ihre Lebensgeschichte als Opernstoff zu akzeptieren. Denn Diane Foley ist die Mutter des 2014 vor laufenden Kameras von IS-Dschihadisten enthaupteten Journalisten James Foley. Bilder, die die Welt erschütterten. Einer der Täter, der Engländer Alexanda Kotey, wurde später in den USA zu lebenslanger Haft verurteilt. Sieben Jahre nach der grauenhaften Tat besuchte Diane Foley den Mörder ihres Sohnes in der Haft und reichte ihm nach einem vierstündigen Gespräch die Hand. Eine Szene, die auch in der Oper tiefe Eindrücke hinterlässt.
McCann war bei dem Gespräch anwesend und schrieb ein viel beachtetes Buch über die Vorgänge und deren Hintergründe. Für das Libretto beschränkt sich McCann auf das bewegende Gespräch der Mutter mit dem Mörder. Ein Dialog über 80 Minuten ohne dramatische Aktionen oder effektheischende Zutaten, der auf den ersten Blick nicht gerade ideale Voraussetzungen für die Bühne mit sich zu bringen scheint. Doch McCann erweist sich als geschickter Dramaturg. Die Gesprächs-Sequenzen vertieft und belebt er durch reflektierende Monologe der Mutter, hintergründige Kommentare des Chors, hasserfüllte Einwürfe des Gefängniswärters, versöhnliche Botschaften des toten James und einen bewegenden Auftritt der Mutter des Mörders. Mit der Essenz, dass hier zwei Mütter ihre Söhne verloren haben, auch wenn der Täter noch lebt. „Wir Frauen mit unseren Kriegen“ klagt Diane und erteilt dem Hass eine Absage.
Die Focussierung auf die Mütter bringt es mit sich, dass die Rolle der Diane Foley die zentrale Position einnimmt. Eine riesige, wortreiche, gesanglich differenzierte und auch emotional belastende Partie, die die amerikanische Sopranistin Katharine Goeldner mit bewundernswerter Hingabe, Präzision und Glaubwürdigkeit ausführt. Alexanda Kotey, der Mörder, steht in ihrem großherzigen Schatten, nicht minder souverän von Timothy Connor dargestellt.
Auch die Komponistin Charlotte Bray verzichtet auf vordergründige Knalleffekte. Bei den Gesangspartien achtet sie auf möglichst große Textverständlichkeit und im Orchester breitet sie eine unterschwellig brodelnde Klangkulisse aus, die die beklemmende Stimmung pointiert vertieft. An mehreren Stellen unterstützt durch zarte, fast säuselnde Chorpassagen, in denen Schlüsselsätze des Librettos wiederholt werden.

Auch mit dem amerikanischen Regisseur Trevis Preston ist Hagen ein Glücksgriff gelungen. Mit bohrender, extrem konzentrierter Intensität hält er das handlungsarme Stück ohne jedes aufgesetzte Mätzchen bis zum letzten Takt unter geradezu atemlose Spannung. Mit einer subtilen Personenführung und der Ausnutzung des freien Bühnenraums in einer kargen Szenerie, für die einige Versatzstücke und ein paar Lichteffekte und Video-Einblendungen vollauf ausreichen (Ausstattung: Christopher Barreca).
Joseph Trafton bringt die facettenreiche und atmosphärisch dicht gestrickte Partitur vorbildlich zum Klingen und nimmt dabei große Rücksicht auf die Textverständlichkeit der Sänger. Neben den beiden Protagonisten ergänzen der Bassist Dong-Won Seo als hasserfüllter Gefängniswärter, Roman Payer mit seinem zarten lytischen Tenor als James Foley, die tief berührende Angela Davis als Mutter des Täters und nicht zuletzt der hauchzart singende Chor das nahezu perfekte Ensemble.
Langanhaltender Beifall nach einer tief bewegenden Aufführung. Im Anschluss an die Aufführung am 18. Juni werden sich Diane Foley, Charlotte Bray und Colum McCann dem Publikum persönlich vorstellen.
Pedro Obiera, 2. Juni 2025
American Mother
Charlotte Bray
Theater Hagen
Premiere am 31.Mai 2025
(Uraufführung)
Regie: Travis Preston
Dirigat: Joseph Trafton
Philharmonisches Orchester Hagen